Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern
derspruche ausweichen wollen, den sie begehen, wenn
sie das Daseyn in der Zeit als den endlichen Dingen an
sich nothwendig anhängende Bestimmung ansehen, da
Gott die Ursache dieses Daseyns ist, er aber doch nicht
die Ursache der Zeit (oder des Raums) selbst seyn
kann, (weil diese als nothwendige Bedingung a priori
dem Daseyn der Dinge vorausgesetzt seyn muß,) seine
Causalität folglich in Ansehung der Existenz dieser Din-
ge, selbst der Zeit nach, bedingt seyn muß, wobey nun
alle die Widersprüche gegen die Begriffe seiner Unendlich-
keit und Unabhängigkeit unvermeidlich eintreten müssen.
Hingegen ist es uns ganz leicht, die Bestimmung der
göttlichen Existenz, als unabhängig von allen Zeitbe-
dingungen, zum Unterschiede von der eines Wesens
der Sinnenwelt, als die Existenz eines Wesens an
sich selbst
, von der eines Dinges in der Erscheinung
zu unterscheiden. Daher, wenn man jene Idealität
der Zeit und des Raums nicht annimmt, nur allein der
Spinozism übrig bleibt, in welchem Raum und Zeit
wesentliche Bestimmungen des Urwesens selbst sind, die
von ihm abhängige Dinge aber (also auch wir selbst)
nicht Substanzen, sondern blos ihm inhärirende Acci-
denzen sind; weil, wenn diese Dinge blos, als seine
Wirkungen, in der Zeit existiren, welche die Bedingung
ihrer Existenz an sich wäre, auch die Handlungen die-
ser Wesen blos seine Handlungen seyn müßten, die er
irgendwo und irgendwann ausübte. Daher schließt

der

I. Th. I. B. III. Hauptſt. Von den Triebfedern
derſpruche ausweichen wollen, den ſie begehen, wenn
ſie das Daſeyn in der Zeit als den endlichen Dingen an
ſich nothwendig anhaͤngende Beſtimmung anſehen, da
Gott die Urſache dieſes Daſeyns iſt, er aber doch nicht
die Urſache der Zeit (oder des Raums) ſelbſt ſeyn
kann, (weil dieſe als nothwendige Bedingung a priori
dem Daſeyn der Dinge vorausgeſetzt ſeyn muß,) ſeine
Cauſalitaͤt folglich in Anſehung der Exiſtenz dieſer Din-
ge, ſelbſt der Zeit nach, bedingt ſeyn muß, wobey nun
alle die Widerſpruͤche gegen die Begriffe ſeiner Unendlich-
keit und Unabhaͤngigkeit unvermeidlich eintreten muͤſſen.
Hingegen iſt es uns ganz leicht, die Beſtimmung der
goͤttlichen Exiſtenz, als unabhaͤngig von allen Zeitbe-
dingungen, zum Unterſchiede von der eines Weſens
der Sinnenwelt, als die Exiſtenz eines Weſens an
ſich ſelbſt
, von der eines Dinges in der Erſcheinung
zu unterſcheiden. Daher, wenn man jene Idealitaͤt
der Zeit und des Raums nicht annimmt, nur allein der
Spinozism uͤbrig bleibt, in welchem Raum und Zeit
weſentliche Beſtimmungen des Urweſens ſelbſt ſind, die
von ihm abhaͤngige Dinge aber (alſo auch wir ſelbſt)
nicht Subſtanzen, ſondern blos ihm inhaͤrirende Acci-
denzen ſind; weil, wenn dieſe Dinge blos, als ſeine
Wirkungen, in der Zeit exiſtiren, welche die Bedingung
ihrer Exiſtenz an ſich waͤre, auch die Handlungen die-
ſer Weſen blos ſeine Handlungen ſeyn muͤßten, die er
irgendwo und irgendwann ausuͤbte. Daher ſchließt

