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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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wegung gewesen, da der müßige Fortschritt, ein¬
gedenk des Sprichwortes, daß Müßiggang aller
Laster Anfang ist, etwas an der Religion machen
wollte, wie die Bauern sich ausdrückten, und zwar
auf dogmatischem Wege. Die Kirche läßt sich
aber von unkirchlichen Leuten nicht schulmeistern
und umgestalten, sondern nur ignoriren oder ab¬
schaffen, wenn die Mehrheit dafür da ist. Die
Juristen waren sehr betrübt und entsetzt, zu sehen,
daß die Religion dergestalt auf das Gemüth ein¬
wirken könne, daß selbst eine aufgeschriebene Ver¬
fassung damit zu brechen sei, und sie hielten über
diesen Folgen ihrer müßigen That den Untergang
der Welt nahe; die folgenden Putsche aber ge¬
wannen durch diesen Anfang ihr Losungswort, den
Glauben, und in Folge dessen fanden sich denn
richtig die Jesuiten ein als die vollendeten Lücken¬
büßer der Geschichte und wurden von den der
weiteren zweckmäßigen Ausgestaltung des Landes
widerstrebenden Dialektikern und Schachspielern
als handliche Schachfiguren benutzt, während sie
wähnten, um ihrer selbst willen und aus eigener
Kraft da zu sein. Sie reichten gerade aus, durch

wegung geweſen, da der muͤßige Fortſchritt, ein¬
gedenk des Sprichwortes, daß Muͤßiggang aller
Laſter Anfang iſt, etwas an der Religion machen
wollte, wie die Bauern ſich ausdruͤckten, und zwar
auf dogmatiſchem Wege. Die Kirche laͤßt ſich
aber von unkirchlichen Leuten nicht ſchulmeiſtern
und umgeſtalten, ſondern nur ignoriren oder ab¬
ſchaffen, wenn die Mehrheit dafuͤr da iſt. Die
Juriſten waren ſehr betruͤbt und entſetzt, zu ſehen,
daß die Religion dergeſtalt auf das Gemuͤth ein¬
wirken koͤnne, daß ſelbſt eine aufgeſchriebene Ver¬
faſſung damit zu brechen ſei, und ſie hielten uͤber
dieſen Folgen ihrer muͤßigen That den Untergang
der Welt nahe; die folgenden Putſche aber ge¬
wannen durch dieſen Anfang ihr Loſungswort, den
Glauben, und in Folge deſſen fanden ſich denn
richtig die Jeſuiten ein als die vollendeten Luͤcken¬
buͤßer der Geſchichte und wurden von den der
weiteren zweckmaͤßigen Ausgeſtaltung des Landes
widerſtrebenden Dialektikern und Schachſpielern
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[458/0468] wegung geweſen, da der muͤßige Fortſchritt, ein¬ gedenk des Sprichwortes, daß Muͤßiggang aller Laſter Anfang iſt, etwas an der Religion machen wollte, wie die Bauern ſich ausdruͤckten, und zwar auf dogmatiſchem Wege. Die Kirche laͤßt ſich aber von unkirchlichen Leuten nicht ſchulmeiſtern und umgeſtalten, ſondern nur ignoriren oder ab¬ ſchaffen, wenn die Mehrheit dafuͤr da iſt. Die Juriſten waren ſehr betruͤbt und entſetzt, zu ſehen, daß die Religion dergeſtalt auf das Gemuͤth ein¬ wirken koͤnne, daß ſelbſt eine aufgeſchriebene Ver¬ faſſung damit zu brechen ſei, und ſie hielten uͤber dieſen Folgen ihrer muͤßigen That den Untergang der Welt nahe; die folgenden Putſche aber ge¬ wannen durch dieſen Anfang ihr Loſungswort, den Glauben, und in Folge deſſen fanden ſich denn richtig die Jeſuiten ein als die vollendeten Luͤcken¬ buͤßer der Geſchichte und wurden von den der weiteren zweckmaͤßigen Ausgeſtaltung des Landes widerſtrebenden Dialektikern und Schachſpielern als handliche Schachfiguren benutzt, waͤhrend ſie waͤhnten, um ihrer ſelbſt willen und aus eigener Kraft da zu ſein. Sie reichten gerade aus, durch

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/468>, abgerufen am 19.04.2024.