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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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mit in die Fremde genommen haben und mit
welchem Buche der Erinnerung, als Ihrer letzten
Habseligkeit, Sie sich wieder aus dem Staube
machen! Ich laufe mit den Sachen zurück und
rufe: 'Seht, Leute! Unser Mensch schlägt sich mit
seinem Jugendbuche durch Regen und Sturm,
wie Vetter Camoens mit seinem Gedichte durch
die Wellen! Der Spaß wird köstlich!' Dortchen
nimmt das Buch und besieht es von allen Sei¬
ten. 'Ach du lieber Himmel,' ruft sie, 'das arme
Buch ist ja durch und durch naß und droht zu
Grunde zu gehen! Das muß sogleich getrocknet
werden!' Es wird ein frisches Feuer in den Ofen
gemacht, das Mädchen setzt sich auf ein Tabouret¬
chen davor und hält das Buch, die Blätter aus¬
einander schüttelnd und es umwendend und keh¬
rend, sorgfältig an das Feuer und in weniger
als einer Viertelstunde ist das tapfere Werk heil
und gerettet. Nun aber lasen wir noch länger
als zwei Stunden darin, an verschiedenen Stel¬
len, und wechselten mit dem Vorlesen ab, und
diesen ganzen Vormittag hab' ich auf meiner
Stube darin gelesen. Auf den letzten Blättern

mit in die Fremde genommen haben und mit
welchem Buche der Erinnerung, als Ihrer letzten
Habſeligkeit, Sie ſich wieder aus dem Staube
machen! Ich laufe mit den Sachen zuruͤck und
rufe: ’Seht, Leute! Unſer Menſch ſchlaͤgt ſich mit
ſeinem Jugendbuche durch Regen und Sturm,
wie Vetter Camoens mit ſeinem Gedichte durch
die Wellen! Der Spaß wird koͤſtlich!‘ Dortchen
nimmt das Buch und beſieht es von allen Sei¬
ten. ’Ach du lieber Himmel,‘ ruft ſie, ’das arme
Buch iſt ja durch und durch naß und droht zu
Grunde zu gehen! Das muß ſogleich getrocknet
werden!‘ Es wird ein friſches Feuer in den Ofen
gemacht, das Maͤdchen ſetzt ſich auf ein Tabouret¬
chen davor und haͤlt das Buch, die Blaͤtter aus¬
einander ſchuͤttelnd und es umwendend und keh¬
rend, ſorgfaͤltig an das Feuer und in weniger
als einer Viertelſtunde iſt das tapfere Werk heil
und gerettet. Nun aber laſen wir noch laͤnger
als zwei Stunden darin, an verſchiedenen Stel¬
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dieſen ganzen Vormittag hab' ich auf meiner
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[328/0338] mit in die Fremde genommen haben und mit welchem Buche der Erinnerung, als Ihrer letzten Habſeligkeit, Sie ſich wieder aus dem Staube machen! Ich laufe mit den Sachen zuruͤck und rufe: ’Seht, Leute! Unſer Menſch ſchlaͤgt ſich mit ſeinem Jugendbuche durch Regen und Sturm, wie Vetter Camoens mit ſeinem Gedichte durch die Wellen! Der Spaß wird koͤſtlich!‘ Dortchen nimmt das Buch und beſieht es von allen Sei¬ ten. ’Ach du lieber Himmel,‘ ruft ſie, ’das arme Buch iſt ja durch und durch naß und droht zu Grunde zu gehen! Das muß ſogleich getrocknet werden!‘ Es wird ein friſches Feuer in den Ofen gemacht, das Maͤdchen ſetzt ſich auf ein Tabouret¬ chen davor und haͤlt das Buch, die Blaͤtter aus¬ einander ſchuͤttelnd und es umwendend und keh¬ rend, ſorgfaͤltig an das Feuer und in weniger als einer Viertelſtunde iſt das tapfere Werk heil und gerettet. Nun aber laſen wir noch laͤnger als zwei Stunden darin, an verſchiedenen Stel¬ len, und wechſelten mit dem Vorleſen ab, und dieſen ganzen Vormittag hab' ich auf meiner Stube darin geleſen. Auf den letzten Blaͤttern

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/338>, abgerufen am 16.04.2024.