Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

Bild:
<< vorherige Seite

sich auf rohe Weise vergnügen?

Der Hinweis auf die verringerte Heiratsmöglichkeit der
Männer der höheren Stände, der als Entschuldigung für un-
geregeltes Leben oft geltend gemacht wird, ist sicher nicht ganz
von der Hand zu weisen. Aber er ist doch als Entschuldigungs-
grund nicht annähernd so berechtigt, wie die Behauptung zu
geringer Entlohnung weiter Klassen von Arbeiterinnen. Diese
- wir sahen es an den vorher angeführten Zahlen - stehen
oft geradezu vor der Wahl, Hunger zu leiden oder sittlich
unterzugehen. Und wenn es auch nicht immer der nackte
Hunger ist, der sie treibt, kann man es ihnen verdenken, daß
auch in ihnen die Sehnsucht lebt, einmal etwas anderes zu
haben als Arbeit, Entbehrung und Sorge? Das Geld wird
auf unlauteren Wegen so leicht verdient und die Versuchung
tritt oft in so angenehmer, verlockender Form an sie heran.
Dazu kommt das Milieu, dem sie entstammen. Wohnungs-
not, Verwahrlosung der Jugend, Schlafgängerunwesen be-
reiten die Mädchen schon in jungen Jahren für sittlichen
Fall vor, lassen sie das Leben, das sie führen, oft gar nicht
mehr als widernatürliches empfinden.

Was bedeutet dagegen die verringerte Heiratsmöglichkeit
in den besitzenden Klassen, die oft geradezu eine gewollte,
eine durch übermäßige, überflüssige Ansprüche hervorgerufene
ist. Ansprüche nicht nur von seiten des Mannes, sondern auch
von seiten unserer viel zu sehr verwöhnten jungen Mädchen,
deren Eltern nicht daran zu denken scheinen, welche Glücks-
möglichkeiten sie ihren Kindern durch solch verkehrte Erziehung
rauben. Wohl auch durch falsche Sorge von seiten der Eltern, durch
frühe Heirat die Carriere ihres Sohnes geschädigt zu sehen.
Zum großen Teil ist aber das Gerede von der Unmöglichkeit
heiraten zu können, nur ein Deckmantel, die Unlust der Männer

sich auf rohe Weise vergnügen?

Der Hinweis auf die verringerte Heiratsmöglichkeit der
Männer der höheren Stände, der als Entschuldigung für un-
geregeltes Leben oft geltend gemacht wird, ist sicher nicht ganz
von der Hand zu weisen. Aber er ist doch als Entschuldigungs-
grund nicht annähernd so berechtigt, wie die Behauptung zu
geringer Entlohnung weiter Klassen von Arbeiterinnen. Diese
– wir sahen es an den vorher angeführten Zahlen – stehen
oft geradezu vor der Wahl, Hunger zu leiden oder sittlich
unterzugehen. Und wenn es auch nicht immer der nackte
Hunger ist, der sie treibt, kann man es ihnen verdenken, daß
auch in ihnen die Sehnsucht lebt, einmal etwas anderes zu
haben als Arbeit, Entbehrung und Sorge? Das Geld wird
auf unlauteren Wegen so leicht verdient und die Versuchung
tritt oft in so angenehmer, verlockender Form an sie heran.
Dazu kommt das Milieu, dem sie entstammen. Wohnungs-
not, Verwahrlosung der Jugend, Schlafgängerunwesen be-
reiten die Mädchen schon in jungen Jahren für sittlichen
Fall vor, lassen sie das Leben, das sie führen, oft gar nicht
mehr als widernatürliches empfinden.

