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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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ihm erst die Landschaft mit den Bäumen und
Schneefirnen bekannt vorkamen und er dann auch
seine Jugendarbeit erkannte. Dann sah er in das
vom Feuer beglänzte Gesicht hinauf, und auch
dieses kam ihm so bekannt vor, und doch wußte
er nicht wo er es schon gesehen, denn das, was
er zehn Minuten zuvor erlebt, lag seinem ver¬
wirrten Zustande in ein dunkles Vergessen ent¬
rückt. Nun zweifelte er nicht länger, daß
er mitten in einem jener Träume sich be¬
finde, die er in jener Stadt geträumt, und
daß er wiederum auf jener langen und bezauber¬
ten Heimreise begriffen sei. Er hielt die Erschei¬
nung für ein neckendes verklärtes Bild seiner
Jugend, das ihm nur erschienen sei, um wieder
zu verschwinden und ihn in tiefer Hoffnungslo¬
sigkeit zu lassen. Seine Gedanken hielt er für
jenes sonderbare Bewußtwerden im Traume, er
fürchtete zu erwachen und das schöne Bild zu
verlieren, und als er wieder auf die sorgsam ge¬
machte, stille und unschuldige Landschaft blickte,
entfielen Thränen seinen Augen. Jetzt hielt er
sich für erwacht und suchte das Kopfkissen, um

ihm erſt die Landſchaft mit den Baͤumen und
Schneefirnen bekannt vorkamen und er dann auch
ſeine Jugendarbeit erkannte. Dann ſah er in das
vom Feuer beglaͤnzte Geſicht hinauf, und auch
dieſes kam ihm ſo bekannt vor, und doch wußte
er nicht wo er es ſchon geſehen, denn das, was
er zehn Minuten zuvor erlebt, lag ſeinem ver¬
wirrten Zuſtande in ein dunkles Vergeſſen ent¬
ruͤckt. Nun zweifelte er nicht laͤnger, daß
er mitten in einem jener Traͤume ſich be¬
finde, die er in jener Stadt getraͤumt, und
daß er wiederum auf jener langen und bezauber¬
ten Heimreiſe begriffen ſei. Er hielt die Erſchei¬
nung fuͤr ein neckendes verklaͤrtes Bild ſeiner
Jugend, das ihm nur erſchienen ſei, um wieder
zu verſchwinden und ihn in tiefer Hoffnungslo¬
ſigkeit zu laſſen. Seine Gedanken hielt er fuͤr
jenes ſonderbare Bewußtwerden im Traume, er
fuͤrchtete zu erwachen und das ſchoͤne Bild zu
verlieren, und als er wieder auf die ſorgſam ge¬
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[317/0327] ihm erſt die Landſchaft mit den Baͤumen und Schneefirnen bekannt vorkamen und er dann auch ſeine Jugendarbeit erkannte. Dann ſah er in das vom Feuer beglaͤnzte Geſicht hinauf, und auch dieſes kam ihm ſo bekannt vor, und doch wußte er nicht wo er es ſchon geſehen, denn das, was er zehn Minuten zuvor erlebt, lag ſeinem ver¬ wirrten Zuſtande in ein dunkles Vergeſſen ent¬ ruͤckt. Nun zweifelte er nicht laͤnger, daß er mitten in einem jener Traͤume ſich be¬ finde, die er in jener Stadt getraͤumt, und daß er wiederum auf jener langen und bezauber¬ ten Heimreiſe begriffen ſei. Er hielt die Erſchei¬ nung fuͤr ein neckendes verklaͤrtes Bild ſeiner Jugend, das ihm nur erſchienen ſei, um wieder zu verſchwinden und ihn in tiefer Hoffnungslo¬ ſigkeit zu laſſen. Seine Gedanken hielt er fuͤr jenes ſonderbare Bewußtwerden im Traume, er fuͤrchtete zu erwachen und das ſchoͤne Bild zu verlieren, und als er wieder auf die ſorgſam ge¬ machte, ſtille und unſchuldige Landſchaft blickte, entfielen Thraͤnen ſeinen Augen. Jetzt hielt er ſich fuͤr erwacht und ſuchte das Kopfkiſſen, um

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/327>, abgerufen am 25.04.2024.