Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Apollönchen schnitt, nach Dorothea's Anwei¬
sung, das graue Papier zurecht je nach dem
Maße des Studienblattes, mit einer niedlichen
Scheere, und Beide benahmen sich dabei, als ob
sie Leinwand vor sich hätten und eine Aussteuer
zuschnitten. Apollönchen fuhr mit der Scheere
hastig und rasch vorwärts, wie sie es beim Zeuge
gewohnt war, welches von selbst reißt dem Faden
nach, und sie machte desnahen viele Risse
und Krümmungen in das Papier, und dasselbe
schrumpfte sich stellenweise auf jene unangenehme
Weise auf der Scheerenklinge zusammen, wenn
man zu unvorsichtig durchfährt, so daß das em¬
sige Mädchen fortwährend mit den Fingerchen zu
glätten, zu seufzen und zu erröthen hatte.

"Ei ei, Kind!" sagte Dorothea, "Du machst
mir ja ganz gefranzte Ränder zu meinen herrli¬
chen Bildern! Ich will wetten, daß der Papa un¬
sere sämmtliche Arbeit kassirt und sich endlich
selbst dahinter macht, die Sachen zu ordnen!"

"Ach Du!" sagte jene, "mach' Du's doch
besser mit diesem vertrackten Papier! Sieh, Du

20 *

Apolloͤnchen ſchnitt, nach Dorothea's Anwei¬
ſung, das graue Papier zurecht je nach dem
Maße des Studienblattes, mit einer niedlichen
Scheere, und Beide benahmen ſich dabei, als ob
ſie Leinwand vor ſich haͤtten und eine Ausſteuer
zuſchnitten. Apolloͤnchen fuhr mit der Scheere
haſtig und raſch vorwaͤrts, wie ſie es beim Zeuge
gewohnt war, welches von ſelbſt reißt dem Faden
nach, und ſie machte desnahen viele Riſſe
und Kruͤmmungen in das Papier, und daſſelbe
ſchrumpfte ſich ſtellenweiſe auf jene unangenehme
Weiſe auf der Scheerenklinge zuſammen, wenn
man zu unvorſichtig durchfaͤhrt, ſo daß das em¬
ſige Maͤdchen fortwaͤhrend mit den Fingerchen zu
glaͤtten, zu ſeufzen und zu erroͤthen hatte.

»Ei ei, Kind!« ſagte Dorothea, »Du machſt
mir ja ganz gefranzte Raͤnder zu meinen herrli¬
chen Bildern! Ich will wetten, daß der Papa un¬
ſere ſaͤmmtliche Arbeit kaſſirt und ſich endlich
ſelbſt dahinter macht, die Sachen zu ordnen!«

»Ach Du!« ſagte jene, »mach' Du's doch
beſſer mit dieſem vertrackten Papier! Sieh, Du

20 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0323" n="313"/>
        <p>Apollo&#x0364;nchen &#x017F;chnitt, nach Dorothea's Anwei¬<lb/>
&#x017F;ung, das graue Papier zurecht je nach dem<lb/>
Maße des Studienblattes, mit einer niedlichen<lb/>
Scheere, und Beide benahmen &#x017F;ich dabei, als ob<lb/>
&#x017F;ie Leinwand vor &#x017F;ich ha&#x0364;tten und eine Aus&#x017F;teuer<lb/>
zu&#x017F;chnitten. Apollo&#x0364;nchen fuhr mit der Scheere<lb/>
ha&#x017F;tig und ra&#x017F;ch vorwa&#x0364;rts, wie &#x017F;ie es beim Zeuge<lb/>
gewohnt war, welches von &#x017F;elb&#x017F;t reißt dem Faden<lb/>
nach, und &#x017F;ie machte desnahen viele Ri&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und Kru&#x0364;mmungen in das Papier, und da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
&#x017F;chrumpfte &#x017F;ich &#x017F;tellenwei&#x017F;e auf jene unangenehme<lb/>
Wei&#x017F;e auf der Scheerenklinge zu&#x017F;ammen, wenn<lb/>
man zu unvor&#x017F;ichtig durchfa&#x0364;hrt, &#x017F;o daß das em¬<lb/>
&#x017F;ige Ma&#x0364;dchen fortwa&#x0364;hrend mit den Fingerchen zu<lb/>
gla&#x0364;tten, zu &#x017F;eufzen und zu erro&#x0364;then hatte.</p><lb/>
        <p>»Ei ei, Kind!« &#x017F;agte Dorothea, »Du mach&#x017F;t<lb/>
mir ja ganz gefranzte Ra&#x0364;nder zu meinen herrli¬<lb/>
chen Bildern! Ich will wetten, daß der Papa un¬<lb/>
&#x017F;ere &#x017F;a&#x0364;mmtliche Arbeit ka&#x017F;&#x017F;irt und &#x017F;ich endlich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t dahinter macht, die Sachen zu ordnen!«</p><lb/>
        <p>»Ach Du!« &#x017F;agte jene, »mach' Du's doch<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er mit die&#x017F;em vertrackten Papier! Sieh, Du<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0323] Apolloͤnchen ſchnitt, nach Dorothea's Anwei¬ ſung, das graue Papier zurecht je nach dem Maße des Studienblattes, mit einer niedlichen Scheere, und Beide benahmen ſich dabei, als ob ſie Leinwand vor ſich haͤtten und eine Ausſteuer zuſchnitten. Apolloͤnchen fuhr mit der Scheere haſtig und raſch vorwaͤrts, wie ſie es beim Zeuge gewohnt war, welches von ſelbſt reißt dem Faden nach, und ſie machte desnahen viele Riſſe und Kruͤmmungen in das Papier, und daſſelbe ſchrumpfte ſich ſtellenweiſe auf jene unangenehme Weiſe auf der Scheerenklinge zuſammen, wenn man zu unvorſichtig durchfaͤhrt, ſo daß das em¬ ſige Maͤdchen fortwaͤhrend mit den Fingerchen zu glaͤtten, zu ſeufzen und zu erroͤthen hatte. »Ei ei, Kind!« ſagte Dorothea, »Du machſt mir ja ganz gefranzte Raͤnder zu meinen herrli¬ chen Bildern! Ich will wetten, daß der Papa un¬ ſere ſaͤmmtliche Arbeit kaſſirt und ſich endlich ſelbſt dahinter macht, die Sachen zu ordnen!« »Ach Du!« ſagte jene, »mach' Du's doch beſſer mit dieſem vertrackten Papier! Sieh, Du 20 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/323
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/323>, abgerufen am 28.03.2024.