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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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stehen einige Gedichte, die haben Sie allem An¬
scheine nach erst neulich gemacht und hineinge¬
schrieben ?" Heinrich bejahte dies und wurde roth,
und der Graf fuhr fort: "Ich will mich gar nicht
entschuldigen für unsere Indiscretion; es macht
sich so Alles von selbst und wir wollen unsere Un¬
verschämtheit nun mit gänzlicher Freundschaftlich¬
keit abbüßen. Zuerst muß ich Sie einmal küssen,
sie sind ein allerliebster Kerl!"

"Bitte, Herr Graf!" sagte Heinrich und duckte
sich ein Bischen unter die Decke, "Sie sind all¬
zu gütig; aber ich mache mir nicht viel daraus,
Männer zu küssen!"

"Ei sieh da!" rief der treffliche Mann, "Sie
schlaues Bürschchen! Aber trotz alledem müssen
Sie mich doch ein Bischen wohl leiden, ich ver¬
lange es!"

"O gewiß sag'ich Ihnen," erwiederte Heinrich,
mit schüchternen und doch zuthulichen Worten; "ich
kann Sie gar nicht genug ansehen, so sehr gefallen
Sie meinen Augen und meinem Herzen!" Und er
sah ihn dabei wirklich mit glänzenden Augen an.

"Nun denn," sagte der Graf mit feinem

ſtehen einige Gedichte, die haben Sie allem An¬
ſcheine nach erſt neulich gemacht und hineinge¬
ſchrieben ?« Heinrich bejahte dies und wurde roth,
und der Graf fuhr fort: »Ich will mich gar nicht
entſchuldigen fuͤr unſere Indiscretion; es macht
ſich ſo Alles von ſelbſt und wir wollen unſere Un¬
verſchaͤmtheit nun mit gaͤnzlicher Freundſchaftlich¬
keit abbuͤßen. Zuerſt muß ich Sie einmal kuͤſſen,
ſie ſind ein allerliebſter Kerl!«

»Bitte, Herr Graf!« ſagte Heinrich und duckte
ſich ein Biſchen unter die Decke, »Sie ſind all¬
zu guͤtig; aber ich mache mir nicht viel daraus,
Maͤnner zu kuͤſſen!«

»Ei ſieh da!« rief der treffliche Mann, »Sie
ſchlaues Buͤrſchchen! Aber trotz alledem muͤſſen
Sie mich doch ein Bischen wohl leiden, ich ver¬
lange es!«

»O gewiß ſag'ich Ihnen,« erwiederte Heinrich,
mit ſchuͤchternen und doch zuthulichen Worten; »ich
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[329/0339] ſtehen einige Gedichte, die haben Sie allem An¬ ſcheine nach erſt neulich gemacht und hineinge¬ ſchrieben ?« Heinrich bejahte dies und wurde roth, und der Graf fuhr fort: »Ich will mich gar nicht entſchuldigen fuͤr unſere Indiscretion; es macht ſich ſo Alles von ſelbſt und wir wollen unſere Un¬ verſchaͤmtheit nun mit gaͤnzlicher Freundſchaftlich¬ keit abbuͤßen. Zuerſt muß ich Sie einmal kuͤſſen, ſie ſind ein allerliebſter Kerl!« »Bitte, Herr Graf!« ſagte Heinrich und duckte ſich ein Biſchen unter die Decke, »Sie ſind all¬ zu guͤtig; aber ich mache mir nicht viel daraus, Maͤnner zu kuͤſſen!« »Ei ſieh da!« rief der treffliche Mann, »Sie ſchlaues Buͤrſchchen! Aber trotz alledem muͤſſen Sie mich doch ein Bischen wohl leiden, ich ver¬ lange es!« »O gewiß ſag'ich Ihnen,« erwiederte Heinrich, mit ſchuͤchternen und doch zuthulichen Worten; »ich kann Sie gar nicht genug anſehen, ſo ſehr gefallen Sie meinen Augen und meinem Herzen!« Und er ſah ihn dabei wirklich mit glaͤnzenden Augen an. »Nun denn,« ſagte der Graf mit feinem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/339>, abgerufen am 29.03.2024.