Untersuchest du deinen Gegenstand nur in Vergleichung mit andern; so wird es bald um dich von kleinen und grossen Jrthümern wimmeln; untersuchest du ihn aber allein und für sich; so kaust du bisweilen dahin kommen, daß du ihn ganz siehest, und du stehest dann, in Absicht auf die Erkentnis, eine Stufe höher, als die Vergleicher.
Wer dieses noch nicht weiß, der buchsta- biert noch; und gleichwol ist's nicht über- fliessig es zu sagen. Jn unserm erleuchteten achtzehnten Jahrhunderte wird mehr vergli- chen, als jemals ist verglichen worden. Es versteht sich von selbst, daß dieses diejenigen am wenigsten glauben, die es am meisten angeht.
Wortklauberey.
Rohrdommel sagte: Tyrn deutete bey uns vor Alters eben das an, was heutiges Tages Tyrann. Dieß Wort ist aus dem griechi- schen Tyrannos entstanden. Tyrn und Ty- rannos sind eben dieselben Wörter; und bey- de sind aus einer und eben derselben älteren Quelle geschöpft. Wir haben aber Tyrn
ver-
Die Vergleichungsſucht.
Unterſucheſt du deinen Gegenſtand nur in Vergleichung mit andern; ſo wird es bald um dich von kleinen und groſſen Jrthuͤmern wimmeln; unterſucheſt du ihn aber allein und fuͤr ſich; ſo kauſt du bisweilen dahin kommen, daß du ihn ganz ſieheſt, und du ſteheſt dann, in Abſicht auf die Erkentnis, eine Stufe hoͤher, als die Vergleicher.
Wer dieſes noch nicht weiß, der buchſta- biert noch; und gleichwol iſt’s nicht uͤber- flieſſig es zu ſagen. Jn unſerm erleuchteten achtzehnten Jahrhunderte wird mehr vergli- chen, als jemals iſt verglichen worden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſes diejenigen am wenigſten glauben, die es am meiſten angeht.
Wortklauberey.
Rohrdommel ſagte: Tyrn deutete bey uns vor Alters eben das an, was heutiges Tages Tyrann. Dieß Wort iſt aus dem griechi- ſchen Tyrannos entſtanden. Tyrn und Ty- rannos ſind eben dieſelben Woͤrter; und bey- de ſind aus einer und eben derſelben aͤlteren Quelle geſchoͤpft. Wir haben aber Tyrn
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Die Vergleichungsſucht.
Unterſucheſt du deinen Gegenſtand nur in
Vergleichung mit andern; ſo wird es bald
um dich von kleinen und groſſen Jrthuͤmern
wimmeln; unterſucheſt du ihn aber allein
und fuͤr ſich; ſo kauſt du bisweilen dahin
kommen, daß du ihn ganz ſieheſt, und du
ſteheſt dann, in Abſicht auf die Erkentnis,
eine Stufe hoͤher, als die Vergleicher.
Wer dieſes noch nicht weiß, der buchſta-
biert noch; und gleichwol iſt’s nicht uͤber-
flieſſig es zu ſagen. Jn unſerm erleuchteten
achtzehnten Jahrhunderte wird mehr vergli-
chen, als jemals iſt verglichen worden. Es
verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſes diejenigen
am wenigſten glauben, die es am meiſten
angeht.
Wortklauberey.
Rohrdommel ſagte: Tyrn deutete bey uns
vor Alters eben das an, was heutiges Tages
Tyrann. Dieß Wort iſt aus dem griechi-
ſchen Tyrannos entſtanden. Tyrn und Ty-
rannos ſind eben dieſelben Woͤrter; und bey-
de ſind aus einer und eben derſelben aͤlteren
Quelle geſchoͤpft. Wir haben aber Tyrn
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/220>, abgerufen am 19.04.2024.
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