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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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Bewusstseins hin und her, von jeder flüchtigen Regung in Form und
Inhalt beeinflusst, so dass es ebenso schwierig ist, ihre Grösse und
ihre Dauer zu bestimmen, wie etwa den genauen Platz auszumessen,
den eine Boje auf stürmisch bewegtem Meere einnimmt.

Allein die Boje ist am Grunde des Meeres verankert, und ihre
Schwankungen im Spiele der Wellen aufwärts und abwärts, nach rechts
und nach links haben ihre gewisse Grenze. Wenn wir daher in recht
vielen Momenten ihre relative Lage zu erreichbaren festen Punkten
feststellen, die Richtung der Luft- und Meeresströmungen berück-
sichtigen, so werden wir schliesslich dennoch annähernd die mittlere
Lage unseres Objectes und weiterhin auch den Verankerungspunkt
desselben bestimmen können. Ganz ähnlich liegt die Sache bei der
exacten Messung psychischer Vorgänge. Auch hier ist die feste Ver-
ankerung in dem Umstande gegeben, dass alle die einzelnen Bewusst-
seinsthatsachen in der psychophysischen Constitution des Individuums
ihre Wurzel haben und somit unter dem Einflusse äusserer Einwir-
kungen immerhin um eine und dieselbe Gleichgewichtslage herum
schwanken. Wenn dabei auch die einzelne Beobachtung das Typische
und Gesetzmässige nicht klarzustellen vermag, so muss es doch hier
ebenfalls gelingen, durch immer wiederholte Messungen am Ende ein
zutreffendes Bild von dem Zusammenhange der Erscheinungen zu ge-
winnen.

Das Bestreben, trotz aller Schwierigkeiten den Experimental-
beobachtungen auf psychologischem Gebiete die erwünschte Eindeutig-
keit und Allgemeingültigkeit zu sichern, ist es daher gewesen, welches
gerade hier zu einer ausgedehnten Anwendung der statistischen
Methode mit allen ihren Vorzügen und Mängeln und damit zu einer so
bedeutenden Häufung der Versuche geführt hat, dass es dem Einzelnen
kaum möglich ist, mehr als eine einzige beschränkte Seite irgend
eines umfassenden Problems selbst experimentell zu durcharbeiten.
Auf diese Weise aber ist bei den unzweifelhaft bestehenden individuellen
Differenzen die Beziehung der Ergebnisse verschiedener Beobachter
aufeinander und die Gewinnung wirklich durchgreifender Gesetze um
so mehr erschwert, als erfahrungsgemäss auch die kleinsten und an-
scheinend unbedeutendsten Abweichungen in der technischen Aus-
führung, der Beobachtungsart, der Zeitlage und Aufeinanderfolge der
Versuche eine hoffnungslose Unvergleichbarkeit herbeizuführen ver-
mögen.

Diese und ähnliche Erwägungen sind es gewesen, welche mich
veranlasst haben, trotz vieler äusserer Störungen zu verschiedenen

Bewusstseins hin und her, von jeder flüchtigen Regung in Form und
Inhalt beeinflusst, so dass es ebenso schwierig ist, ihre Grösse und
ihre Dauer zu bestimmen, wie etwa den genauen Platz auszumessen,
den eine Boje auf stürmisch bewegtem Meere einnimmt.

Allein die Boje ist am Grunde des Meeres verankert, und ihre
Schwankungen im Spiele der Wellen aufwärts und abwärts, nach rechts
und nach links haben ihre gewisse Grenze. Wenn wir daher in recht
vielen Momenten ihre relative Lage zu erreichbaren festen Punkten
feststellen, die Richtung der Luft- und Meeresströmungen berück-
sichtigen, so werden wir schliesslich dennoch annähernd die mittlere
Lage unseres Objectes und weiterhin auch den Verankerungspunkt
desselben bestimmen können. Ganz ähnlich liegt die Sache bei der
exacten Messung psychischer Vorgänge. Auch hier ist die feste Ver-
ankerung in dem Umstande gegeben, dass alle die einzelnen Bewusst-
seinsthatsachen in der psychophysischen Constitution des Individuums
ihre Wurzel haben und somit unter dem Einflusse äusserer Einwir-
kungen immerhin um eine und dieselbe Gleichgewichtslage herum
schwanken. Wenn dabei auch die einzelne Beobachtung das Typische
und Gesetzmässige nicht klarzustellen vermag, so muss es doch hier
ebenfalls gelingen, durch immer wiederholte Messungen am Ende ein
zutreffendes Bild von dem Zusammenhange der Erscheinungen zu ge-
winnen.

