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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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seiner Jahre zu verbergen, leicht beweglich und
anmuthig, doch mit dem Gewichte eines Mannes,
der gelebt und gedacht hat und fest steht, wo er
steht. Er hörte geläufig und aufmerksam zu,
ohne ängstliche Spannung, und ließ sich ansehen,
daß der Erzähler bei ihm zu Hause war und ver¬
standen wurde mit feinem Sinne, auch wenn er
ein Wort überhört hatte. Auch gab er sein Ver¬
ständniß nicht mit Ausrufen und Wortstellungen
zu erkennen, sondern hörte eben so leicht und
zwanglos, wie ihm erzählt wurde, und Heinrich
konnte im Zimmer umhergehen, einen Gegenstand
betrachten oder etwas handthieren, ohne dabei den
Zuhörer beim Erzählen zu dessen Pein zu fixiren,
ob er auch höre und verstehe? So sprach er zum
ersten Mal, seit er jenes Buch geschrieben, wieder
so recht aus sich heraus und fühlte mit bewegtem
Herzen den Unterschied, wenn man dem todten
weißen Papier erzählt oder einem lebendigen Men¬
schenkind. So vergingen beinahe zwei Stunden,
und als er mit seiner Ankunft auf dem Kirchhof
geendet, sagte der Graf: "Wenn Sie als Maler
ein Pfuscher gewesen wären, so hätte das Ver¬

ſeiner Jahre zu verbergen, leicht beweglich und
anmuthig, doch mit dem Gewichte eines Mannes,
der gelebt und gedacht hat und feſt ſteht, wo er
ſteht. Er hoͤrte gelaͤufig und aufmerkſam zu,
ohne aͤngſtliche Spannung, und ließ ſich anſehen,
daß der Erzaͤhler bei ihm zu Hauſe war und ver¬
ſtanden wurde mit feinem Sinne, auch wenn er
ein Wort uͤberhoͤrt hatte. Auch gab er ſein Ver¬
ſtaͤndniß nicht mit Ausrufen und Wortſtellungen
zu erkennen, ſondern hoͤrte eben ſo leicht und
zwanglos, wie ihm erzaͤhlt wurde, und Heinrich
konnte im Zimmer umhergehen, einen Gegenſtand
betrachten oder etwas handthieren, ohne dabei den
Zuhoͤrer beim Erzaͤhlen zu deſſen Pein zu fixiren,
ob er auch hoͤre und verſtehe? So ſprach er zum
erſten Mal, ſeit er jenes Buch geſchrieben, wieder
ſo recht aus ſich heraus und fuͤhlte mit bewegtem
Herzen den Unterſchied, wenn man dem todten
weißen Papier erzaͤhlt oder einem lebendigen Men¬
ſchenkind. So vergingen beinahe zwei Stunden,
und als er mit ſeiner Ankunft auf dem Kirchhof
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[332/0342] ſeiner Jahre zu verbergen, leicht beweglich und anmuthig, doch mit dem Gewichte eines Mannes, der gelebt und gedacht hat und feſt ſteht, wo er ſteht. Er hoͤrte gelaͤufig und aufmerkſam zu, ohne aͤngſtliche Spannung, und ließ ſich anſehen, daß der Erzaͤhler bei ihm zu Hauſe war und ver¬ ſtanden wurde mit feinem Sinne, auch wenn er ein Wort uͤberhoͤrt hatte. Auch gab er ſein Ver¬ ſtaͤndniß nicht mit Ausrufen und Wortſtellungen zu erkennen, ſondern hoͤrte eben ſo leicht und zwanglos, wie ihm erzaͤhlt wurde, und Heinrich konnte im Zimmer umhergehen, einen Gegenſtand betrachten oder etwas handthieren, ohne dabei den Zuhoͤrer beim Erzaͤhlen zu deſſen Pein zu fixiren, ob er auch hoͤre und verſtehe? So ſprach er zum erſten Mal, ſeit er jenes Buch geſchrieben, wieder ſo recht aus ſich heraus und fuͤhlte mit bewegtem Herzen den Unterſchied, wenn man dem todten weißen Papier erzaͤhlt oder einem lebendigen Men¬ ſchenkind. So vergingen beinahe zwei Stunden, und als er mit ſeiner Ankunft auf dem Kirchhof geendet, ſagte der Graf: »Wenn Sie als Maler ein Pfuſcher geweſen waͤren, ſo haͤtte das Ver¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/342>, abgerufen am 29.03.2024.