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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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Vorrede.

Auf diese Weise wären denn nunmehr die Prin-
cipien a priori zweyer Vermögen des Gemüths, des

Er-
te (practisch-objectiv Mögliche und Unmögliche) mit der
nächstfolgenden Categorie der Pflicht und des Pflicht-
widrigen
im gemeinen Sprachgebrauche beynahe einer-
ley Sinn; hier aber soll das erstere dasjenige bedeuten,
was mit einer blos möglichen practischen Vorschrift in
Einstimmung oder Widerstreit ist (wie etwa die Auflö-
sung aller Probleme der Geometrie und Mechanik), das
zweyte, was in solcher Beziehung auf ein in der Ver-
nunft überhaupt wirklich liegendes Gesetz steht; und
dieser Unterschied der Bedeutung ist auch dem gemeinen
Sprachgebrauche nicht ganz fremd, wenn gleich etwas
ungewöhnlich. So ist es z. B. einem Redner, als sol-
chem, unerlaubt, neue Worte oder Wortfügungen zu
schmieden; dem Dichter ist es in gewissem Maaße er-
laubt; in keinem von beiden wird hier an Pflicht gedacht.
Denn wer sich um den Ruf eines Redners bringen will,
dem kann es niemand wehren. Es ist hier nur um den
Unterschied der Imperativen unter problematischem,
assertorischen
und apodictischen Bestimmungsgrunde,
zu thun. Eben so habe ich in derjenigen Note, wo ich
die moralischen Ideen practischer Vollkommenheit in ver-
schie-
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Vorrede.

Auf dieſe Weiſe waͤren denn nunmehr die Prin-
cipien a priori zweyer Vermoͤgen des Gemuͤths, des

Er-
te (practiſch-objectiv Moͤgliche und Unmoͤgliche) mit der
naͤchſtfolgenden Categorie der Pflicht und des Pflicht-
widrigen
im gemeinen Sprachgebrauche beynahe einer-
ley Sinn; hier aber ſoll das erſtere dasjenige bedeuten,
was mit einer blos moͤglichen practiſchen Vorſchrift in
Einſtimmung oder Widerſtreit iſt (wie etwa die Aufloͤ-
ſung aller Probleme der Geometrie und Mechanik), das
zweyte, was in ſolcher Beziehung auf ein in der Ver-
nunft uͤberhaupt wirklich liegendes Geſetz ſteht; und
dieſer Unterſchied der Bedeutung iſt auch dem gemeinen
Sprachgebrauche nicht ganz fremd, wenn gleich etwas
ungewoͤhnlich. So iſt es z. B. einem Redner, als ſol-
chem, unerlaubt, neue Worte oder Wortfuͤgungen zu
ſchmieden; dem Dichter iſt es in gewiſſem Maaße er-
laubt; in keinem von beiden wird hier an Pflicht gedacht.
Denn wer ſich um den Ruf eines Redners bringen will,
dem kann es niemand wehren. Es iſt hier nur um den
Unterſchied der Imperativen unter problematiſchem,
aſſertoriſchen
und apodictiſchen Beſtimmungsgrunde,
zu thun. Eben ſo habe ich in derjenigen Note, wo ich
die moraliſchen Ideen practiſcher Vollkommenheit in ver-
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[21/0029] Vorrede. Auf dieſe Weiſe waͤren denn nunmehr die Prin- cipien a priori zweyer Vermoͤgen des Gemuͤths, des Er- *) *) te (practiſch-objectiv Moͤgliche und Unmoͤgliche) mit der naͤchſtfolgenden Categorie der Pflicht und des Pflicht- widrigen im gemeinen Sprachgebrauche beynahe einer- ley Sinn; hier aber ſoll das erſtere dasjenige bedeuten, was mit einer blos moͤglichen practiſchen Vorſchrift in Einſtimmung oder Widerſtreit iſt (wie etwa die Aufloͤ- ſung aller Probleme der Geometrie und Mechanik), das zweyte, was in ſolcher Beziehung auf ein in der Ver- nunft uͤberhaupt wirklich liegendes Geſetz ſteht; und dieſer Unterſchied der Bedeutung iſt auch dem gemeinen Sprachgebrauche nicht ganz fremd, wenn gleich etwas ungewoͤhnlich. So iſt es z. B. einem Redner, als ſol- chem, unerlaubt, neue Worte oder Wortfuͤgungen zu ſchmieden; dem Dichter iſt es in gewiſſem Maaße er- laubt; in keinem von beiden wird hier an Pflicht gedacht. Denn wer ſich um den Ruf eines Redners bringen will, dem kann es niemand wehren. Es iſt hier nur um den Unterſchied der Imperativen unter problematiſchem, aſſertoriſchen und apodictiſchen Beſtimmungsgrunde, zu thun. Eben ſo habe ich in derjenigen Note, wo ich die moraliſchen Ideen practiſcher Vollkommenheit in ver- ſchie- B 3

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/29>, abgerufen am 29.03.2024.