Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

der reinen practischen Vernunft.
nen Werth haben mag, die allervollkommenste Hochach-
tung, und wir finden unsere Seele durch ein solches
Beyspiel gestärkt und erhoben, wenn wir an demselben
uns überzeugen können, daß die menschliche Natur zu
einer so großen Erhebung über alles, was Natur nur im-
mer an Triebfedern zum Gegentheil aufbringen mag,
fähig sey. Juvenal stellt ein solches Beyspiel in einer
Steigerung vor, die den Leser die Kraft der Triebfeder,
die im reinen Gesetze der Pflicht, als Pflicht, steckt, leb-
haft empfinden läßt:

Esto bonus miles, tutor bonus, arbiter idem
Integer; ambiguae si quando citabere testis
Incertaeque rei, Phalaris licet imperet, ut sis
Falsus, et admoto dictet perinria tauro,
Summum crede nefas animam praeferre pudori,
Et propter vitam vivendi perdere caussas.

Wenn wir irgend etwas Schmeichelhaftes vom
Verdienstlichen in unsere Handlung bringen können,
denn ist die Triebfeder schon mit Eigenliebe etwas ver-
mischt, hat also einige Beyhülfe von der Seite der Sinn-
lichkeit. Aber der Heiligkeit der Pflicht allein alles nach-
setzen, und sich bewußt werden, daß man es könne, weil
unsere eigene Vernunft dieses als hir Gebot anerkennt,
und sagt, daß man es thun solle, das heißt sich gleich-
sam über die Sinnenwelt selbst gänzlich erheben, und
ist in demselben Bewußtseyn des Gesetzes auch als Trieb-
feder eines die Sinnlichkeit beherrschenden Vermögens

unzer-

der reinen practiſchen Vernunft.
nen Werth haben mag, die allervollkommenſte Hochach-
tung, und wir finden unſere Seele durch ein ſolches
Beyſpiel geſtaͤrkt und erhoben, wenn wir an demſelben
uns uͤberzeugen koͤnnen, daß die menſchliche Natur zu
einer ſo großen Erhebung uͤber alles, was Natur nur im-
mer an Triebfedern zum Gegentheil aufbringen mag,
faͤhig ſey. Juvenal ſtellt ein ſolches Beyſpiel in einer
Steigerung vor, die den Leſer die Kraft der Triebfeder,
die im reinen Geſetze der Pflicht, als Pflicht, ſteckt, leb-
haft empfinden laͤßt:

Eſto bonus miles, tutor bonus, arbiter idem
Integer; ambiguae ſi quando citabere teſtis
Incertaeque rei, Phalaris licet imperet, ut ſis
Falſus, et admoto dictet perinria tauro,
Summum crede nefas animam praeferre pudori,
Et propter vitam vivendi perdere cauſſas.

Wenn wir irgend etwas Schmeichelhaftes vom
Verdienſtlichen in unſere Handlung bringen koͤnnen,
denn iſt die Triebfeder ſchon mit Eigenliebe etwas ver-
miſcht, hat alſo einige Beyhuͤlfe von der Seite der Sinn-
lichkeit. Aber der Heiligkeit der Pflicht allein alles nach-
ſetzen, und ſich bewußt werden, daß man es koͤnne, weil
unſere eigene Vernunft dieſes als hir Gebot anerkennt,
und ſagt, daß man es thun ſolle, das heißt ſich gleich-
ſam uͤber die Sinnenwelt ſelbſt gaͤnzlich erheben, und
iſt in demſelben Bewußtſeyn des Geſetzes auch als Trieb-
feder eines die Sinnlichkeit beherrſchenden Vermoͤgens

