Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

zu diesem Grade der Deutlichkeit zu kommen,
nicht etwa nur gut; es ist notwendig kurz
zu seyn. Die Kürze fasset wenige Theile
durch Worte von starker Bedeutung zusam-
men, und leuchtet, gleich einer grossen Licht-
masse auf einem Gemälde. Gleichwol ist
sie es, die am gewönlichsten der Dunkelheit
beschuldigt wird. Aber von wem denn?
Von Leuten, denen es entweder an Verstan-
de, oder an Kentnissen, oder an Aufmerk-
samkeit, oder gar an allen dreyen fehlt.

Gegründete Befürchtung.

Wenn ich, sagte ein Zunftältester, etwas
schreiben möchte, das, ohne meine Absicht,
würde zur Satyre werden; so würd ich eine
wahre Geschichte der Philosophie schreiben.
Fromm wie ein Lamm, aber mit völliger
Bestimmung würd ich es in seinem ganzen
Umfange auseinandersezen, wie wenig die
allermeisten Philosophen zur Erleuchtung
des Verstandes, und zur Lenkung des Her-
zens beygetragen haben. Meine Lammfröm-
migkeit würde besonders daraus hervorblicken,
daß ich den Philosophen nichts, gar nichts
andichtete; sondern die Sachen völlig so näh-
me, wie sie wirklich sind; und doch würd

ich

zu dieſem Grade der Deutlichkeit zu kommen,
nicht etwa nur gut; es iſt notwendig kurz
zu ſeyn. Die Kuͤrze faſſet wenige Theile
durch Worte von ſtarker Bedeutung zuſam-
men, und leuchtet, gleich einer groſſen Licht-
maſſe auf einem Gemaͤlde. Gleichwol iſt
ſie es, die am gewoͤnlichſten der Dunkelheit
beſchuldigt wird. Aber von wem denn?
Von Leuten, denen es entweder an Verſtan-
de, oder an Kentniſſen, oder an Aufmerk-
ſamkeit, oder gar an allen dreyen fehlt.

Gegruͤndete Befuͤrchtung.

Wenn ich, ſagte ein Zunftaͤlteſter, etwas
ſchreiben moͤchte, das, ohne meine Abſicht,
wuͤrde zur Satyre werden; ſo wuͤrd ich eine
wahre Geſchichte der Philoſophie ſchreiben.
Fromm wie ein Lamm, aber mit voͤlliger
Beſtimmung wuͤrd ich es in ſeinem ganzen
Umfange auseinanderſezen, wie wenig die
allermeiſten Philoſophen zur Erleuchtung
des Verſtandes, und zur Lenkung des Her-
zens beygetragen haben. Meine Lammfroͤm-
migkeit wuͤrde beſonders daraus hervorblicken,
daß ich den Philoſophen nichts, gar nichts
andichtete; ſondern die Sachen voͤllig ſo naͤh-
me, wie ſie wirklich ſind; und doch wuͤrd

ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0218" n="142"/>
zu die&#x017F;em Grade der Deutlichkeit zu kommen,<lb/>
nicht etwa nur gut; es i&#x017F;t <hi rendition="#fr">notwendig</hi> kurz<lb/>
zu &#x017F;eyn. Die Ku&#x0364;rze fa&#x017F;&#x017F;et wenige Theile<lb/>
durch Worte von &#x017F;tarker Bedeutung zu&#x017F;am-<lb/>
men, und leuchtet, gleich einer gro&#x017F;&#x017F;en Licht-<lb/>
ma&#x017F;&#x017F;e auf einem Gema&#x0364;lde. Gleichwol i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie es, die am gewo&#x0364;nlich&#x017F;ten der Dunkelheit<lb/>
be&#x017F;chuldigt wird. Aber von wem denn?<lb/>
Von Leuten, denen es entweder an Ver&#x017F;tan-<lb/>
de, oder an Kentni&#x017F;&#x017F;en, oder an Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit, oder gar an allen dreyen fehlt.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Gegru&#x0364;ndete Befu&#x0364;rchtung.</head><lb/>
            <p>Wenn ich, &#x017F;agte ein Zunfta&#x0364;lte&#x017F;ter, etwas<lb/>
&#x017F;chreiben mo&#x0364;chte, das, ohne meine Ab&#x017F;icht,<lb/>
wu&#x0364;rde zur Satyre werden; &#x017F;o wu&#x0364;rd ich eine<lb/><hi rendition="#fr">wahre</hi> Ge&#x017F;chichte der Philo&#x017F;ophie &#x017F;chreiben.<lb/>
Fromm wie ein Lamm, aber mit vo&#x0364;lliger<lb/>
Be&#x017F;timmung wu&#x0364;rd ich es in &#x017F;einem ganzen<lb/>
Umfange auseinander&#x017F;ezen, wie wenig die<lb/><hi rendition="#fr">allermei&#x017F;ten</hi> Philo&#x017F;ophen zur Erleuchtung<lb/>
des Ver&#x017F;tandes, und zur Lenkung des Her-<lb/>
zens beygetragen haben. Meine Lammfro&#x0364;m-<lb/>
migkeit wu&#x0364;rde be&#x017F;onders daraus hervorblicken,<lb/>
daß ich den Philo&#x017F;ophen nichts, gar nichts<lb/>
andichtete; &#x017F;ondern die Sachen vo&#x0364;llig &#x017F;o na&#x0364;h-<lb/>
me, wie &#x017F;ie wirklich &#x017F;ind; und doch wu&#x0364;rd<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0218] zu dieſem Grade der Deutlichkeit zu kommen, nicht etwa nur gut; es iſt notwendig kurz zu ſeyn. Die Kuͤrze faſſet wenige Theile durch Worte von ſtarker Bedeutung zuſam- men, und leuchtet, gleich einer groſſen Licht- maſſe auf einem Gemaͤlde. Gleichwol iſt ſie es, die am gewoͤnlichſten der Dunkelheit beſchuldigt wird. Aber von wem denn? Von Leuten, denen es entweder an Verſtan- de, oder an Kentniſſen, oder an Aufmerk- ſamkeit, oder gar an allen dreyen fehlt. Gegruͤndete Befuͤrchtung. Wenn ich, ſagte ein Zunftaͤlteſter, etwas ſchreiben moͤchte, das, ohne meine Abſicht, wuͤrde zur Satyre werden; ſo wuͤrd ich eine wahre Geſchichte der Philoſophie ſchreiben. Fromm wie ein Lamm, aber mit voͤlliger Beſtimmung wuͤrd ich es in ſeinem ganzen Umfange auseinanderſezen, wie wenig die allermeiſten Philoſophen zur Erleuchtung des Verſtandes, und zur Lenkung des Her- zens beygetragen haben. Meine Lammfroͤm- migkeit wuͤrde beſonders daraus hervorblicken, daß ich den Philoſophen nichts, gar nichts andichtete; ſondern die Sachen voͤllig ſo naͤh- me, wie ſie wirklich ſind; und doch wuͤrd ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/218
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/218>, abgerufen am 25.04.2024.