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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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I. Th. I. B. I Hauptst. Von den Grundsätzen
doch (wie bey den chemischen) annimmt, sie würden a priori
aus objectiven Gründen erkannt werden, wenn unsere Einsicht
tiefer gienge. Allein bey blos subjectiven practischen Princi-
pien wird das ausdrücklich zur Bedingung gemacht, daß ihnen
nicht objective, sondern subjective Bedingungen der Willkühr
zum Grunde liegen müssen; mithin, daß sie jederzeit nur als
bloße Maximen, niemals aber als practische Gesetze, vorstellig
gemacht werden dürfen. Diese letztere Anmerkung scheint beym
ersten Anblicke bloße Wortklauberey zu seyn; allein die Wort-
bestimmung des allerwichtigsten Unterschiedes, der nur in pra-
ctischen Untersuchungen in Betrachtung kommen mag.

§. 4.
Lehrsatz III.

Wenn ein vernünftiges Wesen sich seine Maximen
als practische allgemeine Gesetze denken soll, so kann
es sich dieselbe nur als solche Principien denken, die
nicht der Materie, sondern blos der Form nach, den
Bestimmungsgrund des Willens enthalten.

Die Materie eines practischen Princips ist der Ge-
genstand des Willens. Dieser ist entweder der Bestim-
mungsgrund des letzteren, oder nicht. Ist er der Be-
stimmungsgrund desselben, so würde die Regel des Wil-
lens einer empirischen Bedingung (dem Verhältnisse
der bestimmenden Vorstellung zum Gefühle der Lust
und Unlust) unterworfen, folglich kein practisches Ge-
setz seyn. Nun bleibt von einem Gesetze, wenn man
alle Materie, d. i. jeden Gegenstand des Willens (als
Bestimmungsgrund) davon absondert, nichts übrig,

als

I. Th. I. B. I Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
doch (wie bey den chemiſchen) annimmt, ſie wuͤrden a priori
aus objectiven Gruͤnden erkannt werden, wenn unſere Einſicht
tiefer gienge. Allein bey blos ſubjectiven practiſchen Princi-
pien wird das ausdruͤcklich zur Bedingung gemacht, daß ihnen
nicht objective, ſondern ſubjective Bedingungen der Willkuͤhr
zum Grunde liegen muͤſſen; mithin, daß ſie jederzeit nur als
bloße Maximen, niemals aber als practiſche Geſetze, vorſtellig
gemacht werden duͤrfen. Dieſe letztere Anmerkung ſcheint beym
erſten Anblicke bloße Wortklauberey zu ſeyn; allein die Wort-
beſtimmung des allerwichtigſten Unterſchiedes, der nur in pra-
ctiſchen Unterſuchungen in Betrachtung kommen mag.

§. 4.
Lehrſatz III.

Wenn ein vernuͤnftiges Weſen ſich ſeine Maximen
als practiſche allgemeine Geſetze denken ſoll, ſo kann
es ſich dieſelbe nur als ſolche Principien denken, die
nicht der Materie, ſondern blos der Form nach, den
Beſtimmungsgrund des Willens enthalten.

Die Materie eines practiſchen Princips iſt der Ge-
genſtand des Willens. Dieſer iſt entweder der Beſtim-
mungsgrund des letzteren, oder nicht. Iſt er der Be-
ſtimmungsgrund deſſelben, ſo wuͤrde die Regel des Wil-
lens einer empiriſchen Bedingung (dem Verhaͤltniſſe
der beſtimmenden Vorſtellung zum Gefuͤhle der Luſt
und Unluſt) unterworfen, folglich kein practiſches Ge-
ſetz ſeyn. Nun bleibt von einem Geſetze, wenn man
alle Materie, d. i. jeden Gegenſtand des Willens (als
Beſtimmungsgrund) davon abſondert, nichts uͤbrig,

als
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[48/0056] I. Th. I. B. I Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen doch (wie bey den chemiſchen) annimmt, ſie wuͤrden a priori aus objectiven Gruͤnden erkannt werden, wenn unſere Einſicht tiefer gienge. Allein bey blos ſubjectiven practiſchen Princi- pien wird das ausdruͤcklich zur Bedingung gemacht, daß ihnen nicht objective, ſondern ſubjective Bedingungen der Willkuͤhr zum Grunde liegen muͤſſen; mithin, daß ſie jederzeit nur als bloße Maximen, niemals aber als practiſche Geſetze, vorſtellig gemacht werden duͤrfen. Dieſe letztere Anmerkung ſcheint beym erſten Anblicke bloße Wortklauberey zu ſeyn; allein die Wort- beſtimmung des allerwichtigſten Unterſchiedes, der nur in pra- ctiſchen Unterſuchungen in Betrachtung kommen mag. §. 4. Lehrſatz III. Wenn ein vernuͤnftiges Weſen ſich ſeine Maximen als practiſche allgemeine Geſetze denken ſoll, ſo kann es ſich dieſelbe nur als ſolche Principien denken, die nicht der Materie, ſondern blos der Form nach, den Beſtimmungsgrund des Willens enthalten. Die Materie eines practiſchen Princips iſt der Ge- genſtand des Willens. Dieſer iſt entweder der Beſtim- mungsgrund des letzteren, oder nicht. Iſt er der Be- ſtimmungsgrund deſſelben, ſo wuͤrde die Regel des Wil- lens einer empiriſchen Bedingung (dem Verhaͤltniſſe der beſtimmenden Vorſtellung zum Gefuͤhle der Luſt und Unluſt) unterworfen, folglich kein practiſches Ge- ſetz ſeyn. Nun bleibt von einem Geſetze, wenn man alle Materie, d. i. jeden Gegenſtand des Willens (als Beſtimmungsgrund) davon abſondert, nichts uͤbrig, als

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/56>, abgerufen am 28.03.2024.