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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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in hellere Weisen über, und nachdem sie dieselben
mit kräftigem Bogenstrich geschlossen, begannen
sie plötzlich, ebenso geübt im Gesange, wie im
Spiel, ein vierstimmiges Frühlingslied zu singen,
daß der wohltönende Gesang heiter in die Lüfte
stieg. Sie begleiteten sich selbst auf ihren In¬
strumenten, bald mit zartem Bogenstrich, bald
mit der Hand die Saiten rührend.

In der zarten und doch festen Tüchtigkeit
dieses Vortrages that sich ein wohlbestelltes
Gemüth kund, und die zusammenklingenden Män¬
nerstimmen richteten Agnesens Seelchen auf und
drangen mit ehrendem und tröstendem Schmei¬
cheln in ihr verzagtes Blut.

Sie erröthete freundlich und schlief diese
Nacht wieder zum ersten Mal froh und ruhig,
in beiden zierlichen Ohrmuscheln die wohlthuen¬
den Töne bewahrend.

Am anderen Tage fand sich der Gottesmacher
im Häuschen der Malerswittwe ein und stellte
sich als den Urheber des nächtlichen Concertes
vor. Die Alte erröthete noch mehr als ihre
Tochter, und alle Drei befanden sich in einiger

in hellere Weiſen uͤber, und nachdem ſie dieſelben
mit kraͤftigem Bogenſtrich geſchloſſen, begannen
ſie ploͤtzlich, ebenſo geuͤbt im Geſange, wie im
Spiel, ein vierſtimmiges Fruͤhlingslied zu ſingen,
daß der wohltoͤnende Geſang heiter in die Luͤfte
ſtieg. Sie begleiteten ſich ſelbſt auf ihren In¬
ſtrumenten, bald mit zartem Bogenſtrich, bald
mit der Hand die Saiten ruͤhrend.

In der zarten und doch feſten Tuͤchtigkeit
dieſes Vortrages that ſich ein wohlbeſtelltes
Gemuͤth kund, und die zuſammenklingenden Maͤn¬
nerſtimmen richteten Agneſens Seelchen auf und
drangen mit ehrendem und troͤſtendem Schmei¬
cheln in ihr verzagtes Blut.

Sie erroͤthete freundlich und ſchlief dieſe
Nacht wieder zum erſten Mal froh und ruhig,
in beiden zierlichen Ohrmuſcheln die wohlthuen¬
den Toͤne bewahrend.

Am anderen Tage fand ſich der Gottesmacher
im Haͤuschen der Malerswittwe ein und ſtellte
ſich als den Urheber des naͤchtlichen Concertes
vor. Die Alte erroͤthete noch mehr als ihre
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[5/0015] in hellere Weiſen uͤber, und nachdem ſie dieſelben mit kraͤftigem Bogenſtrich geſchloſſen, begannen ſie ploͤtzlich, ebenſo geuͤbt im Geſange, wie im Spiel, ein vierſtimmiges Fruͤhlingslied zu ſingen, daß der wohltoͤnende Geſang heiter in die Luͤfte ſtieg. Sie begleiteten ſich ſelbſt auf ihren In¬ ſtrumenten, bald mit zartem Bogenſtrich, bald mit der Hand die Saiten ruͤhrend. In der zarten und doch feſten Tuͤchtigkeit dieſes Vortrages that ſich ein wohlbeſtelltes Gemuͤth kund, und die zuſammenklingenden Maͤn¬ nerſtimmen richteten Agneſens Seelchen auf und drangen mit ehrendem und troͤſtendem Schmei¬ cheln in ihr verzagtes Blut. Sie erroͤthete freundlich und ſchlief dieſe Nacht wieder zum erſten Mal froh und ruhig, in beiden zierlichen Ohrmuſcheln die wohlthuen¬ den Toͤne bewahrend. Am anderen Tage fand ſich der Gottesmacher im Haͤuschen der Malerswittwe ein und ſtellte ſich als den Urheber des naͤchtlichen Concertes vor. Die Alte erroͤthete noch mehr als ihre Tochter, und alle Drei befanden ſich in einiger

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/15>, abgerufen am 28.03.2024.