Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

man Putsche nannte und alles Schachzüge waren
auf dem wunderlichen Schachbrett der Schweiz,
wo jedes Feld eine kleinere oder größere Volkes-
und Staatssouveränetät war, die eine mit reprä¬
sentativer Einrichtung, die andere demokratisch,
diese mit, jene ohne Veto, diese von städtischem
Charakter, jene von ländlichem, und wieder eine
andere wie eine Theokratie aussehend, und die
Schweizer bezeigten bald eine große Uebung in
diesem Schachspielen und Putschen.

Das Wort Putsch stammt aus der guten
Stadt Zürich, wo man einen plötzlichen vorüber¬
gehenden Regenguß einen Putsch nennt und dem¬
gemäß die eifersüchtigen Nachbarstädte jede närri¬
sche Gemüthsbewegung, Begeisterung, Zornigkeit,
Laune oder Mode der Züricher einen Zürichputsch
nennen. Da nun die Züricher die Ersten waren,
die geputscht, so blieb der Name für alle jene
Bewegungen und bürgerte sich sogar in die wei¬
tere Sprache ein, wie Sonderbündelei, Freischär¬
ler und andere Ausdrücke, die alle aus dem poli¬
tischen Laboratorium der Schweiz herrühren.

Der Zürichputsch war aber eine religiöse Be¬

29 *

man Putſche nannte und alles Schachzuͤge waren
auf dem wunderlichen Schachbrett der Schweiz,
wo jedes Feld eine kleinere oder groͤßere Volkes-
und Staatsſouveraͤnetaͤt war, die eine mit repraͤ¬
ſentativer Einrichtung, die andere demokratiſch,
dieſe mit, jene ohne Veto, dieſe von ſtaͤdtiſchem
Charakter, jene von laͤndlichem, und wieder eine
andere wie eine Theokratie ausſehend, und die
Schweizer bezeigten bald eine große Uebung in
dieſem Schachſpielen und Putſchen.

Das Wort Putſch ſtammt aus der guten
Stadt Zuͤrich, wo man einen ploͤtzlichen voruͤber¬
gehenden Regenguß einen Putſch nennt und dem¬
gemaͤß die eiferſuͤchtigen Nachbarſtaͤdte jede naͤrri¬
ſche Gemuͤthsbewegung, Begeiſterung, Zornigkeit,
Laune oder Mode der Zuͤricher einen Zuͤrichputſch
nennen. Da nun die Zuͤricher die Erſten waren,
die geputſcht, ſo blieb der Name fuͤr alle jene
Bewegungen und buͤrgerte ſich ſogar in die wei¬
tere Sprache ein, wie Sonderbuͤndelei, Freiſchaͤr¬
ler und andere Ausdruͤcke, die alle aus dem poli¬
tiſchen Laboratorium der Schweiz herruͤhren.

Der Zuͤrichputſch war aber eine religioͤſe Be¬

29 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0467" n="457"/>
man Put&#x017F;che nannte und alles Schachzu&#x0364;ge waren<lb/>
auf dem wunderlichen Schachbrett der Schweiz,<lb/>
wo jedes Feld eine kleinere oder gro&#x0364;ßere Volkes-<lb/>
und Staats&#x017F;ouvera&#x0364;neta&#x0364;t war, die eine mit repra&#x0364;¬<lb/>
&#x017F;entativer Einrichtung, die andere demokrati&#x017F;ch,<lb/>
die&#x017F;e mit, jene ohne Veto, die&#x017F;e von &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;chem<lb/>
Charakter, jene von la&#x0364;ndlichem, und wieder eine<lb/>
andere wie eine Theokratie aus&#x017F;ehend, und die<lb/>
Schweizer bezeigten bald eine große Uebung in<lb/>
die&#x017F;em Schach&#x017F;pielen und Put&#x017F;chen.</p><lb/>
        <p>Das Wort Put&#x017F;ch &#x017F;tammt aus der guten<lb/>
Stadt Zu&#x0364;rich, wo man einen plo&#x0364;tzlichen voru&#x0364;ber¬<lb/>
gehenden Regenguß einen Put&#x017F;ch nennt und dem¬<lb/>
gema&#x0364;ß die eifer&#x017F;u&#x0364;chtigen Nachbar&#x017F;ta&#x0364;dte jede na&#x0364;rri¬<lb/>
&#x017F;che Gemu&#x0364;thsbewegung, Begei&#x017F;terung, Zornigkeit,<lb/>
Laune oder Mode der Zu&#x0364;richer einen Zu&#x0364;richput&#x017F;ch<lb/>
nennen. Da nun die Zu&#x0364;richer die Er&#x017F;ten waren,<lb/>
die geput&#x017F;cht, &#x017F;o blieb der Name fu&#x0364;r alle jene<lb/>
Bewegungen und bu&#x0364;rgerte &#x017F;ich &#x017F;ogar in die wei¬<lb/>
tere Sprache ein, wie Sonderbu&#x0364;ndelei, Frei&#x017F;cha&#x0364;<lb/>
ler und andere Ausdru&#x0364;cke, die alle aus dem poli¬<lb/>
ti&#x017F;chen Laboratorium der Schweiz herru&#x0364;hren.</p><lb/>
        <p>Der Zu&#x0364;richput&#x017F;ch war aber eine religio&#x0364;&#x017F;e Be¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">29 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[457/0467] man Putſche nannte und alles Schachzuͤge waren auf dem wunderlichen Schachbrett der Schweiz, wo jedes Feld eine kleinere oder groͤßere Volkes- und Staatsſouveraͤnetaͤt war, die eine mit repraͤ¬ ſentativer Einrichtung, die andere demokratiſch, dieſe mit, jene ohne Veto, dieſe von ſtaͤdtiſchem Charakter, jene von laͤndlichem, und wieder eine andere wie eine Theokratie ausſehend, und die Schweizer bezeigten bald eine große Uebung in dieſem Schachſpielen und Putſchen. Das Wort Putſch ſtammt aus der guten Stadt Zuͤrich, wo man einen ploͤtzlichen voruͤber¬ gehenden Regenguß einen Putſch nennt und dem¬ gemaͤß die eiferſuͤchtigen Nachbarſtaͤdte jede naͤrri¬ ſche Gemuͤthsbewegung, Begeiſterung, Zornigkeit, Laune oder Mode der Zuͤricher einen Zuͤrichputſch nennen. Da nun die Zuͤricher die Erſten waren, die geputſcht, ſo blieb der Name fuͤr alle jene Bewegungen und buͤrgerte ſich ſogar in die wei¬ tere Sprache ein, wie Sonderbuͤndelei, Freiſchaͤr¬ ler und andere Ausdruͤcke, die alle aus dem poli¬ tiſchen Laboratorium der Schweiz herruͤhren. Der Zuͤrichputſch war aber eine religioͤſe Be¬ 29 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/467
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/467>, abgerufen am 24.04.2024.