Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Schloß über der Gränze.

Valentinian bedekte den Rhein von der Quelle
bis zum Ausflusse mit Schlössern. Er baute so gar
jenseits bis dicht an die Gränzen. Auch dieß dul-
deten wir. Aber er verstand, in seiner Freude, die
Duldung falsch. Denn er meinte, er könte auch
über den Gränzen, auf Pirens Berge, unvermerkt
ein Schloß bauen. Schon gruben die Römer, und
senkten die Grundsteine. Syagrius, ein Vertrau-
ter des Kaisers, Arator, und Hermogenes, zween
Feldherren, waren die Anführer. Nach unsrer Gut-
herzigkeit daucht es uns auch jezt noch zu früh, das
Schwert zu zücken. Die Väter der Jünglinge, die
Geisseln waren, erschienen, und flehten mit gebog-
nem Knie die Römer an: Seyd nicht so sorglos we-
gen eurer Sicherheit, und brecht die Bündnisse nicht
so, ihr, die Treu und Glauben zu dieser Grösse er-
hoben hat. Sie wurden kaum angehört. Sie
gingen, und beweinten ins Geheim das Schiksal
ihrer Söhne. Unsre verstekten Krieger sprangen
hervor, umringten, befragten die Wiederkommen-
den, eilten weiter, und hinderten den Bau so blu-
tig, daß nur Syagrius entrann, die Botschaft zu
bringen.

Das Gegentheil der Absicht.

Germanicus sammelte Teutoburgs Gebeine, und
bedekte sie mit einem Grabhügel. Wir stäubten
den Hügel weg. Der Römer hatte zerstreute Erin-
nerungen zu einem Denkmale gemacht.

Das
Das Schloß uͤber der Graͤnze.

Valentinian bedekte den Rhein von der Quelle
bis zum Ausfluſſe mit Schloͤſſern. Er baute ſo gar
jenſeits bis dicht an die Graͤnzen. Auch dieß dul-
deten wir. Aber er verſtand, in ſeiner Freude, die
Duldung falſch. Denn er meinte, er koͤnte auch
uͤber den Graͤnzen, auf Pirens Berge, unvermerkt
ein Schloß bauen. Schon gruben die Roͤmer, und
ſenkten die Grundſteine. Syagrius, ein Vertrau-
ter des Kaiſers, Arator, und Hermogenes, zween
Feldherren, waren die Anfuͤhrer. Nach unſrer Gut-
herzigkeit daucht es uns auch jezt noch zu fruͤh, das
Schwert zu zuͤcken. Die Vaͤter der Juͤnglinge, die
Geiſſeln waren, erſchienen, und flehten mit gebog-
nem Knie die Roͤmer an: Seyd nicht ſo ſorglos we-
gen eurer Sicherheit, und brecht die Buͤndniſſe nicht
ſo, ihr, die Treu und Glauben zu dieſer Groͤſſe er-
hoben hat. Sie wurden kaum angehoͤrt. Sie
gingen, und beweinten ins Geheim das Schikſal
ihrer Soͤhne. Unſre verſtekten Krieger ſprangen
hervor, umringten, befragten die Wiederkommen-
den, eilten weiter, und hinderten den Bau ſo blu-
tig, daß nur Syagrius entrann, die Botſchaft zu
bringen.

Das Gegentheil der Abſicht.

Germanicus ſammelte Teutoburgs Gebeine, und
bedekte ſie mit einem Grabhuͤgel. Wir ſtaͤubten
den Huͤgel weg. Der Roͤmer hatte zerſtreute Erin-
nerungen zu einem Denkmale gemacht.

Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0378" n="302"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Das Schloß u&#x0364;ber der Gra&#x0364;nze.</hi> </head><lb/>
            <p>Valentinian bedekte den Rhein von der Quelle<lb/>
bis zum Ausflu&#x017F;&#x017F;e mit Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern. Er baute &#x017F;o gar<lb/>
jen&#x017F;eits bis dicht an die Gra&#x0364;nzen. Auch dieß dul-<lb/>
deten wir. Aber er ver&#x017F;tand, in &#x017F;einer Freude, die<lb/>
Duldung fal&#x017F;ch. Denn er meinte, er ko&#x0364;nte auch<lb/>
u&#x0364;ber den Gra&#x0364;nzen, auf Pirens Berge, unvermerkt<lb/>
ein Schloß bauen. Schon gruben die Ro&#x0364;mer, und<lb/>
&#x017F;enkten die Grund&#x017F;teine. Syagrius, ein Vertrau-<lb/>
ter des Kai&#x017F;ers, Arator, und Hermogenes, zween<lb/>
Feldherren, waren die Anfu&#x0364;hrer. Nach un&#x017F;rer Gut-<lb/>
herzigkeit daucht es uns auch jezt noch zu fru&#x0364;h, das<lb/>
Schwert zu zu&#x0364;cken. Die Va&#x0364;ter der Ju&#x0364;nglinge, die<lb/>
Gei&#x017F;&#x017F;eln waren, er&#x017F;chienen, und flehten mit gebog-<lb/>
nem Knie die Ro&#x0364;mer an: Seyd nicht &#x017F;o &#x017F;orglos we-<lb/>
gen eurer Sicherheit, und brecht die Bu&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e nicht<lb/>
&#x017F;o, ihr, die Treu und Glauben zu die&#x017F;er Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e er-<lb/>
hoben hat. Sie wurden kaum angeho&#x0364;rt. Sie<lb/>
gingen, und beweinten ins Geheim das Schik&#x017F;al<lb/>
ihrer So&#x0364;hne. Un&#x017F;re ver&#x017F;tekten Krieger &#x017F;prangen<lb/>
hervor, umringten, befragten die Wiederkommen-<lb/>
den, eilten weiter, und hinderten den Bau &#x017F;o blu-<lb/>
tig, daß nur Syagrius entrann, die Bot&#x017F;chaft zu<lb/>
bringen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Das Gegentheil der Ab&#x017F;icht.</hi> </head><lb/>
            <p>Germanicus &#x017F;ammelte Teutoburgs Gebeine, und<lb/>
bedekte &#x017F;ie mit einem Grabhu&#x0364;gel. Wir &#x017F;ta&#x0364;ubten<lb/>
den Hu&#x0364;gel weg. Der Ro&#x0364;mer hatte zer&#x017F;treute Erin-<lb/>
nerungen zu einem Denkmale gemacht.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Das</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0378] Das Schloß uͤber der Graͤnze. Valentinian bedekte den Rhein von der Quelle bis zum Ausfluſſe mit Schloͤſſern. Er baute ſo gar jenſeits bis dicht an die Graͤnzen. Auch dieß dul- deten wir. Aber er verſtand, in ſeiner Freude, die Duldung falſch. Denn er meinte, er koͤnte auch uͤber den Graͤnzen, auf Pirens Berge, unvermerkt ein Schloß bauen. Schon gruben die Roͤmer, und ſenkten die Grundſteine. Syagrius, ein Vertrau- ter des Kaiſers, Arator, und Hermogenes, zween Feldherren, waren die Anfuͤhrer. Nach unſrer Gut- herzigkeit daucht es uns auch jezt noch zu fruͤh, das Schwert zu zuͤcken. Die Vaͤter der Juͤnglinge, die Geiſſeln waren, erſchienen, und flehten mit gebog- nem Knie die Roͤmer an: Seyd nicht ſo ſorglos we- gen eurer Sicherheit, und brecht die Buͤndniſſe nicht ſo, ihr, die Treu und Glauben zu dieſer Groͤſſe er- hoben hat. Sie wurden kaum angehoͤrt. Sie gingen, und beweinten ins Geheim das Schikſal ihrer Soͤhne. Unſre verſtekten Krieger ſprangen hervor, umringten, befragten die Wiederkommen- den, eilten weiter, und hinderten den Bau ſo blu- tig, daß nur Syagrius entrann, die Botſchaft zu bringen. Das Gegentheil der Abſicht. Germanicus ſammelte Teutoburgs Gebeine, und bedekte ſie mit einem Grabhuͤgel. Wir ſtaͤubten den Huͤgel weg. Der Roͤmer hatte zerſtreute Erin- nerungen zu einem Denkmale gemacht. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/378
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/378>, abgerufen am 29.03.2024.