unzer-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0291" n="283"/><fw place="top" type="header">der reinen practi&#x017F;chen Vernunft.</fw><lb/>
nen Werth haben mag, die allervollkommen&#x017F;te Hochach-<lb/>
tung, und wir finden un&#x017F;ere Seele durch ein &#x017F;olches<lb/>
Bey&#x017F;piel ge&#x017F;ta&#x0364;rkt und erhoben, wenn wir an dem&#x017F;elben<lb/>
uns u&#x0364;berzeugen ko&#x0364;nnen, daß die men&#x017F;chliche Natur zu<lb/>
einer &#x017F;o großen Erhebung u&#x0364;ber alles, was Natur nur im-<lb/>
mer an Triebfedern zum Gegentheil aufbringen mag,<lb/>
fa&#x0364;hig &#x017F;ey. <hi rendition="#fr">Juvenal</hi> &#x017F;tellt ein &#x017F;olches Bey&#x017F;piel in einer<lb/>
Steigerung vor, die den Le&#x017F;er die Kraft der Triebfeder,<lb/>
die im reinen Ge&#x017F;etze der Pflicht, als Pflicht, &#x017F;teckt, leb-<lb/>
haft empfinden la&#x0364;ßt:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l> <hi rendition="#aq">E&#x017F;to bonus miles, tutor bonus, arbiter idem</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">Integer; ambiguae &#x017F;i quando citabere te&#x017F;tis</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">Incertaeque rei, Phalaris licet imperet, ut &#x017F;is</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">Fal&#x017F;us, et admoto dictet perinria tauro,</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">Summum crede nefas animam praeferre pudori,</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">Et propter vitam vivendi perdere cau&#x017F;&#x017F;as.</hi> </l>
        </lg><lb/>
        <p>Wenn wir irgend etwas Schmeichelhaftes vom<lb/>
Verdien&#x017F;tlichen in un&#x017F;ere Handlung bringen ko&#x0364;nnen,<lb/>
denn i&#x017F;t die Triebfeder &#x017F;chon mit Eigenliebe etwas ver-<lb/>
mi&#x017F;cht, hat al&#x017F;o einige Beyhu&#x0364;lfe von der Seite der Sinn-<lb/>
lichkeit. Aber der Heiligkeit der Pflicht allein alles nach-<lb/>
&#x017F;etzen, und &#x017F;ich bewußt werden, daß man es <hi rendition="#fr">ko&#x0364;nne,</hi> weil<lb/>
un&#x017F;ere eigene Vernunft die&#x017F;es als hir Gebot anerkennt,<lb/>
und &#x017F;agt, daß man es thun <hi rendition="#fr">&#x017F;olle,</hi> das heißt &#x017F;ich gleich-<lb/>
&#x017F;am u&#x0364;ber die Sinnenwelt &#x017F;elb&#x017F;t ga&#x0364;nzlich erheben, und<lb/>
i&#x017F;t in dem&#x017F;elben Bewußt&#x017F;eyn des Ge&#x017F;etzes auch als Trieb-<lb/>
feder eines <hi rendition="#fr">die Sinnlichkeit beherr&#x017F;chenden</hi> Vermo&#x0364;gens<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">unzer-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0291] der reinen practiſchen Vernunft. nen Werth haben mag, die allervollkommenſte Hochach- tung, und wir finden unſere Seele durch ein ſolches Beyſpiel geſtaͤrkt und erhoben, wenn wir an demſelben uns uͤberzeugen koͤnnen, daß die menſchliche Natur zu einer ſo großen Erhebung uͤber alles, was Natur nur im- mer an Triebfedern zum Gegentheil aufbringen mag, faͤhig ſey. Juvenal ſtellt ein ſolches Beyſpiel in einer Steigerung vor, die den Leſer die Kraft der Triebfeder, die im reinen Geſetze der Pflicht, als Pflicht, ſteckt, leb- haft empfinden laͤßt: Eſto bonus miles, tutor bonus, arbiter idem Integer; ambiguae ſi quando citabere teſtis Incertaeque rei, Phalaris licet imperet, ut ſis Falſus, et admoto dictet perinria tauro, Summum crede nefas animam praeferre pudori, Et propter vitam vivendi perdere cauſſas. Wenn wir irgend etwas Schmeichelhaftes vom Verdienſtlichen in unſere Handlung bringen koͤnnen, denn iſt die Triebfeder ſchon mit Eigenliebe etwas ver- miſcht, hat alſo einige Beyhuͤlfe von der Seite der Sinn- lichkeit. Aber der Heiligkeit der Pflicht allein alles nach- ſetzen, und ſich bewußt werden, daß man es koͤnne, weil unſere eigene Vernunft dieſes als hir Gebot anerkennt, und ſagt, daß man es thun ſolle, das heißt ſich gleich- ſam uͤber die Sinnenwelt ſelbſt gaͤnzlich erheben, und iſt in demſelben Bewußtſeyn des Geſetzes auch als Trieb- feder eines die Sinnlichkeit beherrſchenden Vermoͤgens unzer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/291
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/291>, abgerufen am 25.04.2024.