Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern
untreu zu werden, wol endlich gar aufhören könnte für
uns Gebot zu seyn,) jemals in den Besitz einer Heilig-
keit
des Willens kommen könnten.

Das moralische Gesetz ist nemlich für den Willen
eines allervollkommensten Wesens ein Gesetz der Heilig-
keit,
für den Willen jedes endlichen vernünftigen Wesens
aber ein Gesetz der Pflicht, der moralischen Nöthigung
und der Bestimmung der Handlungen desselben durch
Achtung für dies Gesetz und aus Ehrfurcht für seine
Pflicht. Ein anderes subjectives Princip muß zur Trieb-
feder nicht angenommen werden, denn sonst kann zwar
die Handlung, wie das Gesetz sie vorschreibt, ausfal-
len, aber, da sie zwar pflichtmäßig ist, aber nicht aus
Pflicht geschieht, so ist die Gesinnung dazu nicht mora-
lisch, auf die es doch in dieser Gesetzgebung eigentlich
ankömmt.

Es ist sehr schön, aus Liebe zu Menschen und theil-
nehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu thun, oder
aus Liebe zur Ordnung gerecht zu seyn, aber das ist
noch nicht die ächte moralische Maxime unsers Verhal-
tens, die unserm Standpuncte, unter vernünftigen
Wesen, als Menschen, angemessen ist, wenn wir uns
anmaaßen, gleichsam als Volontaire, uns mit stolzer
Einbildung über den Gedanken von Pflicht wegzusetzen,
und uns, als vom Gebote unabhängig, blos aus eige-
ner Lust das thun zu wollen, wozu für uns kein Gebot

nö-

I. Th. I. B. III. Hauptſt. Von den Triebfedern
untreu zu werden, wol endlich gar aufhoͤren koͤnnte fuͤr
uns Gebot zu ſeyn,) jemals in den Beſitz einer Heilig-
keit
des Willens kommen koͤnnten.

Das moraliſche Geſetz iſt nemlich fuͤr den Willen
eines allervollkommenſten Weſens ein Geſetz der Heilig-
keit,
fuͤr den Willen jedes endlichen vernuͤnftigen Weſens
aber ein Geſetz der Pflicht, der moraliſchen Noͤthigung
und der Beſtimmung der Handlungen deſſelben durch
Achtung fuͤr dies Geſetz und aus Ehrfurcht fuͤr ſeine
Pflicht. Ein anderes ſubjectives Princip muß zur Trieb-
feder nicht angenommen werden, denn ſonſt kann zwar
die Handlung, wie das Geſetz ſie vorſchreibt, ausfal-
len, aber, da ſie zwar pflichtmaͤßig iſt, aber nicht aus
Pflicht geſchieht, ſo iſt die Geſinnung dazu nicht mora-
liſch, auf die es doch in dieſer Geſetzgebung eigentlich
ankoͤmmt.

Es iſt ſehr ſchoͤn, aus Liebe zu Menſchen und theil-
nehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu thun, oder
aus Liebe zur Ordnung gerecht zu ſeyn, aber das iſt
noch nicht die aͤchte moraliſche Maxime unſers Verhal-
tens, die unſerm Standpuncte, unter vernuͤnftigen
Weſen, als Menſchen, angemeſſen iſt, wenn wir uns
anmaaßen, gleichſam als Volontaire, uns mit ſtolzer
Einbildung uͤber den Gedanken von Pflicht wegzuſetzen,
und uns, als vom Gebote unabhaͤngig, blos aus eige-
ner Luſt das thun zu wollen, wozu fuͤr uns kein Gebot