Was bedeutet dagegen die verringerte Heiratsmöglichkeit
in den besitzenden Klassen, die oft geradezu eine gewollte,
eine durch übermäßige, überflüssige Ansprüche hervorgerufene
ist. Ansprüche nicht nur von seiten des Mannes, sondern auch
von seiten unserer viel zu sehr verwöhnten jungen Mädchen,
deren Eltern nicht daran zu denken scheinen, welche Glücks-
möglichkeiten sie ihren Kindern durch solch verkehrte Erziehung
rauben. Wohl auch durch falsche Sorge von seiten der Eltern, durch
frühe Heirat die Carriere ihres Sohnes geschädigt zu sehen.
Zum großen Teil ist aber das Gerede von der Unmöglichkeit
heiraten zu können, nur ein Deckmantel, die Unlust der Männer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0163" n="153"/>
sich auf rohe Weise vergnügen?</p><lb/>
        <p>Der Hinweis auf die verringerte Heiratsmöglichkeit der<lb/>
Männer der höheren Stände, der als Entschuldigung für un-<lb/>
geregeltes Leben oft geltend gemacht wird, ist sicher nicht ganz<lb/>
von der Hand zu weisen. Aber er ist doch als Entschuldigungs-<lb/>
grund nicht annähernd so berechtigt, wie die Behauptung zu<lb/>
geringer Entlohnung weiter Klassen von Arbeiterinnen. Diese<lb/>
&#x2013; wir sahen es an den vorher angeführten Zahlen &#x2013; stehen<lb/>
oft geradezu vor der Wahl, Hunger zu leiden oder sittlich<lb/>
unterzugehen. Und wenn es auch nicht immer der nackte<lb/>
Hunger ist, der sie treibt, kann man es ihnen verdenken, daß<lb/>
auch in ihnen die Sehnsucht lebt, einmal etwas anderes zu<lb/>
haben als Arbeit, Entbehrung und Sorge? Das Geld wird<lb/>
auf unlauteren Wegen so leicht verdient und die Versuchung<lb/>
tritt oft in so angenehmer, verlockender Form an sie heran.<lb/>
Dazu kommt das Milieu, dem sie entstammen. Wohnungs-<lb/>
not, Verwahrlosung der Jugend, Schlafgängerunwesen be-<lb/>
reiten die Mädchen schon in jungen Jahren für sittlichen<lb/>
Fall vor, lassen sie das Leben, das sie führen, oft gar nicht<lb/>
mehr als widernatürliches empfinden.</p><lb/>
        <p>Was bedeutet dagegen die verringerte Heiratsmöglichkeit<lb/>
in den besitzenden Klassen, die oft geradezu eine gewollte,<lb/>
eine durch übermäßige, überflüssige Ansprüche hervorgerufene<lb/>
ist. Ansprüche nicht nur von seiten des Mannes, sondern auch<lb/>
von seiten unserer viel zu sehr verwöhnten jungen Mädchen,<lb/>
deren Eltern nicht daran zu denken scheinen, welche Glücks-<lb/>
möglichkeiten sie ihren Kindern durch solch verkehrte Erziehung<lb/>
rauben. Wohl auch durch falsche Sorge von seiten der Eltern, durch<lb/>
frühe Heirat die Carriere ihres Sohnes geschädigt zu sehen.<lb/>
Zum großen Teil ist aber das Gerede von der Unmöglichkeit<lb/>
heiraten zu können, nur ein Deckmantel, die Unlust der Männer<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0163] sich auf rohe Weise vergnügen? Der Hinweis auf die verringerte Heiratsmöglichkeit der Männer der höheren Stände, der als Entschuldigung für un- geregeltes Leben oft geltend gemacht wird, ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber er ist doch als Entschuldigungs- grund nicht annähernd so berechtigt, wie die Behauptung zu geringer Entlohnung weiter Klassen von Arbeiterinnen. Diese – wir sahen es an den vorher angeführten Zahlen – stehen oft geradezu vor der Wahl, Hunger zu leiden oder sittlich unterzugehen. Und wenn es auch nicht immer der nackte Hunger ist, der sie treibt, kann man es ihnen verdenken, daß auch in ihnen die Sehnsucht lebt, einmal etwas anderes zu haben als Arbeit, Entbehrung und Sorge? Das Geld wird auf unlauteren Wegen so leicht verdient und die Versuchung tritt oft in so angenehmer, verlockender Form an sie heran. Dazu kommt das Milieu, dem sie entstammen. Wohnungs- not, Verwahrlosung der Jugend, Schlafgängerunwesen be- reiten die Mädchen schon in jungen Jahren für sittlichen Fall vor, lassen sie das Leben, das sie führen, oft gar nicht mehr als widernatürliches empfinden. Was bedeutet dagegen die verringerte Heiratsmöglichkeit in den besitzenden Klassen, die oft geradezu eine gewollte, eine durch übermäßige, überflüssige Ansprüche hervorgerufene ist. Ansprüche nicht nur von seiten des Mannes, sondern auch von seiten unserer viel zu sehr verwöhnten jungen Mädchen, deren Eltern nicht daran zu denken scheinen, welche Glücks- möglichkeiten sie ihren Kindern durch solch verkehrte Erziehung rauben. Wohl auch durch falsche Sorge von seiten der Eltern, durch frühe Heirat die Carriere ihres Sohnes geschädigt zu sehen. Zum großen Teil ist aber das Gerede von der Unmöglichkeit heiraten zu können, nur ein Deckmantel, die Unlust der Männer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/163
Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/163>, abgerufen am 25.04.2024.