Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

ganzen Tag dieser Jemand sich in den Zimmern aufhalten.
Es ist aber schon jetzt zu sagen, daß keines von beiden
der Fall war; alles wurde in Abwesenheit des Mieth¬
mannes gethan wie von einem unsichtbaren Geiste, und
selbst die Glas- und Porzellansachen standen immer so
unverrückt an ihrer Stelle, wie wenn sie keine Menschen¬
hand berührt hätte, und doch war weder ein Stäubchen
noch ein trüber Hauch daran zu erspähen.

Nunmehr begann Brandolf aufmerksam die bösen
Thaten und Gewohnheiten der Wirthin zu erwarten, um
den Krieg der Menschlichkeit dagegen zu eröffnen. Allein
sein altes Mißgeschick schien auch hier wieder zu walten;
der Feind hielt sich zurück und witterte offenbar die
Stärke des neuen Gegners. Leider vermochte ihn Brandolf
nicht mit dem Tabaksrauche aus der Höhle hervorzulocken;
denn er rauchte nicht, und als er zum besondern Zwecke
ein kleines Tabakspfeifchen, wie es die Maurer bei der
Arbeit gebrauchen, nebst etwas schlechtem Tabak nach
Hause brachte und anzündete, um die Baronin zu reizen,
da mußte er es nach den ersten drei Zügen aus dem
Fenster werfen, so übel bekam ihm der Spaß. Teppiche
und Polster zu beschmutzen ging auch nicht an, da er das
nicht gewöhnt war; so blieb ihm vor der Hand nichts
übrig, als die Fenster aufzusperren und einen Durchzug
zu veranstalten. Dazu zog er eine Flanelljacke an, setzte
eine schwarzseidene Zipfelmütze auf und legte sich so breit
unter das Fenster als möglich. Es dauerte richtig nicht

ganzen Tag dieſer Jemand ſich in den Zimmern aufhalten.
Es iſt aber ſchon jetzt zu ſagen, daß keines von beiden
der Fall war; alles wurde in Abweſenheit des Mieth¬
mannes gethan wie von einem unſichtbaren Geiſte, und
ſelbſt die Glas- und Porzellanſachen ſtanden immer ſo
unverrückt an ihrer Stelle, wie wenn ſie keine Menſchen¬
hand berührt hätte, und doch war weder ein Stäubchen
noch ein trüber Hauch daran zu erſpähen.

