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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.
ralischen Gesetzes willen geschehen, und also sie nicht
allein sittliche Richtigkeit, als That, sondern auch sitt-
lichen Werth, als Gesinnung, ihrer Maxime nach ha-
be. Nun ist kein Zweifel, daß diese Uebung, und das
Bewußtseyn einer daraus entspringenden Cultur unserer
blos über das Practische urtheilenden Vernunft, ein ge-
wisses Interesse, selbst am Gesetze derselben, mithin an
sittlich guten Handlungen nach und nach hervorbringen
müsse. Denn wir gewinnen endlich das lieb, dessen
Betrachtung uns den erweiterten Gebrauch unserer Er-
kenntnißkräfte empfinden läßt, welchen vornemlich das-
jenige befördert, worin wir moralische Richtigkeit an-
treffen; weil sich die Vernunft in einer solchen Ordnung
der Dinge mit ihrem Vermögen, a priori nach Princi-
pien zu bestimmen was geschehen soll, allein gut finden
kann. Gewinnt doch ein Naturbeobachter Gegenstände,
die seinen Sinnen anfangs anstößig sind, endlich lieb,
wenn er die große Zweckmäßigkeit ihrer Organisation
daran entdeckt, und so seine Vernunft an ihrer Betrach-
tung weidet, und Leibnitz brachte ein Insect, welches er
durchs Microscop sorgfältig betrachtet hatte, schonend
wiederum auf sein Blatt zurück, weil er sich durch seinen
Anblick belehrt gefunden, und von ihm gleichsam eine
Wohlthat genossen hatte.

Aber diese Beschäfftigung der Urtheilskraft, wel-
che uns unsere eigene Erkenntnißkräfte fühlen läßt, ist

noch

der reinen practiſchen Vernunft.
raliſchen Geſetzes willen geſchehen, und alſo ſie nicht
allein ſittliche Richtigkeit, als That, ſondern auch ſitt-
lichen Werth, als Geſinnung, ihrer Maxime nach ha-
be. Nun iſt kein Zweifel, daß dieſe Uebung, und das
Bewußtſeyn einer daraus entſpringenden Cultur unſerer
blos uͤber das Practiſche urtheilenden Vernunft, ein ge-
wiſſes Intereſſe, ſelbſt am Geſetze derſelben, mithin an
ſittlich guten Handlungen nach und nach hervorbringen
muͤſſe. Denn wir gewinnen endlich das lieb, deſſen
Betrachtung uns den erweiterten Gebrauch unſerer Er-
kenntnißkraͤfte empfinden laͤßt, welchen vornemlich das-
jenige befoͤrdert, worin wir moraliſche Richtigkeit an-
treffen; weil ſich die Vernunft in einer ſolchen Ordnung
der Dinge mit ihrem Vermoͤgen, a priori nach Princi-
pien zu beſtimmen was geſchehen ſoll, allein gut finden
kann. Gewinnt doch ein Naturbeobachter Gegenſtaͤnde,
die ſeinen Sinnen anfangs anſtoͤßig ſind, endlich lieb,
wenn er die große Zweckmaͤßigkeit ihrer Organiſation
daran entdeckt, und ſo ſeine Vernunft an ihrer Betrach-
tung weidet, und Leibnitz brachte ein Inſect, welches er
durchs Microſcop ſorgfaͤltig betrachtet hatte, ſchonend
wiederum auf ſein Blatt zuruͤck, weil er ſich durch ſeinen
Anblick belehrt gefunden, und von ihm gleichſam eine
Wohlthat genoſſen hatte.

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[285/0293] der reinen practiſchen Vernunft. raliſchen Geſetzes willen geſchehen, und alſo ſie nicht allein ſittliche Richtigkeit, als That, ſondern auch ſitt- lichen Werth, als Geſinnung, ihrer Maxime nach ha- be. Nun iſt kein Zweifel, daß dieſe Uebung, und das Bewußtſeyn einer daraus entſpringenden Cultur unſerer blos uͤber das Practiſche urtheilenden Vernunft, ein ge- wiſſes Intereſſe, ſelbſt am Geſetze derſelben, mithin an ſittlich guten Handlungen nach und nach hervorbringen muͤſſe. Denn wir gewinnen endlich das lieb, deſſen Betrachtung uns den erweiterten Gebrauch unſerer Er- kenntnißkraͤfte empfinden laͤßt, welchen vornemlich das- jenige befoͤrdert, worin wir moraliſche Richtigkeit an- treffen; weil ſich die Vernunft in einer ſolchen Ordnung der Dinge mit ihrem Vermoͤgen, a priori nach Princi- pien zu beſtimmen was geſchehen ſoll, allein gut finden kann. Gewinnt doch ein Naturbeobachter Gegenſtaͤnde, die ſeinen Sinnen anfangs anſtoͤßig ſind, endlich lieb, wenn er die große Zweckmaͤßigkeit ihrer Organiſation daran entdeckt, und ſo ſeine Vernunft an ihrer Betrach- tung weidet, und Leibnitz brachte ein Inſect, welches er durchs Microſcop ſorgfaͤltig betrachtet hatte, ſchonend wiederum auf ſein Blatt zuruͤck, weil er ſich durch ſeinen Anblick belehrt gefunden, und von ihm gleichſam eine Wohlthat genoſſen hatte. Aber dieſe Beſchaͤfftigung der Urtheilskraft, wel- che uns unſere eigene Erkenntnißkraͤfte fuͤhlen laͤßt, iſt noch

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/293>, abgerufen am 29.03.2024.