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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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Versuchsreihen die augenblickliche Disposition ermitteln, weil diese
letztere eben durch die Prüfung in entscheidender Weise verändert
wird und wir erst diese Veränderungen gewissermassen als Hülfsmittel
für die Diagnose des psychischen Zustandes benutzen. Kennte man
den Gang der Ermüdung und der Erholung für das einzelne Indi-
viduum genau, so wäre man allerdings, wie ich glaube, im Stande,
nachdem man seine jeweilige Disposition festgestellt, durch geeignete
Anordnung von Ruhe oder Arbeit immer annähernd denselben Zustand
wieder zu erzeugen, der ein für allemal als Ausgangspunkt für eine be-
stimmte Art von Versuchen zu dienen hätte. Soweit sind wir indessen
leider noch nicht. Dennoch ermöglicht uns auch heute schon die Höhe
der Anfangsleistung wenigstens einigermassen ein Urtheil über den
augenblicklichen Stand der Arbeitsfähigkeit. Eine ungewöhnlich hohe
Anfangsleistung deutet auf jenes Stadium gesteigerter Erregbarkeit hin,
welches sich nach einer gewissen Dauer der Arbeit einstellt. Wir
werden unter diesen Umständen erwarten müssen, dass die Leistungs-
fähigkeit höchst wahrscheinlich bald eine Abnahme erfahren wird.
Dagegen kann eine geringe Anfangsleistung das Zeichen entweder
einer sehr vollständigen Erholung oder einer weit vorgeschrittenen Er-
müdung sein. Im ersteren Falle folgt weiterhin eine Zunahme, im
andern ein fortschreitendes und unaufhaltsames Sinken der Arbeits-
fähigkeit. Zugleich pflegt sich der letztere Zustand auch subjectiv
sehr bald durch das Gefühl der Ermüdung zu signalisiren.

Diese Gesichtspunkte sind es, welche uns bei der Beurtheilung der
einzelnen Versuchsergebnisse späterhin mehrfach leiten werden. Gerade
beim Studium der Arzneiwirkungen spielt die augenblickliche Ermüdbar-
keit, die Leichtigkeit, mit welcher die Erscheinungen der psychischen
Lähmung eintreten, eine wichtige Rolle. Je weiter aber der Vorgang der
Ermüdung vorgeschritten ist, desto grösser wird natürlich die Ermüd-
barkeit, desto kürzer und gangbarer ist der Weg zur zeitweisen Auf-
hebung der Function. Wir würden daher nicht selten zu ganz ver-
kehrten Schlüssen gelangen müssen, wenn wir bei der Vergleichung
der Arzneiwirkung auf verschiedenen Gebieten unseres Seelenlebens
nicht auch nach Möglichkeit den Grad der Ermüdbarkeit berück-
sichtigen würden, mit dem wir bei der Anstellung der einzelnen Ver-
suche zu rechnen hatten.

b. Methode der Zeitmessung.

Eine etwas eingehendere Besprechung erfordert weiterhin die von
mir angewandte Methode der Zeitmessung. Bei den Versuchen nach

Versuchsreihen die augenblickliche Disposition ermitteln, weil diese
letztere eben durch die Prüfung in entscheidender Weise verändert
wird und wir erst diese Veränderungen gewissermassen als Hülfsmittel
für die Diagnose des psychischen Zustandes benutzen. Kennte man
den Gang der Ermüdung und der Erholung für das einzelne Indi-
viduum genau, so wäre man allerdings, wie ich glaube, im Stande,
nachdem man seine jeweilige Disposition festgestellt, durch geeignete
Anordnung von Ruhe oder Arbeit immer annähernd denselben Zustand
wieder zu erzeugen, der ein für allemal als Ausgangspunkt für eine be-
stimmte Art von Versuchen zu dienen hätte. Soweit sind wir indessen
leider noch nicht. Dennoch ermöglicht uns auch heute schon die Höhe
der Anfangsleistung wenigstens einigermassen ein Urtheil über den
augenblicklichen Stand der Arbeitsfähigkeit. Eine ungewöhnlich hohe
Anfangsleistung deutet auf jenes Stadium gesteigerter Erregbarkeit hin,
welches sich nach einer gewissen Dauer der Arbeit einstellt. Wir
werden unter diesen Umständen erwarten müssen, dass die Leistungs-
fähigkeit höchst wahrscheinlich bald eine Abnahme erfahren wird.
Dagegen kann eine geringe Anfangsleistung das Zeichen entweder
einer sehr vollständigen Erholung oder einer weit vorgeschrittenen Er-
müdung sein. Im ersteren Falle folgt weiterhin eine Zunahme, im
andern ein fortschreitendes und unaufhaltsames Sinken der Arbeits-
fähigkeit. Zugleich pflegt sich der letztere Zustand auch subjectiv
sehr bald durch das Gefühl der Ermüdung zu signalisiren.

