Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Vergleichungssucht.

Untersuchest du deinen Gegenstand nur in
Vergleichung mit andern; so wird es bald
um dich von kleinen und grossen Jrthümern
wimmeln; untersuchest du ihn aber allein
und für sich; so kaust du bisweilen dahin
kommen, daß du ihn ganz siehest, und du
stehest dann, in Absicht auf die Erkentnis,
eine Stufe höher, als die Vergleicher.

Wer dieses noch nicht weiß, der buchsta-
biert noch; und gleichwol ist's nicht über-
fliessig es zu sagen. Jn unserm erleuchteten
achtzehnten Jahrhunderte wird mehr vergli-
chen, als jemals ist verglichen worden. Es
versteht sich von selbst, daß dieses diejenigen
am wenigsten glauben, die es am meisten
angeht.

Wortklauberey.

Rohrdommel sagte: Tyrn deutete bey uns
vor Alters eben das an, was heutiges Tages
Tyrann. Dieß Wort ist aus dem griechi-
schen Tyrannos entstanden. Tyrn und Ty-
rannos
sind eben dieselben Wörter; und bey-
de sind aus einer und eben derselben älteren
Quelle geschöpft. Wir haben aber Tyrn

ver-
Die Vergleichungsſucht.

Unterſucheſt du deinen Gegenſtand nur in
Vergleichung mit andern; ſo wird es bald
um dich von kleinen und groſſen Jrthuͤmern
wimmeln; unterſucheſt du ihn aber allein
und fuͤr ſich; ſo kauſt du bisweilen dahin
kommen, daß du ihn ganz ſieheſt, und du
ſteheſt dann, in Abſicht auf die Erkentnis,
eine Stufe hoͤher, als die Vergleicher.

Wer dieſes noch nicht weiß, der buchſta-
biert noch; und gleichwol iſt’s nicht uͤber-
flieſſig es zu ſagen. Jn unſerm erleuchteten
achtzehnten Jahrhunderte wird mehr vergli-
chen, als jemals iſt verglichen worden. Es
verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſes diejenigen
am wenigſten glauben, die es am meiſten
angeht.

Wortklauberey.

Rohrdommel ſagte: Tyrn deutete bey uns
vor Alters eben das an, was heutiges Tages
Tyrann. Dieß Wort iſt aus dem griechi-
ſchen Tyrannos entſtanden. Tyrn und Ty-
rannos
ſind eben dieſelben Woͤrter; und bey-
de ſind aus einer und eben derſelben aͤlteren
Quelle geſchoͤpft. Wir haben aber Tyrn

ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0220" n="144"/>
          <div n="3">
            <head>Die Vergleichungs&#x017F;ucht.</head><lb/>
            <p>Unter&#x017F;uche&#x017F;t du deinen Gegen&#x017F;tand nur in<lb/>
Vergleichung mit andern; &#x017F;o wird es bald<lb/>
um dich von kleinen und gro&#x017F;&#x017F;en Jrthu&#x0364;mern<lb/>
wimmeln; unter&#x017F;uche&#x017F;t du ihn aber allein<lb/>
und fu&#x0364;r &#x017F;ich; &#x017F;o kau&#x017F;t du bisweilen dahin<lb/>
kommen, daß du ihn ganz &#x017F;iehe&#x017F;t, und du<lb/>
&#x017F;tehe&#x017F;t dann, in Ab&#x017F;icht auf die Erkentnis,<lb/><hi rendition="#fr">eine Stufe ho&#x0364;her,</hi> als die Vergleicher.</p><lb/>
            <p>Wer die&#x017F;es noch nicht weiß, der buch&#x017F;ta-<lb/>
biert noch; und gleichwol i&#x017F;t&#x2019;s nicht u&#x0364;ber-<lb/>
flie&#x017F;&#x017F;ig es zu &#x017F;agen. Jn un&#x017F;erm erleuchteten<lb/>
achtzehnten Jahrhunderte wird mehr vergli-<lb/>
chen, als jemals i&#x017F;t verglichen worden. Es<lb/>
ver&#x017F;teht &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t, daß die&#x017F;es diejenigen<lb/>
am wenig&#x017F;ten glauben, die es am mei&#x017F;ten<lb/>
angeht.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Wortklauberey.</head><lb/>
            <p>Rohrdommel &#x017F;agte: <hi rendition="#fr">Tyrn</hi> deutete bey uns<lb/>
vor Alters eben das an, was heutiges Tages<lb/><hi rendition="#fr">Tyrann.</hi> Dieß Wort i&#x017F;t aus dem griechi-<lb/>
&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Tyrannos</hi> ent&#x017F;tanden. <hi rendition="#fr">Tyrn</hi> und <hi rendition="#fr">Ty-<lb/>
rannos</hi> &#x017F;ind eben die&#x017F;elben Wo&#x0364;rter; und bey-<lb/>
de &#x017F;ind aus einer und eben der&#x017F;elben a&#x0364;lteren<lb/>
Quelle ge&#x017F;cho&#x0364;pft. Wir haben aber <hi rendition="#fr">Tyrn</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0220] Die Vergleichungsſucht. Unterſucheſt du deinen Gegenſtand nur in Vergleichung mit andern; ſo wird es bald um dich von kleinen und groſſen Jrthuͤmern wimmeln; unterſucheſt du ihn aber allein und fuͤr ſich; ſo kauſt du bisweilen dahin kommen, daß du ihn ganz ſieheſt, und du ſteheſt dann, in Abſicht auf die Erkentnis, eine Stufe hoͤher, als die Vergleicher. Wer dieſes noch nicht weiß, der buchſta- biert noch; und gleichwol iſt’s nicht uͤber- flieſſig es zu ſagen. Jn unſerm erleuchteten achtzehnten Jahrhunderte wird mehr vergli- chen, als jemals iſt verglichen worden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſes diejenigen am wenigſten glauben, die es am meiſten angeht. Wortklauberey. Rohrdommel ſagte: Tyrn deutete bey uns vor Alters eben das an, was heutiges Tages Tyrann. Dieß Wort iſt aus dem griechi- ſchen Tyrannos entſtanden. Tyrn und Ty- rannos ſind eben dieſelben Woͤrter; und bey- de ſind aus einer und eben derſelben aͤlteren Quelle geſchoͤpft. Wir haben aber Tyrn ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/220
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/220>, abgerufen am 19.04.2024.