Nunmehr begann Brandolf aufmerkſam die böſen
Thaten und Gewohnheiten der Wirthin zu erwarten, um
den Krieg der Menſchlichkeit dagegen zu eröffnen. Allein
ſein altes Mißgeſchick ſchien auch hier wieder zu walten;
der Feind hielt ſich zurück und witterte offenbar die
Stärke des neuen Gegners. Leider vermochte ihn Brandolf
nicht mit dem Tabaksrauche aus der Höhle hervorzulocken;
denn er rauchte nicht, und als er zum beſondern Zwecke
ein kleines Tabakspfeifchen, wie es die Maurer bei der
Arbeit gebrauchen, nebſt etwas ſchlechtem Tabak nach
Hauſe brachte und anzündete, um die Baronin zu reizen,
da mußte er es nach den erſten drei Zügen aus dem
Fenſter werfen, ſo übel bekam ihm der Spaß. Teppiche
und Polſter zu beſchmutzen ging auch nicht an, da er das
nicht gewöhnt war; ſo blieb ihm vor der Hand nichts
übrig, als die Fenſter aufzuſperren und einen Durchzug
zu veranſtalten. Dazu zog er eine Flanelljacke an, ſetzte
eine ſchwarzſeidene Zipfelmütze auf und legte ſich ſo breit
unter das Fenſter als möglich. Es dauerte richtig nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0177" n="167"/>
ganzen Tag die&#x017F;er Jemand &#x017F;ich in den Zimmern aufhalten.<lb/>
Es i&#x017F;t aber &#x017F;chon jetzt zu &#x017F;agen, daß keines von beiden<lb/>
der Fall war; alles wurde in Abwe&#x017F;enheit des Mieth¬<lb/>
mannes gethan wie von einem un&#x017F;ichtbaren Gei&#x017F;te, und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die Glas- und Porzellan&#x017F;achen &#x017F;tanden immer &#x017F;o<lb/>
unverrückt an ihrer Stelle, wie wenn &#x017F;ie keine Men&#x017F;chen¬<lb/>
hand berührt hätte, und doch war weder ein Stäubchen<lb/>
noch ein trüber Hauch daran zu er&#x017F;pähen.</p><lb/>
          <p>Nunmehr begann Brandolf aufmerk&#x017F;am die bö&#x017F;en<lb/>
Thaten und Gewohnheiten der Wirthin zu erwarten, um<lb/>
den Krieg der Men&#x017F;chlichkeit dagegen zu eröffnen. Allein<lb/>
&#x017F;ein altes Mißge&#x017F;chick &#x017F;chien auch hier wieder zu walten;<lb/>
der Feind hielt &#x017F;ich zurück und witterte offenbar die<lb/>
Stärke des neuen Gegners. Leider vermochte ihn Brandolf<lb/>
nicht mit dem Tabaksrauche aus der Höhle hervorzulocken;<lb/>
denn er rauchte nicht, und als er zum be&#x017F;ondern Zwecke<lb/>
ein kleines Tabakspfeifchen, wie es die Maurer bei der<lb/>
Arbeit gebrauchen, neb&#x017F;t etwas &#x017F;chlechtem Tabak nach<lb/>
Hau&#x017F;e brachte und anzündete, um die Baronin zu reizen,<lb/>
da mußte er es nach den er&#x017F;ten drei Zügen aus dem<lb/>
Fen&#x017F;ter werfen, &#x017F;o übel bekam ihm der Spaß. Teppiche<lb/>
und Pol&#x017F;ter zu be&#x017F;chmutzen ging auch nicht an, da er das<lb/>
nicht gewöhnt war; &#x017F;o blieb ihm vor der Hand nichts<lb/>
übrig, als die Fen&#x017F;ter aufzu&#x017F;perren und einen Durchzug<lb/>
zu veran&#x017F;talten. Dazu zog er eine Flanelljacke an, &#x017F;etzte<lb/>
eine &#x017F;chwarz&#x017F;eidene Zipfelmütze auf und legte &#x017F;ich &#x017F;o breit<lb/>
unter das Fen&#x017F;ter als möglich. Es dauerte richtig nicht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0177] ganzen Tag dieſer Jemand ſich in den Zimmern aufhalten. Es iſt aber ſchon jetzt zu ſagen, daß keines von beiden der Fall war; alles wurde in Abweſenheit des Mieth¬ mannes gethan wie von einem unſichtbaren Geiſte, und ſelbſt die Glas- und Porzellanſachen ſtanden immer ſo unverrückt an ihrer Stelle, wie wenn ſie keine Menſchen¬ hand berührt hätte, und doch war weder ein Stäubchen noch ein trüber Hauch daran zu erſpähen. Nunmehr begann Brandolf aufmerkſam die böſen Thaten und Gewohnheiten der Wirthin zu erwarten, um den Krieg der Menſchlichkeit dagegen zu eröffnen. Allein ſein altes Mißgeſchick ſchien auch hier wieder zu walten; der Feind hielt ſich zurück und witterte offenbar die Stärke des neuen Gegners. Leider vermochte ihn Brandolf nicht mit dem Tabaksrauche aus der Höhle hervorzulocken; denn er rauchte nicht, und als er zum beſondern Zwecke ein kleines Tabakspfeifchen, wie es die Maurer bei der Arbeit gebrauchen, nebſt etwas ſchlechtem Tabak nach Hauſe brachte und anzündete, um die Baronin zu reizen, da mußte er es nach den erſten drei Zügen aus dem Fenſter werfen, ſo übel bekam ihm der Spaß. Teppiche und Polſter zu beſchmutzen ging auch nicht an, da er das nicht gewöhnt war; ſo blieb ihm vor der Hand nichts übrig, als die Fenſter aufzuſperren und einen Durchzug zu veranſtalten. Dazu zog er eine Flanelljacke an, ſetzte eine ſchwarzſeidene Zipfelmütze auf und legte ſich ſo breit unter das Fenſter als möglich. Es dauerte richtig nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/177
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/177>, abgerufen am 16.04.2024.