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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.
der That: wären die Handlungen des Menschen, so
wie sie zu seinen Bestimmungen in der Zeit gehören,
nicht bloße Bestimmungen desselben als Erscheinung,
sondern als Dinges an sich selbst, so würde die Frey-
heit nicht zu retten seyn. Der Mensch wäre Marionette,
oder ein Vaucansonsches Avtomat, gezimmert und auf-
gezogen von dem obersten Meister aller Kunstwerke,
und das Selbstbewußtseyn würde es zwar zu einem
denkenden Avtomate machen, in welchem aber das Be-
wußtseyn seiner Spontaneität, wenn sie für Freyheit
gehalten wird, bloße Täuschung wäre, indem sie nur
comparativ so genannt zu werden verdient, weil die
nächsten bestimmenden Ursachen seiner Bewegung, und
eine lange Reihe derselben zu ihren bestimmenden Ur-
sachen hinauf, zwar innerlich sind, die letzte und höch-
ste aber doch gänzlich in einer fremden Hand angetrof-
fen wird. Daher sehe ich nicht ab, wie diejenige,
welche noch immer dabey beharren, Zeit und Raum für
zum Daseyn der Dinge an sich selbst gehörige Bestim-
mungen anzusehen, hier die Fatalität der Handlungen
vermeiden wollen, oder, wenn sie so geradezu (wie
der sonst scharfsinnige Mendelssohn that,) beide nur
als zur Existenz endlicher und abgeleiteter Wesen, aber
nicht zu der des unendlichen Urwesens nothwendig ge-
hörige Bedingungen einräumen, sich rechtfertigen wol-
len, woher sie diese Befugniß nehmen, einen solchen
Unterschied zu machen, sogar wie sie auch nur dem Wi-

der-
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der reinen practiſchen Vernunft.
der That: waͤren die Handlungen des Menſchen, ſo
wie ſie zu ſeinen Beſtimmungen in der Zeit gehoͤren,
nicht bloße Beſtimmungen deſſelben als Erſcheinung,
ſondern als Dinges an ſich ſelbſt, ſo wuͤrde die Frey-
heit nicht zu retten ſeyn. Der Menſch waͤre Marionette,
oder ein Vaucanſonſches Avtomat, gezimmert und auf-
gezogen von dem oberſten Meiſter aller Kunſtwerke,
und das Selbſtbewußtſeyn wuͤrde es zwar zu einem
denkenden Avtomate machen, in welchem aber das Be-
wußtſeyn ſeiner Spontaneitaͤt, wenn ſie fuͤr Freyheit
gehalten wird, bloße Taͤuſchung waͤre, indem ſie nur
comparativ ſo genannt zu werden verdient, weil die
naͤchſten beſtimmenden Urſachen ſeiner Bewegung, und
eine lange Reihe derſelben zu ihren beſtimmenden Ur-
ſachen hinauf, zwar innerlich ſind, die letzte und hoͤch-
ſte aber doch gaͤnzlich in einer fremden Hand angetrof-
fen wird. Daher ſehe ich nicht ab, wie diejenige,
welche noch immer dabey beharren, Zeit und Raum fuͤr
zum Daſeyn der Dinge an ſich ſelbſt gehoͤrige Beſtim-
mungen anzuſehen, hier die Fatalitaͤt der Handlungen
vermeiden wollen, oder, wenn ſie ſo geradezu (wie
der ſonſt ſcharfſinnige Mendelsſohn that,) beide nur
als zur Exiſtenz endlicher und abgeleiteter Weſen, aber
nicht zu der des unendlichen Urweſens nothwendig ge-
hoͤrige Bedingungen einraͤumen, ſich rechtfertigen wol-
len, woher ſie dieſe Befugniß nehmen, einen ſolchen
Unterſchied zu machen, ſogar wie ſie auch nur dem Wi-

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[181/0189] der reinen practiſchen Vernunft. der That: waͤren die Handlungen des Menſchen, ſo wie ſie zu ſeinen Beſtimmungen in der Zeit gehoͤren, nicht bloße Beſtimmungen deſſelben als Erſcheinung, ſondern als Dinges an ſich ſelbſt, ſo wuͤrde die Frey- heit nicht zu retten ſeyn. Der Menſch waͤre Marionette, oder ein Vaucanſonſches Avtomat, gezimmert und auf- gezogen von dem oberſten Meiſter aller Kunſtwerke, und das Selbſtbewußtſeyn wuͤrde es zwar zu einem denkenden Avtomate machen, in welchem aber das Be- wußtſeyn ſeiner Spontaneitaͤt, wenn ſie fuͤr Freyheit gehalten wird, bloße Taͤuſchung waͤre, indem ſie nur comparativ ſo genannt zu werden verdient, weil die naͤchſten beſtimmenden Urſachen ſeiner Bewegung, und eine lange Reihe derſelben zu ihren beſtimmenden Ur- ſachen hinauf, zwar innerlich ſind, die letzte und hoͤch- ſte aber doch gaͤnzlich in einer fremden Hand angetrof- fen wird. Daher ſehe ich nicht ab, wie diejenige, welche noch immer dabey beharren, Zeit und Raum fuͤr zum Daſeyn der Dinge an ſich ſelbſt gehoͤrige Beſtim- mungen anzuſehen, hier die Fatalitaͤt der Handlungen vermeiden wollen, oder, wenn ſie ſo geradezu (wie der ſonſt ſcharfſinnige Mendelsſohn that,) beide nur als zur Exiſtenz endlicher und abgeleiteter Weſen, aber nicht zu der des unendlichen Urweſens nothwendig ge- hoͤrige Bedingungen einraͤumen, ſich rechtfertigen wol- len, woher ſie dieſe Befugniß nehmen, einen ſolchen Unterſchied zu machen, ſogar wie ſie auch nur dem Wi- der- M 3

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/189>, abgerufen am 24.04.2024.