Wollust, dem Trunke, dem vermaledeyeten Spiele alles aufopfert; wessen Abgott falsche Ehre, Gold, oder sein eigenes Ich ist; wer, wankelmüthig in Grundsätzen und Meynun¬ gen, einen Character hat, der sich, wie Wachs, von Jedem in jede Form drücken lässt; der mag vielleicht ein guter Gesellschafter, aber nie wird er ein beständiger, treuer Freund seyn. So¬ bald es auf Verleugnung, Aufopferung, auf Be¬ harrlichkeit und Festigkeit ankömmt, wird ein Solcher Dich im Stiche lassen; Du wirst al¬ lein da stehn, und Dich hintergangen glauben, da doch Du allein Dich betrogen, indem Du unvorsichtig gewählt hast. Ueberhaupt ist es in dieser Welt so oft der Fall, daß unsre Phan¬ tasie uns die Menschen malt, wie wir gern mög¬ ten, daß sie aussehn sollten, und es nachher sehr übel nimmt, wenn sie wird, daß die Natur nicht das Original dem Gemählde gleich geschaffen hat.
4.
Ist es aber würklich so schwer, in dieser Welt treue Freunde zu finden? Ich meine, nicht halb so schwer, als man gewöhnlich glaubt.
Unsre
Wolluſt, dem Trunke, dem vermaledeyeten Spiele alles aufopfert; weſſen Abgott falſche Ehre, Gold, oder ſein eigenes Ich iſt; wer, wankelmuͤthig in Grundſaͤtzen und Meynun¬ gen, einen Character hat, der ſich, wie Wachs, von Jedem in jede Form druͤcken laͤſſt; der mag vielleicht ein guter Geſellſchafter, aber nie wird er ein beſtaͤndiger, treuer Freund ſeyn. So¬ bald es auf Verleugnung, Aufopferung, auf Be¬ harrlichkeit und Feſtigkeit ankoͤmmt, wird ein Solcher Dich im Stiche laſſen; Du wirſt al¬ lein da ſtehn, und Dich hintergangen glauben, da doch Du allein Dich betrogen, indem Du unvorſichtig gewaͤhlt haſt. Ueberhaupt iſt es in dieſer Welt ſo oft der Fall, daß unſre Phan¬ taſie uns die Menſchen malt, wie wir gern moͤg¬ ten, daß ſie ausſehn ſollten, und es nachher ſehr uͤbel nimmt, wenn ſie wird, daß die Natur nicht das Original dem Gemaͤhlde gleich geſchaffen hat.
4.
Iſt es aber wuͤrklich ſo ſchwer, in dieſer Welt treue Freunde zu finden? Ich meine, nicht halb ſo ſchwer, als man gewoͤhnlich glaubt.
Unſre
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Wolluſt, dem Trunke, dem vermaledeyeten
Spiele alles aufopfert; weſſen Abgott falſche
Ehre, Gold, oder ſein eigenes Ich iſt; wer,
wankelmuͤthig in Grundſaͤtzen und Meynun¬
gen, einen Character hat, der ſich, wie Wachs,
von Jedem in jede Form druͤcken laͤſſt; der mag
vielleicht ein guter Geſellſchafter, aber nie wird
er ein beſtaͤndiger, treuer Freund ſeyn. So¬
bald es auf Verleugnung, Aufopferung, auf Be¬
harrlichkeit und Feſtigkeit ankoͤmmt, wird ein
Solcher Dich im Stiche laſſen; Du wirſt al¬
lein da ſtehn, und Dich hintergangen glauben,
da doch Du allein Dich betrogen, indem Du
unvorſichtig gewaͤhlt haſt. Ueberhaupt iſt es
in dieſer Welt ſo oft der Fall, daß unſre Phan¬
taſie uns die Menſchen malt, wie wir gern moͤg¬
ten, daß ſie ausſehn ſollten, und es nachher
ſehr uͤbel nimmt, wenn ſie wird, daß die
Natur nicht das Original dem Gemaͤhlde gleich
geſchaffen hat.
4.
Iſt es aber wuͤrklich ſo ſchwer, in dieſer
Welt treue Freunde zu finden? Ich meine,
nicht halb ſo ſchwer, als man gewoͤhnlich glaubt.
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/265>, abgerufen am 19.04.2024.
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