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0190" n="182"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> B. <hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;t. Von den Triebfedern</fw><lb/>
der&#x017F;pruche ausweichen wollen, den &#x017F;ie begehen, wenn<lb/>
&#x017F;ie das Da&#x017F;eyn in der Zeit als den endlichen Dingen an<lb/>
&#x017F;ich nothwendig anha&#x0364;ngende Be&#x017F;timmung an&#x017F;ehen, da<lb/>
Gott die Ur&#x017F;ache die&#x017F;es Da&#x017F;eyns i&#x017F;t, er aber doch nicht<lb/>
die Ur&#x017F;ache der Zeit (oder des Raums) &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eyn<lb/>
kann, (weil die&#x017F;e als nothwendige Bedingung <hi rendition="#aq">a priori</hi><lb/>
dem Da&#x017F;eyn der Dinge vorausge&#x017F;etzt &#x017F;eyn muß,) &#x017F;eine<lb/>
Cau&#x017F;alita&#x0364;t folglich in An&#x017F;ehung der Exi&#x017F;tenz die&#x017F;er Din-<lb/>
ge, &#x017F;elb&#x017F;t der Zeit nach, bedingt &#x017F;eyn muß, wobey nun<lb/>
alle die Wider&#x017F;pru&#x0364;che gegen die Begriffe &#x017F;einer Unendlich-<lb/>
keit und Unabha&#x0364;ngigkeit unvermeidlich eintreten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Hingegen i&#x017F;t es uns ganz leicht, die Be&#x017F;timmung der<lb/>
go&#x0364;ttlichen Exi&#x017F;tenz, als unabha&#x0364;ngig von allen Zeitbe-<lb/>
dingungen, zum Unter&#x017F;chiede von der eines We&#x017F;ens<lb/>
der Sinnenwelt, als die <hi rendition="#fr">Exi&#x017F;tenz eines We&#x017F;ens an<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi>, von der eines <hi rendition="#fr">Dinges in der Er&#x017F;cheinung</hi><lb/>
zu unter&#x017F;cheiden. Daher, wenn man jene Idealita&#x0364;t<lb/>
der Zeit und des Raums nicht annimmt, nur allein der<lb/><hi rendition="#fr">Spinozism</hi> u&#x0364;brig bleibt, in welchem Raum und Zeit<lb/>
we&#x017F;entliche Be&#x017F;timmungen des Urwe&#x017F;ens &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind, die<lb/>
von ihm abha&#x0364;ngige Dinge aber (al&#x017F;o auch wir &#x017F;elb&#x017F;t)<lb/>
nicht Sub&#x017F;tanzen, &#x017F;ondern blos ihm inha&#x0364;rirende Acci-<lb/>
denzen &#x017F;ind; weil, wenn die&#x017F;e Dinge blos, als &#x017F;eine<lb/>
Wirkungen, <hi rendition="#fr">in der Zeit</hi> exi&#x017F;tiren, welche die Bedingung<lb/>
ihrer Exi&#x017F;tenz an &#x017F;ich wa&#x0364;re, auch die Handlungen die-<lb/>
&#x017F;er We&#x017F;en blos &#x017F;eine Handlungen &#x017F;eyn mu&#x0364;ßten, die er<lb/>
irgendwo und irgendwann ausu&#x0364;bte. Daher &#x017F;chließt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0190] I. Th. I. B. III. Hauptſt. Von den Triebfedern derſpruche ausweichen wollen, den ſie begehen, wenn ſie das Daſeyn in der Zeit als den endlichen Dingen an ſich nothwendig anhaͤngende Beſtimmung anſehen, da Gott die Urſache dieſes Daſeyns iſt, er aber doch nicht die Urſache der Zeit (oder des Raums) ſelbſt ſeyn kann, (weil dieſe als nothwendige Bedingung a priori dem Daſeyn der Dinge vorausgeſetzt ſeyn muß,) ſeine Cauſalitaͤt folglich in Anſehung der Exiſtenz dieſer Din- ge, ſelbſt der Zeit nach, bedingt ſeyn muß, wobey nun alle die Widerſpruͤche gegen die Begriffe ſeiner Unendlich- keit und Unabhaͤngigkeit unvermeidlich eintreten muͤſſen. Hingegen iſt es uns ganz leicht, die Beſtimmung der goͤttlichen Exiſtenz, als unabhaͤngig von allen Zeitbe- dingungen, zum Unterſchiede von der eines Weſens der Sinnenwelt, als die Exiſtenz eines Weſens an ſich ſelbſt, von der eines Dinges in der Erſcheinung zu unterſcheiden. Daher, wenn man jene Idealitaͤt der Zeit und des Raums nicht annimmt, nur allein der Spinozism uͤbrig bleibt, in welchem Raum und Zeit weſentliche Beſtimmungen des Urweſens ſelbſt ſind, die von ihm abhaͤngige Dinge aber (alſo auch wir ſelbſt) nicht Subſtanzen, ſondern blos ihm inhaͤrirende Acci- denzen ſind; weil, wenn dieſe Dinge blos, als ſeine Wirkungen, in der Zeit exiſtiren, welche die Bedingung ihrer Exiſtenz an ſich waͤre, auch die Handlungen die- ſer Weſen blos ſeine Handlungen ſeyn muͤßten, die er irgendwo und irgendwann ausuͤbte. Daher ſchließt der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/190
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/190>, abgerufen am 19.04.2024.