Diese Gesichtspunkte sind es, welche uns bei der Beurtheilung der
einzelnen Versuchsergebnisse späterhin mehrfach leiten werden. Gerade
beim Studium der Arzneiwirkungen spielt die augenblickliche Ermüdbar-
keit, die Leichtigkeit, mit welcher die Erscheinungen der psychischen
Lähmung eintreten, eine wichtige Rolle. Je weiter aber der Vorgang der
Ermüdung vorgeschritten ist, desto grösser wird natürlich die Ermüd-
barkeit, desto kürzer und gangbarer ist der Weg zur zeitweisen Auf-
hebung der Function. Wir würden daher nicht selten zu ganz ver-
kehrten Schlüssen gelangen müssen, wenn wir bei der Vergleichung
der Arzneiwirkung auf verschiedenen Gebieten unseres Seelenlebens
nicht auch nach Möglichkeit den Grad der Ermüdbarkeit berück-
sichtigen würden, mit dem wir bei der Anstellung der einzelnen Ver-
suche zu rechnen hatten.

b. Methode der Zeitmessung.

Eine etwas eingehendere Besprechung erfordert weiterhin die von
mir angewandte Methode der Zeitmessung. Bei den Versuchen nach

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[12/0028] Versuchsreihen die augenblickliche Disposition ermitteln, weil diese letztere eben durch die Prüfung in entscheidender Weise verändert wird und wir erst diese Veränderungen gewissermassen als Hülfsmittel für die Diagnose des psychischen Zustandes benutzen. Kennte man den Gang der Ermüdung und der Erholung für das einzelne Indi- viduum genau, so wäre man allerdings, wie ich glaube, im Stande, nachdem man seine jeweilige Disposition festgestellt, durch geeignete Anordnung von Ruhe oder Arbeit immer annähernd denselben Zustand wieder zu erzeugen, der ein für allemal als Ausgangspunkt für eine be- stimmte Art von Versuchen zu dienen hätte. Soweit sind wir indessen leider noch nicht. Dennoch ermöglicht uns auch heute schon die Höhe der Anfangsleistung wenigstens einigermassen ein Urtheil über den augenblicklichen Stand der Arbeitsfähigkeit. Eine ungewöhnlich hohe Anfangsleistung deutet auf jenes Stadium gesteigerter Erregbarkeit hin, welches sich nach einer gewissen Dauer der Arbeit einstellt. Wir werden unter diesen Umständen erwarten müssen, dass die Leistungs- fähigkeit höchst wahrscheinlich bald eine Abnahme erfahren wird. Dagegen kann eine geringe Anfangsleistung das Zeichen entweder einer sehr vollständigen Erholung oder einer weit vorgeschrittenen Er- müdung sein. Im ersteren Falle folgt weiterhin eine Zunahme, im andern ein fortschreitendes und unaufhaltsames Sinken der Arbeits- fähigkeit. Zugleich pflegt sich der letztere Zustand auch subjectiv sehr bald durch das Gefühl der Ermüdung zu signalisiren. Diese Gesichtspunkte sind es, welche uns bei der Beurtheilung der einzelnen Versuchsergebnisse späterhin mehrfach leiten werden. Gerade beim Studium der Arzneiwirkungen spielt die augenblickliche Ermüdbar- keit, die Leichtigkeit, mit welcher die Erscheinungen der psychischen Lähmung eintreten, eine wichtige Rolle. Je weiter aber der Vorgang der Ermüdung vorgeschritten ist, desto grösser wird natürlich die Ermüd- barkeit, desto kürzer und gangbarer ist der Weg zur zeitweisen Auf- hebung der Function. Wir würden daher nicht selten zu ganz ver- kehrten Schlüssen gelangen müssen, wenn wir bei der Vergleichung der Arzneiwirkung auf verschiedenen Gebieten unseres Seelenlebens nicht auch nach Möglichkeit den Grad der Ermüdbarkeit berück- sichtigen würden, mit dem wir bei der Anstellung der einzelnen Ver- suche zu rechnen hatten. b. Methode der Zeitmessung. Eine etwas eingehendere Besprechung erfordert weiterhin die von mir angewandte Methode der Zeitmessung. Bei den Versuchen nach

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/28>, abgerufen am 29.03.2024.