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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
Gesch.-Ordn. §. 31 ausdrücklich für unzulässig erklärt, folglich kann
auch keine Beschlußfassung stattfinden. Niemals übt daher der
Reichstag, auch wenn sich an die Interpellation eine Besprechung
anschließt, eine staatsrechtliche Funktion aus.

2) Von dem Recht, Adressen an den Kaiser zu richten 1), gilt
im Wesentlichen dasselbe. Es besteht keine Pflicht des Kaisers,
auf die Adresse eine Antwort zu ertheilen oder sie überhaupt auch
nur entgegen zu nehmen 2). So groß die politische Bedeutung
einer Adresse des Reichstages unter Umständen sein kann, eine
staatsrechtliche kömmt ihr niemals zu 3). Jede Versammlung, wel-
cher nicht durch positive Rechtsvorschrift die Erörterung politischer
Angelegenheiten untersagt ist, kann ebensogut wie der Reichstag
Adressen an den Kaiser verfassen. Eine staatsrechtliche Funk-
tion
wird durch den Erlaß einer Adresse nicht ausgeübt 4) und
daran ändert auch der Umstand Nichts, daß die Gesch.-Ordn.
§. 64. 65. die geschäftliche Behandlung eines Antrages auf Erlaß
einer Adresse geregelt hat.

§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.

"Der Reichstag geht aus allgemeinen und direk-
ten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor."
R.-V.
Art. 20 Abs. 1.

In diesem Verfassungssatz sind die wichtigsten Grundprincipien
für die Zusammensetzung des Reichstages enthalten. Die näheren
Anordnungen sind durch das Wahlgesetz vom 31. Mai 1869

1) Riedel S. 36 unter 6d. v. Rönne S. 173. v. Mohl S. 336.
Meyer Erörter. S. 50.
2) Nach der Preuß. Verf. Art. 81 Abs. 1 hat jede Kammer für sich
das Recht, Adressen an den König zu richten. Diesem Recht entspricht dann
allerdings die Pflicht des Königs, Adressen eines der beiden Häuser entgegen
zu nehmen.
3) Deshalb ist auch nicht einzusehen, warum es dem Reichstage nicht ge-
stattet sei, an den Bundesrath Adressen zu erlassen, wie Seydel S. 151. 152
meint. Vgl. auch v. Held S. 125. Es ist dies nur nicht üblich.
4) Mit demselben Grunde könnte man von einem Rechte des Reichstages
reden, ein Hoch auf den Kaiser auszubringen oder ihm zum Geburtstage Glück-
wünsche auszudrücken, oder dem Reichstags-Präsidenten für die Leitung der
Geschäfte zu danken u. s. w.

§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
Geſch.-Ordn. §. 31 ausdrücklich für unzuläſſig erklärt, folglich kann
auch keine Beſchlußfaſſung ſtattfinden. Niemals übt daher der
Reichstag, auch wenn ſich an die Interpellation eine Beſprechung
anſchließt, eine ſtaatsrechtliche Funktion aus.

2) Von dem Recht, Adreſſen an den Kaiſer zu richten 1), gilt
im Weſentlichen daſſelbe. Es beſteht keine Pflicht des Kaiſers,
auf die Adreſſe eine Antwort zu ertheilen oder ſie überhaupt auch
nur entgegen zu nehmen 2). So groß die politiſche Bedeutung
einer Adreſſe des Reichstages unter Umſtänden ſein kann, eine
ſtaatsrechtliche kömmt ihr niemals zu 3). Jede Verſammlung, wel-
cher nicht durch poſitive Rechtsvorſchrift die Erörterung politiſcher
Angelegenheiten unterſagt iſt, kann ebenſogut wie der Reichstag
Adreſſen an den Kaiſer verfaſſen. Eine ſtaatsrechtliche Funk-
tion
wird durch den Erlaß einer Adreſſe nicht ausgeübt 4) und
daran ändert auch der Umſtand Nichts, daß die Geſch.-Ordn.
§. 64. 65. die geſchäftliche Behandlung eines Antrages auf Erlaß
einer Adreſſe geregelt hat.

§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.

„Der Reichstag geht aus allgemeinen und direk-
ten Wahlen mit geheimer Abſtimmung hervor.“
R.-V.
Art. 20 Abſ. 1.

