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Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907.

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bringen können. Jhnen muß in letzter Linie die Entscheidung über die gesetz
geberisch bedeutsamen Fragen zufallen. Wie wir die Volkswehr und das Volks-
gericht fordern, so auch die Volksgesetzgebung. Wie jeder Bürger Wehrmann und
Richter werden soll, so muß, wie vordem in dem Zeitalter germanischer Volks-
freiheit, jedermann wieder Gesetzgeber sein. Er muß diese Rechte zeitweise in
eigener Person ausüben. Nur wenn jeder Bürger endgültig über die Gesetze ent-
scheidet, schützt sich das Volk vor der Knechtschaft. Verzichtet es auf das Recht,
über Gesetze den letzten Entscheid zu geben, heißt es schon in einem von Karl
Bürlli an den Baseler Kongreß der Jnternationalen Arbeiter-Assoziation 1869
erstatteten Berichte, überläßt es diese Pflicht einem Einzigen oder nur Wenigen,
so werden diese sich bald das Recht herausnehmen, die Gesetze nur für sich und
gegen das allgemeine Wohl zu machen.

Die naturnotwendige Folge der Repräsentativ-Verfassung, d.h. derjenigen
Verfassung, bei welcher das Volk durch seine Vertreter (Repräsentanten) an der
Gesetzgebung mitwirkt, ist die direkte Gesetzgebung durch das Volk. Diese letztere ist
nur der volkstümliche Ausbau jener Einrichtung. Schon die französische Ver-
fassung von 1793 hat die leider nie in Kraft getretene direkte Gesetzgebung durch
das Volk, wenn auch noch in wenig entwickelter Gestalt, als sogen. Veto, wonach
eine gewisse Anzahl Stimmberechtigter Einsprache gegen ein neues Gesetz erheben
kann, worauf es dem Volk zur Abstimmung vorzulegen ist. (Artikel 53, 58, 59 der
Konstitution von 1793). Die politische Geschichte unseres freistaatlichen Nachbar
landes, der Schweiz, ist ein lehrreiches Beispiel für den Siegeslauf jenes volks-
tümlichen, historisch bedingten Gedankens. Die Volksgesetzgebung findet sich seit
Jahrhunderten schon, urwüchsig-altfränkisch, in den Landgemeinde-Kantonen der
Schweiz (das Handmehr, das heißt die offene Abstimmung). Reich ausgestaltet,
in neuzeitlichen Formen herrscht sie heute in der Mehrzahl der Schweizer Kan-
tone, am höchsten ausgebildet in Zürich. Je größer das Gemeinwesen, desto
stärker der Zwang, sich den jetzigen Zuständen anzupassen, keine schwere Aufgabe
in der Zeit des Dampfes und der Elektrizität. des Verkehrs, des lebhaftesten
Austausches der Gedanken. Geheime Abstimmung tritt an Stelle des Handmehrs,
gedruckte Erläuterungen der Gesetzesvorschläge, Erörterung in den Blättern, in
Versammlungen klären die Sachlage und befähigen die Bürger, nach bestem
Wissen und Gewissen über die Gesetze zu entscheiden.

Die direkte Gesetzgebung durch das Volk, wie sie sich in den größeren Staats-
verbänden der Schweiz gestaltet hat. setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen,
einem anregenden und einem beschließenden, aus dem Vorschlagsrecht des Volkes,
auch Volksinitiative genannt, und aus der Volksabstimmung über die Gesetze,
dem sogenannten Referendum. Zwischen beiden wirkt als regelmäßiges Organ
der Rat, die gewählte Volksvertretung, der nicht mehr ein gesetzgebender, sondern
nur noch ein gesetzvorschlagender, d. h. ein bloßer Ratgeber ist, dessen Rat das
Volk annehmen oder verwerfen kann. So steht der Rat zwischen zwei Feuern.
Schlägt er schlechte Gesetze vor, so werden sie durch die Volksabstimmung (Refe-
rendum) verworfen. Will der Rat, das Parlament, keine guten Gesetze vor-
schlagen, so tritt die Volksinitiative in Tätigkeit und macht selbst Vorschläge. Nach
dem Züricher Grundgesetz vom 18. April 1869, an welchem auch F. A. Lange, der
Verfasser der "Arbeiterfrage" eifrig mitgearbeitet hat, kann sich die Volksinitia-
tive auf zweierlei Weise äußern. Wenn der fünfzehnte Teil des Volkes einen
Vorschlag macht, muß dieser vor die Volksabstimmung gebracht werden. Macht
ein Einzelner einen Vorschlag, dem ein Drittel des Rats zustimmt, muß eben-
falls darüber durch das Volk abgestimmt werden. Auch die Bundesverfassung der
Eidgenossenschaft kennt seit 1874 wenigstens das fakultative Referendum, und die
im Grütliverein zusammengeschlossene schweizerische Arbeiterschaft hat bereits in
einer Eingabe vom 5. April 1889 die Einführung des obligatorischen Referen-
dums und der Volksinitiative in eidgenössischen Angelegenheiten verlangt.