Das Bestreben, trotz aller Schwierigkeiten den Experimental-
beobachtungen auf psychologischem Gebiete die erwünschte Eindeutig-
keit und Allgemeingültigkeit zu sichern, ist es daher gewesen, welches
gerade hier zu einer ausgedehnten Anwendung der statistischen
Methode mit allen ihren Vorzügen und Mängeln und damit zu einer so
bedeutenden Häufung der Versuche geführt hat, dass es dem Einzelnen
kaum möglich ist, mehr als eine einzige beschränkte Seite irgend
eines umfassenden Problems selbst experimentell zu durcharbeiten.
Auf diese Weise aber ist bei den unzweifelhaft bestehenden individuellen
Differenzen die Beziehung der Ergebnisse verschiedener Beobachter
aufeinander und die Gewinnung wirklich durchgreifender Gesetze um
so mehr erschwert, als erfahrungsgemäss auch die kleinsten und an-
scheinend unbedeutendsten Abweichungen in der technischen Aus-
führung, der Beobachtungsart, der Zeitlage und Aufeinanderfolge der
Versuche eine hoffnungslose Unvergleichbarkeit herbeizuführen ver-
mögen.

Diese und ähnliche Erwägungen sind es gewesen, welche mich
veranlasst haben, trotz vieler äusserer Störungen zu verschiedenen

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[2/0018] Bewusstseins hin und her, von jeder flüchtigen Regung in Form und Inhalt beeinflusst, so dass es ebenso schwierig ist, ihre Grösse und ihre Dauer zu bestimmen, wie etwa den genauen Platz auszumessen, den eine Boje auf stürmisch bewegtem Meere einnimmt. Allein die Boje ist am Grunde des Meeres verankert, und ihre Schwankungen im Spiele der Wellen aufwärts und abwärts, nach rechts und nach links haben ihre gewisse Grenze. Wenn wir daher in recht vielen Momenten ihre relative Lage zu erreichbaren festen Punkten feststellen, die Richtung der Luft- und Meeresströmungen berück- sichtigen, so werden wir schliesslich dennoch annähernd die mittlere Lage unseres Objectes und weiterhin auch den Verankerungspunkt desselben bestimmen können. Ganz ähnlich liegt die Sache bei der exacten Messung psychischer Vorgänge. Auch hier ist die feste Ver- ankerung in dem Umstande gegeben, dass alle die einzelnen Bewusst- seinsthatsachen in der psychophysischen Constitution des Individuums ihre Wurzel haben und somit unter dem Einflusse äusserer Einwir- kungen immerhin um eine und dieselbe Gleichgewichtslage herum schwanken. Wenn dabei auch die einzelne Beobachtung das Typische und Gesetzmässige nicht klarzustellen vermag, so muss es doch hier ebenfalls gelingen, durch immer wiederholte Messungen am Ende ein zutreffendes Bild von dem Zusammenhange der Erscheinungen zu ge- winnen. Das Bestreben, trotz aller Schwierigkeiten den Experimental- beobachtungen auf psychologischem Gebiete die erwünschte Eindeutig- keit und Allgemeingültigkeit zu sichern, ist es daher gewesen, welches gerade hier zu einer ausgedehnten Anwendung der statistischen Methode mit allen ihren Vorzügen und Mängeln und damit zu einer so bedeutenden Häufung der Versuche geführt hat, dass es dem Einzelnen kaum möglich ist, mehr als eine einzige beschränkte Seite irgend eines umfassenden Problems selbst experimentell zu durcharbeiten. Auf diese Weise aber ist bei den unzweifelhaft bestehenden individuellen Differenzen die Beziehung der Ergebnisse verschiedener Beobachter aufeinander und die Gewinnung wirklich durchgreifender Gesetze um so mehr erschwert, als erfahrungsgemäss auch die kleinsten und an- scheinend unbedeutendsten Abweichungen in der technischen Aus- führung, der Beobachtungsart, der Zeitlage und Aufeinanderfolge der Versuche eine hoffnungslose Unvergleichbarkeit herbeizuführen ver- mögen. Diese und ähnliche Erwägungen sind es gewesen, welche mich veranlasst haben, trotz vieler äusserer Störungen zu verschiedenen

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/18>, abgerufen am 23.04.2024.