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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.
darin ihn alle diese Bedürfnisse verflechten, angekündigt,
und das Gemüth für die Empfindung der Zufriedenheit
aus anderen Quellen empfänglich gemacht wird. Das
Herz wird doch von einer Last, die es jederzeit ingeheim
drückt, befreyt und erleichtert, wenn an reinen morali-
schen Entschließungen, davon Beyspiele vorgelegt wer-
den, dem Menschen ein inneres, ihm selbst sonst nicht
einmal recht bekanntes Vermögen, die innere Freyheit,
aufgedeckt wird, sich von der ungestümen Zudringlichkeit
der Neigungen dermaßen loszumachen, daß gar keine,
selbst die beliebteste nicht, auf eine Entschließung, zu der
wir uns jetzt unserer Vernunft bedienen sollen, Einfluß
habe. In einem Falle, wo ich nur allein weiß, daß
das Unrecht auf meiner Seite sey, und obgleich das
freye Geständniß desselben, und die Anerbietung zur Ge-
nugthuung an der Eitelkeit, dem Eigennutze, selbst dem
sonst nicht unrechtmäßigen Widerwillen gegen den, des-
sen Recht von mir geschmälert ist, so großen Widerspruch
findet, dennoch mich über alle diese Bedenklichkeiten
wegsetzen kann, ist doch ein Bewußtseyn einer Unabhän-
gigkeit von Neigungen und von Glücksumständen, und
der Möglichkeit sich selbst genug zu seyn, enthalten, wel-
che mir überall auch in anderer Absicht heilsam ist. Und
nun findet das Gesetz der Pflicht, durch den positiven
Werth, den uns die Befolgung desselben empfinden läßt,
leichteren Eingang durch die Achtung für uns selbst im
Bewußtseyn unserer Freyheit. Auf diese, wenn sie wohl

ge-

der reinen practiſchen Vernunft.
darin ihn alle dieſe Beduͤrfniſſe verflechten, angekuͤndigt,
und das Gemuͤth fuͤr die Empfindung der Zufriedenheit
aus anderen Quellen empfaͤnglich gemacht wird. Das
Herz wird doch von einer Laſt, die es jederzeit ingeheim
druͤckt, befreyt und erleichtert, wenn an reinen morali-
ſchen Entſchließungen, davon Beyſpiele vorgelegt wer-
den, dem Menſchen ein inneres, ihm ſelbſt ſonſt nicht
einmal recht bekanntes Vermoͤgen, die innere Freyheit,
aufgedeckt wird, ſich von der ungeſtuͤmen Zudringlichkeit
der Neigungen dermaßen loszumachen, daß gar keine,
ſelbſt die beliebteſte nicht, auf eine Entſchließung, zu der
wir uns jetzt unſerer Vernunft bedienen ſollen, Einfluß
habe. In einem Falle, wo ich nur allein weiß, daß
das Unrecht auf meiner Seite ſey, und obgleich das
freye Geſtaͤndniß deſſelben, und die Anerbietung zur Ge-
nugthuung an der Eitelkeit, dem Eigennutze, ſelbſt dem
ſonſt nicht unrechtmaͤßigen Widerwillen gegen den, deſ-
ſen Recht von mir geſchmaͤlert iſt, ſo großen Widerſpruch
findet, dennoch mich uͤber alle dieſe Bedenklichkeiten
wegſetzen kann, iſt doch ein Bewußtſeyn einer Unabhaͤn-
gigkeit von Neigungen und von Gluͤcksumſtaͤnden, und
der Moͤglichkeit ſich ſelbſt genug zu ſeyn, enthalten, wel-
che mir uͤberall auch in anderer Abſicht heilſam iſt. Und
nun findet das Geſetz der Pflicht, durch den poſitiven
Werth, den uns die Befolgung deſſelben empfinden laͤßt,
leichteren Eingang durch die Achtung fuͤr uns ſelbſt im
Bewußtſeyn unſerer Freyheit. Auf dieſe, wenn ſie wohl

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[287/0295] der reinen practiſchen Vernunft. darin ihn alle dieſe Beduͤrfniſſe verflechten, angekuͤndigt, und das Gemuͤth fuͤr die Empfindung der Zufriedenheit aus anderen Quellen empfaͤnglich gemacht wird. Das Herz wird doch von einer Laſt, die es jederzeit ingeheim druͤckt, befreyt und erleichtert, wenn an reinen morali- ſchen Entſchließungen, davon Beyſpiele vorgelegt wer- den, dem Menſchen ein inneres, ihm ſelbſt ſonſt nicht einmal recht bekanntes Vermoͤgen, die innere Freyheit, aufgedeckt wird, ſich von der ungeſtuͤmen Zudringlichkeit der Neigungen dermaßen loszumachen, daß gar keine, ſelbſt die beliebteſte nicht, auf eine Entſchließung, zu der wir uns jetzt unſerer Vernunft bedienen ſollen, Einfluß habe. In einem Falle, wo ich nur allein weiß, daß das Unrecht auf meiner Seite ſey, und obgleich das freye Geſtaͤndniß deſſelben, und die Anerbietung zur Ge- nugthuung an der Eitelkeit, dem Eigennutze, ſelbſt dem ſonſt nicht unrechtmaͤßigen Widerwillen gegen den, deſ- ſen Recht von mir geſchmaͤlert iſt, ſo großen Widerſpruch findet, dennoch mich uͤber alle dieſe Bedenklichkeiten wegſetzen kann, iſt doch ein Bewußtſeyn einer Unabhaͤn- gigkeit von Neigungen und von Gluͤcksumſtaͤnden, und der Moͤglichkeit ſich ſelbſt genug zu ſeyn, enthalten, wel- che mir uͤberall auch in anderer Abſicht heilſam iſt. Und nun findet das Geſetz der Pflicht, durch den poſitiven Werth, den uns die Befolgung deſſelben empfinden laͤßt, leichteren Eingang durch die Achtung fuͤr uns ſelbſt im Bewußtſeyn unſerer Freyheit. Auf dieſe, wenn ſie wohl ge-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/295>, abgerufen am 28.03.2024.