In dieſem Verfaſſungsſatz ſind die wichtigſten Grundprincipien
für die Zuſammenſetzung des Reichstages enthalten. Die näheren
Anordnungen ſind durch das Wahlgeſetz vom 31. Mai 1869

1) Riedel S. 36 unter 6d. v. Rönne S. 173. v. Mohl S. 336.
Meyer Erörter. S. 50.
2) Nach der Preuß. Verf. Art. 81 Abſ. 1 hat jede Kammer für ſich
das Recht, Adreſſen an den König zu richten. Dieſem Recht entſpricht dann
allerdings die Pflicht des Königs, Adreſſen eines der beiden Häuſer entgegen
zu nehmen.
3) Deshalb iſt auch nicht einzuſehen, warum es dem Reichstage nicht ge-
ſtattet ſei, an den Bundesrath Adreſſen zu erlaſſen, wie Seydel S. 151. 152
meint. Vgl. auch v. Held S. 125. Es iſt dies nur nicht üblich.
4) Mit demſelben Grunde könnte man von einem Rechte des Reichstages
reden, ein Hoch auf den Kaiſer auszubringen oder ihm zum Geburtstage Glück-
wünſche auszudrücken, oder dem Reichstags-Präſidenten für die Leitung der
Geſchäfte zu danken u. ſ. w.
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[523/0543] §. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. Geſch.-Ordn. §. 31 ausdrücklich für unzuläſſig erklärt, folglich kann auch keine Beſchlußfaſſung ſtattfinden. Niemals übt daher der Reichstag, auch wenn ſich an die Interpellation eine Beſprechung anſchließt, eine ſtaatsrechtliche Funktion aus. 2) Von dem Recht, Adreſſen an den Kaiſer zu richten 1), gilt im Weſentlichen daſſelbe. Es beſteht keine Pflicht des Kaiſers, auf die Adreſſe eine Antwort zu ertheilen oder ſie überhaupt auch nur entgegen zu nehmen 2). So groß die politiſche Bedeutung einer Adreſſe des Reichstages unter Umſtänden ſein kann, eine ſtaatsrechtliche kömmt ihr niemals zu 3). Jede Verſammlung, wel- cher nicht durch poſitive Rechtsvorſchrift die Erörterung politiſcher Angelegenheiten unterſagt iſt, kann ebenſogut wie der Reichstag Adreſſen an den Kaiſer verfaſſen. Eine ſtaatsrechtliche Funk- tion wird durch den Erlaß einer Adreſſe nicht ausgeübt 4) und daran ändert auch der Umſtand Nichts, daß die Geſch.-Ordn. §. 64. 65. die geſchäftliche Behandlung eines Antrages auf Erlaß einer Adreſſe geregelt hat. §. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. „Der Reichstag geht aus allgemeinen und direk- ten Wahlen mit geheimer Abſtimmung hervor.“ R.-V. Art. 20 Abſ. 1. In dieſem Verfaſſungsſatz ſind die wichtigſten Grundprincipien für die Zuſammenſetzung des Reichstages enthalten. Die näheren Anordnungen ſind durch das Wahlgeſetz vom 31. Mai 1869 1) Riedel S. 36 unter 6d. v. Rönne S. 173. v. Mohl S. 336. Meyer Erörter. S. 50. 2) Nach der Preuß. Verf. Art. 81 Abſ. 1 hat jede Kammer für ſich das Recht, Adreſſen an den König zu richten. Dieſem Recht entſpricht dann allerdings die Pflicht des Königs, Adreſſen eines der beiden Häuſer entgegen zu nehmen. 3) Deshalb iſt auch nicht einzuſehen, warum es dem Reichstage nicht ge- ſtattet ſei, an den Bundesrath Adreſſen zu erlaſſen, wie Seydel S. 151. 152 meint. Vgl. auch v. Held S. 125. Es iſt dies nur nicht üblich. 4) Mit demſelben Grunde könnte man von einem Rechte des Reichstages reden, ein Hoch auf den Kaiſer auszubringen oder ihm zum Geburtstage Glück- wünſche auszudrücken, oder dem Reichstags-Präſidenten für die Leitung der Geſchäfte zu danken u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/543>, abgerufen am 28.03.2024.