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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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von einer anderen Seite, als er sie vor sieben
Jahren verlassen. Ueberall lag das Land im
himmelblauen Duft, aus welchem der Silber¬
schein der Gebirgszüge und der Seen und Ströme
funkelte und die Sonne spielte auf dem bethau¬
ten Grün. Er sah die reichen Formen des Lan¬
des, in Ebenen und Gewässern ruhig und wag¬
recht, in den steilen Gebirgen gezackt und kühn,
zu seinen Füßen fruchtreiche blühende Erde und
in der Nähe des Himmels fabelhaftes Todten¬
reich und wilde Wüste, alles dies abwechselnd
und überall die Thal- und Wahlschaften bergend,
die zu Füßen der fernen Gebirgsriesen wohnten
oder fern hinter denselben. Er selbst schritt rü¬
stig durch katholische und reformirte Gebiets¬
theile, durch aufgeweckte und eigensinnig verdun¬
kelte, und wie er sich so das ganze große Sieb
von Verfassungen, Confessionen, Parteien, Souve¬
ränetäten und Bürgerschaften dachte, durch welches
die endliche sichere und klare Rechtsmehrheit ge¬
siebt werden mußte, die zugleich die Mehrheit
der Kraft, des Gemüthes und des Geistes war,
der fortzuleben fähig ist, da wandelte ihn die feu¬

von einer anderen Seite, als er ſie vor ſieben
Jahren verlaſſen. Ueberall lag das Land im
himmelblauen Duft, aus welchem der Silber¬
ſchein der Gebirgszuͤge und der Seen und Stroͤme
funkelte und die Sonne ſpielte auf dem bethau¬
ten Gruͤn. Er ſah die reichen Formen des Lan¬
des, in Ebenen und Gewaͤſſern ruhig und wag¬
recht, in den ſteilen Gebirgen gezackt und kuͤhn,
zu ſeinen Fuͤßen fruchtreiche bluͤhende Erde und
in der Naͤhe des Himmels fabelhaftes Todten¬
reich und wilde Wuͤſte, alles dies abwechſelnd
und uͤberall die Thal- und Wahlſchaften bergend,
die zu Fuͤßen der fernen Gebirgsrieſen wohnten
oder fern hinter denſelben. Er ſelbſt ſchritt ruͤ¬
ſtig durch katholiſche und reformirte Gebiets¬
theile, durch aufgeweckte und eigenſinnig verdun¬
kelte, und wie er ſich ſo das ganze große Sieb
von Verfaſſungen, Confeſſionen, Parteien, Souve¬
raͤnetaͤten und Buͤrgerſchaften dachte, durch welches
die endliche ſichere und klare Rechtsmehrheit ge¬
ſiebt werden mußte, die zugleich die Mehrheit
der Kraft, des Gemuͤthes und des Geiſtes war,
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[464/0474] von einer anderen Seite, als er ſie vor ſieben Jahren verlaſſen. Ueberall lag das Land im himmelblauen Duft, aus welchem der Silber¬ ſchein der Gebirgszuͤge und der Seen und Stroͤme funkelte und die Sonne ſpielte auf dem bethau¬ ten Gruͤn. Er ſah die reichen Formen des Lan¬ des, in Ebenen und Gewaͤſſern ruhig und wag¬ recht, in den ſteilen Gebirgen gezackt und kuͤhn, zu ſeinen Fuͤßen fruchtreiche bluͤhende Erde und in der Naͤhe des Himmels fabelhaftes Todten¬ reich und wilde Wuͤſte, alles dies abwechſelnd und uͤberall die Thal- und Wahlſchaften bergend, die zu Fuͤßen der fernen Gebirgsrieſen wohnten oder fern hinter denſelben. Er ſelbſt ſchritt ruͤ¬ ſtig durch katholiſche und reformirte Gebiets¬ theile, durch aufgeweckte und eigenſinnig verdun¬ kelte, und wie er ſich ſo das ganze große Sieb von Verfaſſungen, Confeſſionen, Parteien, Souve¬ raͤnetaͤten und Buͤrgerſchaften dachte, durch welches die endliche ſichere und klare Rechtsmehrheit ge¬ ſiebt werden mußte, die zugleich die Mehrheit der Kraft, des Gemuͤthes und des Geiſtes war, der fortzuleben faͤhig iſt, da wandelte ihn die feu¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/474>, abgerufen am 16.04.2024.