noͤ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0154" n="146"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> B. <hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;t. Von den Triebfedern</fw><lb/>
untreu zu werden, wol endlich gar aufho&#x0364;ren ko&#x0364;nnte fu&#x0364;r<lb/>
uns Gebot zu &#x017F;eyn,) jemals in den Be&#x017F;itz einer <hi rendition="#fr">Heilig-<lb/>
keit</hi> des Willens kommen ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
            <p>Das morali&#x017F;che Ge&#x017F;etz i&#x017F;t nemlich fu&#x0364;r den Willen<lb/>
eines allervollkommen&#x017F;ten We&#x017F;ens ein Ge&#x017F;etz der <hi rendition="#fr">Heilig-<lb/>
keit,</hi> fu&#x0364;r den Willen jedes endlichen vernu&#x0364;nftigen We&#x017F;ens<lb/>
aber ein Ge&#x017F;etz der <hi rendition="#fr">Pflicht,</hi> der morali&#x017F;chen No&#x0364;thigung<lb/>
und der Be&#x017F;timmung der Handlungen de&#x017F;&#x017F;elben durch<lb/><hi rendition="#fr">Achtung</hi> fu&#x0364;r dies Ge&#x017F;etz und aus Ehrfurcht fu&#x0364;r &#x017F;eine<lb/>
Pflicht. Ein anderes &#x017F;ubjectives Princip muß zur Trieb-<lb/>
feder nicht angenommen werden, denn &#x017F;on&#x017F;t kann zwar<lb/>
die Handlung, wie das Ge&#x017F;etz &#x017F;ie vor&#x017F;chreibt, ausfal-<lb/>
len, aber, da &#x017F;ie zwar pflichtma&#x0364;ßig i&#x017F;t, aber nicht aus<lb/>
Pflicht ge&#x017F;chieht, &#x017F;o i&#x017F;t die Ge&#x017F;innung dazu nicht mora-<lb/>
li&#x017F;ch, auf die es doch in die&#x017F;er Ge&#x017F;etzgebung eigentlich<lb/>
anko&#x0364;mmt.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;cho&#x0364;n, aus Liebe zu Men&#x017F;chen und theil-<lb/>
nehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu thun, oder<lb/>
aus Liebe zur Ordnung gerecht zu &#x017F;eyn, aber das i&#x017F;t<lb/>
noch nicht die a&#x0364;chte morali&#x017F;che Maxime un&#x017F;ers Verhal-<lb/>
tens, die un&#x017F;erm Standpuncte, unter vernu&#x0364;nftigen<lb/>
We&#x017F;en, <hi rendition="#fr">als Men&#x017F;chen,</hi> angeme&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, wenn wir uns<lb/>
anmaaßen, gleich&#x017F;am als Volontaire, uns mit &#x017F;tolzer<lb/>
Einbildung u&#x0364;ber den Gedanken von Pflicht wegzu&#x017F;etzen,<lb/>
und uns, als vom Gebote unabha&#x0364;ngig, blos aus eige-<lb/>
ner Lu&#x017F;t das thun zu wollen, wozu fu&#x0364;r uns kein Gebot<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">no&#x0364;-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0154] I. Th. I. B. III. Hauptſt. Von den Triebfedern untreu zu werden, wol endlich gar aufhoͤren koͤnnte fuͤr uns Gebot zu ſeyn,) jemals in den Beſitz einer Heilig- keit des Willens kommen koͤnnten. Das moraliſche Geſetz iſt nemlich fuͤr den Willen eines allervollkommenſten Weſens ein Geſetz der Heilig- keit, fuͤr den Willen jedes endlichen vernuͤnftigen Weſens aber ein Geſetz der Pflicht, der moraliſchen Noͤthigung und der Beſtimmung der Handlungen deſſelben durch Achtung fuͤr dies Geſetz und aus Ehrfurcht fuͤr ſeine Pflicht. Ein anderes ſubjectives Princip muß zur Trieb- feder nicht angenommen werden, denn ſonſt kann zwar die Handlung, wie das Geſetz ſie vorſchreibt, ausfal- len, aber, da ſie zwar pflichtmaͤßig iſt, aber nicht aus Pflicht geſchieht, ſo iſt die Geſinnung dazu nicht mora- liſch, auf die es doch in dieſer Geſetzgebung eigentlich ankoͤmmt. Es iſt ſehr ſchoͤn, aus Liebe zu Menſchen und theil- nehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu thun, oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu ſeyn, aber das iſt noch nicht die aͤchte moraliſche Maxime unſers Verhal- tens, die unſerm Standpuncte, unter vernuͤnftigen Weſen, als Menſchen, angemeſſen iſt, wenn wir uns anmaaßen, gleichſam als Volontaire, uns mit ſtolzer Einbildung uͤber den Gedanken von Pflicht wegzuſetzen, und uns, als vom Gebote unabhaͤngig, blos aus eige- ner Luſt das thun zu wollen, wozu fuͤr uns kein Gebot noͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/154
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/154>, abgerufen am 29.03.2024.