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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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beabsichtigten Ausnahmen die Stunden zwischen 61/2 und 81/2 Uhr
Abends festgehalten. Da jede Beobachtungsreihe aus 150 Versuchen
bestand und mehr als eine Stunde dauerte, so war die Möglichkeit
gegeben, aus dem Vergleich der Tage mit oder ohne Medicament auch
die Beeinflussung der Uebungs- und Ermüdungserscheinungen näher
zu verfolgen. Die besondere Tagesdisposition wurde hier allerdings
nicht erst durch Versuchsgruppen vor Einverleibung des Medicamentes
festgestellt, eine Unterlassung, welche durch die Schwierigkeit dictirt
war, damals regelmässig die Zeit für so lange fortgesetzte Versuchs
reihen zu gewinnen.

Gleichwol ist, wie sich mir allmählich immer klarer herausgestellt
hat, der unablässig wechselnde, von den verschiedenartigsten Einflüssen
abhängige Zustand unseres Bewusstseins für den Ausfall psycho-
physischer Versuche von sehr grosser Bedeutung. Es erscheint gerade-
zu unmöglich, überall von derselben psychophysischen Disposition der
Versuchsperson auszugehen, wie es eigentlich wünschenswerth wäre.
Auch dann, wenn man mit Erfolg bemüht gewesen ist, die äusseren
Bedingungen zweier Versuche ganz gleich zu gestalten, wenn es sogar
gelungen ist, die Einflüsse der Uebung und Ermüdung auf das ge-
ringste Mass einzuschränken, besteht doch gar keine Sicherheit dafür,
dass jene Versuche das gleiche Ergebniss liefern werden. Dieser Um-
stand ist es, der im Beginne solcher Untersuchungen so grosse Un-
sicherheit herbeiführt und den Ungeduldigen leicht an der Auffindung
bindender Gesetzmässigkeiten verzweifeln lässt. Diese Schwierigkeit
kann nur durch unermüdliche, freilich oft sehr schwierige und zeit-
raubende Häufung der Versuche bis zu einem gewissen Grade über-
wunden werden. Am störendsten ist es dabei, dass auch die Ver-
suchsperson sich durchaus nicht immer von dem Zustande ihres Innern
mit genügender Sicherheit Rechenschaft zu geben vermag. Das Ex-
periment ist so empfindlich, dass sich in ihm Dispositionsänderungen
ausdrücken, die wir selber gar nicht bemerken. Trotzdem lehrt die
Betrachtung grosser Gruppen von Versuchen, dass es auch hier in
der scheinbaren Regellosigkeit eine Gesetzmässigkeit giebt, die aller-
dings noch wenig bekannt und studirt ist. Natürlich wäre es für die
Deutung psychophysischer Experimente von grösster Wichtigkeit, wenn
wir jeweils durch einige Beobachtungen ein Urtheil über den augen-
blicklichen Bewusstseinszustand zu gewinnen vermöchten, damit man
diesen Factor bei dem Ausfall der ganzen Versuchsreihe mit in Rech-
nung ziehen könnte. Leider muss ich es mir versagen, hier ausführ-
licher auf diese Frage einzugehen, zu deren Klärung ich verschiedenes

beabsichtigten Ausnahmen die Stunden zwischen 6½ und 8½ Uhr
Abends festgehalten. Da jede Beobachtungsreihe aus 150 Versuchen
bestand und mehr als eine Stunde dauerte, so war die Möglichkeit
gegeben, aus dem Vergleich der Tage mit oder ohne Medicament auch
die Beeinflussung der Uebungs- und Ermüdungserscheinungen näher
zu verfolgen. Die besondere Tagesdisposition wurde hier allerdings
nicht erst durch Versuchsgruppen vor Einverleibung des Medicamentes
festgestellt, eine Unterlassung, welche durch die Schwierigkeit dictirt
war, damals regelmässig die Zeit für so lange fortgesetzte Versuchs
reihen zu gewinnen.