bringen können. Jhnen muß in letzter Linie die Entscheidung über die gesetz
geberisch bedeutsamen Fragen zufallen. Wie wir die Volkswehr und das Volks-
gericht fordern, so auch die Volksgesetzgebung. Wie jeder Bürger Wehrmann und
Richter werden soll, so muß, wie vordem in dem Zeitalter germanischer Volks-
freiheit, jedermann wieder Gesetzgeber sein. Er muß diese Rechte zeitweise in
eigener Person ausüben. Nur wenn jeder Bürger endgültig über die Gesetze ent-
scheidet, schützt sich das Volk vor der Knechtschaft. Verzichtet es auf das Recht,
über Gesetze den letzten Entscheid zu geben, heißt es schon in einem von Karl
Bürlli an den Baseler Kongreß der Jnternationalen Arbeiter-Assoziation 1869
erstatteten Berichte, überläßt es diese Pflicht einem Einzigen oder nur Wenigen,
so werden diese sich bald das Recht herausnehmen, die Gesetze nur für sich und
gegen das allgemeine Wohl zu machen.

Die naturnotwendige Folge der Repräsentativ-Verfassung, d.h. derjenigen
Verfassung, bei welcher das Volk durch seine Vertreter (Repräsentanten) an der
Gesetzgebung mitwirkt, ist die direkte Gesetzgebung durch das Volk. Diese letztere ist
nur der volkstümliche Ausbau jener Einrichtung. Schon die französische Ver-
fassung von 1793 hat die leider nie in Kraft getretene direkte Gesetzgebung durch
das Volk, wenn auch noch in wenig entwickelter Gestalt, als sogen. Veto, wonach
eine gewisse Anzahl Stimmberechtigter Einsprache gegen ein neues Gesetz erheben
kann, worauf es dem Volk zur Abstimmung vorzulegen ist. (Artikel 53, 58, 59 der
Konstitution von 1793). Die politische Geschichte unseres freistaatlichen Nachbar
landes, der Schweiz, ist ein lehrreiches Beispiel für den Siegeslauf jenes volks-
tümlichen, historisch bedingten Gedankens. Die Volksgesetzgebung findet sich seit
Jahrhunderten schon, urwüchsig-altfränkisch, in den Landgemeinde-Kantonen der
Schweiz (das Handmehr, das heißt die offene Abstimmung). Reich ausgestaltet,
in neuzeitlichen Formen herrscht sie heute in der Mehrzahl der Schweizer Kan-
tone, am höchsten ausgebildet in Zürich. Je größer das Gemeinwesen, desto
stärker der Zwang, sich den jetzigen Zuständen anzupassen, keine schwere Aufgabe
in der Zeit des Dampfes und der Elektrizität. des Verkehrs, des lebhaftesten
Austausches der Gedanken. Geheime Abstimmung tritt an Stelle des Handmehrs,
gedruckte Erläuterungen der Gesetzesvorschläge, Erörterung in den Blättern, in
Versammlungen klären die Sachlage und befähigen die Bürger, nach bestem
Wissen und Gewissen über die Gesetze zu entscheiden.

Die direkte Gesetzgebung durch das Volk, wie sie sich in den größeren Staats-
verbänden der Schweiz gestaltet hat. setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen,
einem anregenden und einem beschließenden, aus dem Vorschlagsrecht des Volkes,
auch Volksinitiative genannt, und aus der Volksabstimmung über die Gesetze,
dem sogenannten Referendum. Zwischen beiden wirkt als regelmäßiges Organ
der Rat, die gewählte Volksvertretung, der nicht mehr ein gesetzgebender, sondern
nur noch ein gesetzvorschlagender, d. h. ein bloßer Ratgeber ist, dessen Rat das
Volk annehmen oder verwerfen kann. So steht der Rat zwischen zwei Feuern.
Schlägt er schlechte Gesetze vor, so werden sie durch die Volksabstimmung (Refe-
rendum) verworfen. Will der Rat, das Parlament, keine guten Gesetze vor-
schlagen, so tritt die Volksinitiative in Tätigkeit und macht selbst Vorschläge. Nach
dem Züricher Grundgesetz vom 18. April 1869, an welchem auch F. A. Lange, der
Verfasser der „Arbeiterfrage“ eifrig mitgearbeitet hat, kann sich die Volksinitia-
tive auf zweierlei Weise äußern. Wenn der fünfzehnte Teil des Volkes einen
Vorschlag macht, muß dieser vor die Volksabstimmung gebracht werden. Macht
ein Einzelner einen Vorschlag, dem ein Drittel des Rats zustimmt, muß eben-
falls darüber durch das Volk abgestimmt werden. Auch die Bundesverfassung der
Eidgenossenschaft kennt seit 1874 wenigstens das fakultative Referendum, und die
im Grütliverein zusammengeschlossene schweizerische Arbeiterschaft hat bereits in
einer Eingabe vom 5. April 1889 die Einführung des obligatorischen Referen-
dums und der Volksinitiative in eidgenössischen Angelegenheiten verlangt.

