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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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verfiel in einen bittern und verstockten Trübsinn und
verbarg sich vor der Welt.

Als einst ein herrlicher Ostermorgen anbrach, wo
er sonst gewohnt war, fröhliche Schaaren nach seiner
Burg wallfahren zu sehen, schämte er sich seines
Falles, daß er nicht einmal in die Kirche zu gehen
wagte und in Verzweiflung war, wie er die schönen
sonnigen Festtage zubringen sollte. Umsonst bat ihn
sein Weib mit perlenden Thränen und mit lächeln¬
dem Munde, sich nicht zu grämen und unverzagt mit
ihr zur Kirche zu gehen; er machte sich unwirsch los
und ging auf und davon, sich in den Wäldern zu
verbergen, bis Ostern vorbei wäre.

Berg auf und ab lief er, bis er in eine uralte
Wildniß kam, wo ungeheure bärtige Tannenbäume
einen See umschlossen, dessen Tiefe die nächtigen Tan¬
nen ihrer ganzen Länge nach wiederspiegelte, so daß
alles düster und schwarz erschien. Die Erde um den
See war dicht bedeckt mit abenteuerlichem langfran¬
zigem Moose, in welchem kein Tritt zu hören war.

Hier setzte sich Gebizo nieder und grollte mit
Gott ob seines elenden Geschickes, welches ihm nicht
mehr erlaubte, seinen Hunger genugsam zu stillen,
nachdem er Tausende mit Freuden gesättigt, und ihm
obenein seine Werkthätigkeit mit dem Hohn und
Undank der Welt vergalt.

Keller, Sieben Legenden. 3

verfiel in einen bittern und verſtockten Trübſinn und
verbarg ſich vor der Welt.

Als einſt ein herrlicher Oſtermorgen anbrach, wo
er ſonſt gewohnt war, fröhliche Schaaren nach ſeiner
Burg wallfahren zu ſehen, ſchämte er ſich ſeines
Falles, daß er nicht einmal in die Kirche zu gehen
wagte und in Verzweiflung war, wie er die ſchönen
ſonnigen Feſttage zubringen ſollte. Umſonſt bat ihn
ſein Weib mit perlenden Thränen und mit lächeln¬
dem Munde, ſich nicht zu grämen und unverzagt mit
ihr zur Kirche zu gehen; er machte ſich unwirſch los
und ging auf und davon, ſich in den Wäldern zu
verbergen, bis Oſtern vorbei wäre.

Berg auf und ab lief er, bis er in eine uralte
Wildniß kam, wo ungeheure bärtige Tannenbäume
einen See umſchloſſen, deſſen Tiefe die nächtigen Tan¬
nen ihrer ganzen Länge nach wiederſpiegelte, ſo daß
alles düſter und ſchwarz erſchien. Die Erde um den
See war dicht bedeckt mit abenteuerlichem langfran¬
zigem Mooſe, in welchem kein Tritt zu hören war.

Hier ſetzte ſich Gebizo nieder und grollte mit
Gott ob ſeines elenden Geſchickes, welches ihm nicht
mehr erlaubte, ſeinen Hunger genugſam zu ſtillen,
nachdem er Tauſende mit Freuden geſättigt, und ihm
obenein ſeine Werkthätigkeit mit dem Hohn und
Undank der Welt vergalt.

Keller, Sieben Legenden. 3
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[33/0047] verfiel in einen bittern und verſtockten Trübſinn und verbarg ſich vor der Welt. Als einſt ein herrlicher Oſtermorgen anbrach, wo er ſonſt gewohnt war, fröhliche Schaaren nach ſeiner Burg wallfahren zu ſehen, ſchämte er ſich ſeines Falles, daß er nicht einmal in die Kirche zu gehen wagte und in Verzweiflung war, wie er die ſchönen ſonnigen Feſttage zubringen ſollte. Umſonſt bat ihn ſein Weib mit perlenden Thränen und mit lächeln¬ dem Munde, ſich nicht zu grämen und unverzagt mit ihr zur Kirche zu gehen; er machte ſich unwirſch los und ging auf und davon, ſich in den Wäldern zu verbergen, bis Oſtern vorbei wäre. Berg auf und ab lief er, bis er in eine uralte Wildniß kam, wo ungeheure bärtige Tannenbäume einen See umſchloſſen, deſſen Tiefe die nächtigen Tan¬ nen ihrer ganzen Länge nach wiederſpiegelte, ſo daß alles düſter und ſchwarz erſchien. Die Erde um den See war dicht bedeckt mit abenteuerlichem langfran¬ zigem Mooſe, in welchem kein Tritt zu hören war. Hier ſetzte ſich Gebizo nieder und grollte mit Gott ob ſeines elenden Geſchickes, welches ihm nicht mehr erlaubte, ſeinen Hunger genugſam zu ſtillen, nachdem er Tauſende mit Freuden geſättigt, und ihm obenein ſeine Werkthätigkeit mit dem Hohn und Undank der Welt vergalt. Keller, Sieben Legenden. 3

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/47>, abgerufen am 28.03.2024.