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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft überhaupt.
die Liebe zur Wissenschaft, mithin aller speculativen
Erkenntniß der Vernunft, so fern sie ihr, sowol zu je-
nem Begriffe, als auch dem practischen Bestimmungs-
grunde dienlich ist, unter dem Namen der Philosophie,
mit zu befassen, und doch den Hauptzweck, um dessent-
willen sie allein Weisheitslehre genannt werden kann,
nicht aus den Augen verlieren lassen. Anderen Theils
würde es auch nicht übel seyn, den Eigendünkel desjeni-
gen, der es wagte sich des Titels eines Philosophen
selbst anzumaaßen, abzuschrecken, wenn man ihm schon
durch die Definition den Maaßstab der Selbstschätzung
vorhielte, der seine Ansprüche sehr herabstimmen wird;
denn ein Weisheitslehrer zu seyn, möchte wol etwas
mehr, als einen Schüler bedeuten, der noch immer
nicht weit genug gekommen ist, um sich selbst, vielwe-
niger um andere, mit sicherer Erwartung eines so ho-
hen Zwecks, zu leiten; es würde einen Meister in
Kenntniß der Weisheit
bedeuten, welches mehr sagen
will, als ein bescheidener Mann sich selber anmaaßen
wird, und Philosophie würde, so wie die Weisheit,
selbst noch immer ein Ideal bleiben, welches objectiv
in der Vernunft allein vollständig vorgestellt wird, sub-
jectiv aber, für die Person, nur das Ziel seiner unauf-
hörlichen Bestrebung ist, und in dessen Besitz, unter
dem angemaaßten Namen eines Philosophen, zu seyn,
nur der vorzugeben berechtigt ist, der auch die unfehl-
bare Wirkung derselben (in Beherrschung seiner selbst,

und
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der reinen practiſchen Vernunft uͤberhaupt.
die Liebe zur Wiſſenſchaft, mithin aller ſpeculativen
Erkenntniß der Vernunft, ſo fern ſie ihr, ſowol zu je-
nem Begriffe, als auch dem practiſchen Beſtimmungs-
grunde dienlich iſt, unter dem Namen der Philoſophie,
mit zu befaſſen, und doch den Hauptzweck, um deſſent-
willen ſie allein Weisheitslehre genannt werden kann,
nicht aus den Augen verlieren laſſen. Anderen Theils
wuͤrde es auch nicht uͤbel ſeyn, den Eigenduͤnkel desjeni-
gen, der es wagte ſich des Titels eines Philoſophen
ſelbſt anzumaaßen, abzuſchrecken, wenn man ihm ſchon
durch die Definition den Maaßſtab der Selbſtſchaͤtzung
vorhielte, der ſeine Anſpruͤche ſehr herabſtimmen wird;
denn ein Weisheitslehrer zu ſeyn, moͤchte wol etwas
mehr, als einen Schuͤler bedeuten, der noch immer
nicht weit genug gekommen iſt, um ſich ſelbſt, vielwe-
niger um andere, mit ſicherer Erwartung eines ſo ho-
hen Zwecks, zu leiten; es wuͤrde einen Meiſter in
Kenntniß der Weisheit
bedeuten, welches mehr ſagen
will, als ein beſcheidener Mann ſich ſelber anmaaßen
wird, und Philoſophie wuͤrde, ſo wie die Weisheit,
ſelbſt noch immer ein Ideal bleiben, welches objectiv
in der Vernunft allein vollſtaͤndig vorgeſtellt wird, ſub-
jectiv aber, fuͤr die Perſon, nur das Ziel ſeiner unauf-
hoͤrlichen Beſtrebung iſt, und in deſſen Beſitz, unter
dem angemaaßten Namen eines Philoſophen, zu ſeyn,
nur der vorzugeben berechtigt iſt, der auch die unfehl-
bare Wirkung derſelben (in Beherrſchung ſeiner ſelbſt,

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[195/0203] der reinen practiſchen Vernunft uͤberhaupt. die Liebe zur Wiſſenſchaft, mithin aller ſpeculativen Erkenntniß der Vernunft, ſo fern ſie ihr, ſowol zu je- nem Begriffe, als auch dem practiſchen Beſtimmungs- grunde dienlich iſt, unter dem Namen der Philoſophie, mit zu befaſſen, und doch den Hauptzweck, um deſſent- willen ſie allein Weisheitslehre genannt werden kann, nicht aus den Augen verlieren laſſen. Anderen Theils wuͤrde es auch nicht uͤbel ſeyn, den Eigenduͤnkel desjeni- gen, der es wagte ſich des Titels eines Philoſophen ſelbſt anzumaaßen, abzuſchrecken, wenn man ihm ſchon durch die Definition den Maaßſtab der Selbſtſchaͤtzung vorhielte, der ſeine Anſpruͤche ſehr herabſtimmen wird; denn ein Weisheitslehrer zu ſeyn, moͤchte wol etwas mehr, als einen Schuͤler bedeuten, der noch immer nicht weit genug gekommen iſt, um ſich ſelbſt, vielwe- niger um andere, mit ſicherer Erwartung eines ſo ho- hen Zwecks, zu leiten; es wuͤrde einen Meiſter in Kenntniß der Weisheit bedeuten, welches mehr ſagen will, als ein beſcheidener Mann ſich ſelber anmaaßen wird, und Philoſophie wuͤrde, ſo wie die Weisheit, ſelbſt noch immer ein Ideal bleiben, welches objectiv in der Vernunft allein vollſtaͤndig vorgeſtellt wird, ſub- jectiv aber, fuͤr die Perſon, nur das Ziel ſeiner unauf- hoͤrlichen Beſtrebung iſt, und in deſſen Beſitz, unter dem angemaaßten Namen eines Philoſophen, zu ſeyn, nur der vorzugeben berechtigt iſt, der auch die unfehl- bare Wirkung derſelben (in Beherrſchung ſeiner ſelbſt, und N 2

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/203>, abgerufen am 24.04.2024.