Gleichwol ist, wie sich mir allmählich immer klarer herausgestellt
hat, der unablässig wechselnde, von den verschiedenartigsten Einflüssen
abhängige Zustand unseres Bewusstseins für den Ausfall psycho-
physischer Versuche von sehr grosser Bedeutung. Es erscheint gerade-
zu unmöglich, überall von derselben psychophysischen Disposition der
Versuchsperson auszugehen, wie es eigentlich wünschenswerth wäre.
Auch dann, wenn man mit Erfolg bemüht gewesen ist, die äusseren
Bedingungen zweier Versuche ganz gleich zu gestalten, wenn es sogar
gelungen ist, die Einflüsse der Uebung und Ermüdung auf das ge-
ringste Mass einzuschränken, besteht doch gar keine Sicherheit dafür,
dass jene Versuche das gleiche Ergebniss liefern werden. Dieser Um-
stand ist es, der im Beginne solcher Untersuchungen so grosse Un-
sicherheit herbeiführt und den Ungeduldigen leicht an der Auffindung
bindender Gesetzmässigkeiten verzweifeln lässt. Diese Schwierigkeit
kann nur durch unermüdliche, freilich oft sehr schwierige und zeit-
raubende Häufung der Versuche bis zu einem gewissen Grade über-
wunden werden. Am störendsten ist es dabei, dass auch die Ver-
suchsperson sich durchaus nicht immer von dem Zustande ihres Innern
mit genügender Sicherheit Rechenschaft zu geben vermag. Das Ex-
periment ist so empfindlich, dass sich in ihm Dispositionsänderungen
ausdrücken, die wir selber gar nicht bemerken. Trotzdem lehrt die
Betrachtung grosser Gruppen von Versuchen, dass es auch hier in
der scheinbaren Regellosigkeit eine Gesetzmässigkeit giebt, die aller-
dings noch wenig bekannt und studirt ist. Natürlich wäre es für die
Deutung psychophysischer Experimente von grösster Wichtigkeit, wenn
wir jeweils durch einige Beobachtungen ein Urtheil über den augen-
blicklichen Bewusstseinszustand zu gewinnen vermöchten, damit man
diesen Factor bei dem Ausfall der ganzen Versuchsreihe mit in Rech-
nung ziehen könnte. Leider muss ich es mir versagen, hier ausführ-
licher auf diese Frage einzugehen, zu deren Klärung ich verschiedenes

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[9/0025] beabsichtigten Ausnahmen die Stunden zwischen 6½ und 8½ Uhr Abends festgehalten. Da jede Beobachtungsreihe aus 150 Versuchen bestand und mehr als eine Stunde dauerte, so war die Möglichkeit gegeben, aus dem Vergleich der Tage mit oder ohne Medicament auch die Beeinflussung der Uebungs- und Ermüdungserscheinungen näher zu verfolgen. Die besondere Tagesdisposition wurde hier allerdings nicht erst durch Versuchsgruppen vor Einverleibung des Medicamentes festgestellt, eine Unterlassung, welche durch die Schwierigkeit dictirt war, damals regelmässig die Zeit für so lange fortgesetzte Versuchs reihen zu gewinnen. Gleichwol ist, wie sich mir allmählich immer klarer herausgestellt hat, der unablässig wechselnde, von den verschiedenartigsten Einflüssen abhängige Zustand unseres Bewusstseins für den Ausfall psycho- physischer Versuche von sehr grosser Bedeutung. Es erscheint gerade- zu unmöglich, überall von derselben psychophysischen Disposition der Versuchsperson auszugehen, wie es eigentlich wünschenswerth wäre. Auch dann, wenn man mit Erfolg bemüht gewesen ist, die äusseren Bedingungen zweier Versuche ganz gleich zu gestalten, wenn es sogar gelungen ist, die Einflüsse der Uebung und Ermüdung auf das ge- ringste Mass einzuschränken, besteht doch gar keine Sicherheit dafür, dass jene Versuche das gleiche Ergebniss liefern werden. Dieser Um- stand ist es, der im Beginne solcher Untersuchungen so grosse Un- sicherheit herbeiführt und den Ungeduldigen leicht an der Auffindung bindender Gesetzmässigkeiten verzweifeln lässt. Diese Schwierigkeit kann nur durch unermüdliche, freilich oft sehr schwierige und zeit- raubende Häufung der Versuche bis zu einem gewissen Grade über- wunden werden. Am störendsten ist es dabei, dass auch die Ver- suchsperson sich durchaus nicht immer von dem Zustande ihres Innern mit genügender Sicherheit Rechenschaft zu geben vermag. Das Ex- periment ist so empfindlich, dass sich in ihm Dispositionsänderungen ausdrücken, die wir selber gar nicht bemerken. Trotzdem lehrt die Betrachtung grosser Gruppen von Versuchen, dass es auch hier in der scheinbaren Regellosigkeit eine Gesetzmässigkeit giebt, die aller- dings noch wenig bekannt und studirt ist. Natürlich wäre es für die Deutung psychophysischer Experimente von grösster Wichtigkeit, wenn wir jeweils durch einige Beobachtungen ein Urtheil über den augen- blicklichen Bewusstseinszustand zu gewinnen vermöchten, damit man diesen Factor bei dem Ausfall der ganzen Versuchsreihe mit in Rech- nung ziehen könnte. Leider muss ich es mir versagen, hier ausführ- licher auf diese Frage einzugehen, zu deren Klärung ich verschiedenes

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/25>, abgerufen am 28.03.2024.