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[35/0037] bringen können. Jhnen muß in letzter Linie die Entscheidung über die gesetz geberisch bedeutsamen Fragen zufallen. Wie wir die Volkswehr und das Volks- gericht fordern, so auch die Volksgesetzgebung. Wie jeder Bürger Wehrmann und Richter werden soll, so muß, wie vordem in dem Zeitalter germanischer Volks- freiheit, jedermann wieder Gesetzgeber sein. Er muß diese Rechte zeitweise in eigener Person ausüben. Nur wenn jeder Bürger endgültig über die Gesetze ent- scheidet, schützt sich das Volk vor der Knechtschaft. Verzichtet es auf das Recht, über Gesetze den letzten Entscheid zu geben, heißt es schon in einem von Karl Bürlli an den Baseler Kongreß der Jnternationalen Arbeiter-Assoziation 1869 erstatteten Berichte, überläßt es diese Pflicht einem Einzigen oder nur Wenigen, so werden diese sich bald das Recht herausnehmen, die Gesetze nur für sich und gegen das allgemeine Wohl zu machen. Die naturnotwendige Folge der Repräsentativ-Verfassung, d.h. derjenigen Verfassung, bei welcher das Volk durch seine Vertreter (Repräsentanten) an der Gesetzgebung mitwirkt, ist die direkte Gesetzgebung durch das Volk. Diese letztere ist nur der volkstümliche Ausbau jener Einrichtung. Schon die französische Ver- fassung von 1793 hat die leider nie in Kraft getretene direkte Gesetzgebung durch das Volk, wenn auch noch in wenig entwickelter Gestalt, als sogen. Veto, wonach eine gewisse Anzahl Stimmberechtigter Einsprache gegen ein neues Gesetz erheben kann, worauf es dem Volk zur Abstimmung vorzulegen ist. (Artikel 53, 58, 59 der Konstitution von 1793). Die politische Geschichte unseres freistaatlichen Nachbar landes, der Schweiz, ist ein lehrreiches Beispiel für den Siegeslauf jenes volks- tümlichen, historisch bedingten Gedankens. Die Volksgesetzgebung findet sich seit Jahrhunderten schon, urwüchsig-altfränkisch, in den Landgemeinde-Kantonen der Schweiz (das Handmehr, das heißt die offene Abstimmung). Reich ausgestaltet, in neuzeitlichen Formen herrscht sie heute in der Mehrzahl der Schweizer Kan- tone, am höchsten ausgebildet in Zürich. Je größer das Gemeinwesen, desto stärker der Zwang, sich den jetzigen Zuständen anzupassen, keine schwere Aufgabe in der Zeit des Dampfes und der Elektrizität. des Verkehrs, des lebhaftesten Austausches der Gedanken. Geheime Abstimmung tritt an Stelle des Handmehrs, gedruckte Erläuterungen der Gesetzesvorschläge, Erörterung in den Blättern, in Versammlungen klären die Sachlage und befähigen die Bürger, nach bestem Wissen und Gewissen über die Gesetze zu entscheiden. Die direkte Gesetzgebung durch das Volk, wie sie sich in den größeren Staats- verbänden der Schweiz gestaltet hat. setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen, einem anregenden und einem beschließenden, aus dem Vorschlagsrecht des Volkes, auch Volksinitiative genannt, und aus der Volksabstimmung über die Gesetze, dem sogenannten Referendum. Zwischen beiden wirkt als regelmäßiges Organ der Rat, die gewählte Volksvertretung, der nicht mehr ein gesetzgebender, sondern nur noch ein gesetzvorschlagender, d. h. ein bloßer Ratgeber ist, dessen Rat das Volk annehmen oder verwerfen kann. So steht der Rat zwischen zwei Feuern. Schlägt er schlechte Gesetze vor, so werden sie durch die Volksabstimmung (Refe- rendum) verworfen. Will der Rat, das Parlament, keine guten Gesetze vor- schlagen, so tritt die Volksinitiative in Tätigkeit und macht selbst Vorschläge. Nach dem Züricher Grundgesetz vom 18. April 1869, an welchem auch F. A. Lange, der Verfasser der „Arbeiterfrage“ eifrig mitgearbeitet hat, kann sich die Volksinitia- tive auf zweierlei Weise äußern. Wenn der fünfzehnte Teil des Volkes einen Vorschlag macht, muß dieser vor die Volksabstimmung gebracht werden. Macht ein Einzelner einen Vorschlag, dem ein Drittel des Rats zustimmt, muß eben- falls darüber durch das Volk abgestimmt werden. Auch die Bundesverfassung der Eidgenossenschaft kennt seit 1874 wenigstens das fakultative Referendum, und die im Grütliverein zusammengeschlossene schweizerische Arbeiterschaft hat bereits in einer Eingabe vom 5. April 1889 die Einführung des obligatorischen Referen- dums und der Volksinitiative in eidgenössischen Angelegenheiten verlangt.

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-08T17:50:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-08T17:50:02Z)

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Zitationshilfe: Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kautsky_grundsaetze_1907/37>, abgerufen am 29.03.2024.