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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
welchen auf diese Strafe erkannt wird, regelmäßig von dem Straf-
richter festgestellt sein muß, daß die That aus ehrloser Gesinnung
entsprungen sei, also nicht als ein politisches Verbrechen oder Ver-
gehen qualifizirt werden könne.

Für die mit der Aufstellung der Wählerlisten betrauten Be-
hörden ergiebt sich hieraus die einfache Regel, aus den Listen
alle Personen fortzulassen, welchen durch rechtskräftiges Erkennt-
niß die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, ohne auf eine
Untersuchung darüber einzugehen, ob die Verurtheilung wegen eines
"politischen" Verbrechens oder Vergehens erfolgt sei.

Zu demselben Resultat führt auch die Erwägung, daß §. 34
des R.-St.-G.-B.'s ohne zwischen politischen und gemeinen Ver-
brechen oder Vergehen einen Unterschied zu machen, an die Aber-
kennung der bürgerlichen Ehrenrechte die Wirkung knüpft, daß
während der im Urtheile bestimmten Zeit die Unfähig-
keit, in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen oder
gewählt zu werden, eintritt, und daß das Reichsstrafgesetzbuch als
das jüngere Reichsgesetz dem Wahlgesetz vorgeht. Indeß läßt
sich hier das Bedenken erheben, ob nicht die Anordnung im §. 13
des Wahlgesetzes als lex specialis von der Modificirung durch das
Strafgesetzbuch als lex generalis ausgenommen sei; ein Bedenken,
welches durch das Einführungs-Gesetz zum Strafgesetzbuch §. 2 sich
nicht erledigt.

Der praktische Schwerpunkt der Bestimmung des Wahlgesetzes
liegt aber allerdings nicht in dem aktiven Wahlrecht, sondern in
der davon abhängigen Wählbarkeit. Ueber dieselbe hat der Reichs-
tag zu entscheiden, da ihm die Prüfung der Legitimation seiner
Mitglieder zusteht. Hierbei ist er formell an juristische Gründe
nicht gebunden; er kann vielmehr der Erwägung Raum geben, ob
der von einer großen Wählerzahl ernannte Abgeordnete nicht zu-
zulassen sei, wenngleich ein rechtskräftiges Erkenntniß demselben
die Ehrenrechte abgesprochen hat, und er kann in dieser Erwägung
den Begriff der politischen Verbrechen und Vergehen so verstehen
und dehnen, wie es der einzelne Fall etwa erfordert.

II. Die Wählbarkeit.

Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, welcher einem zum Bunde
gehörigen Staate seit mindestens einem Jahre angehört hat 1). Da

1) Wahlges. §. 4.
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 34

§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
welchen auf dieſe Strafe erkannt wird, regelmäßig von dem Straf-
richter feſtgeſtellt ſein muß, daß die That aus ehrloſer Geſinnung
entſprungen ſei, alſo nicht als ein politiſches Verbrechen oder Ver-
gehen qualifizirt werden könne.

Für die mit der Aufſtellung der Wählerliſten betrauten Be-
hörden ergiebt ſich hieraus die einfache Regel, aus den Liſten
alle Perſonen fortzulaſſen, welchen durch rechtskräftiges Erkennt-
niß die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt ſind, ohne auf eine
Unterſuchung darüber einzugehen, ob die Verurtheilung wegen eines
„politiſchen“ Verbrechens oder Vergehens erfolgt ſei.

Zu demſelben Reſultat führt auch die Erwägung, daß §. 34
des R.-St.-G.-B.’s ohne zwiſchen politiſchen und gemeinen Ver-
brechen oder Vergehen einen Unterſchied zu machen, an die Aber-
kennung der bürgerlichen Ehrenrechte die Wirkung knüpft, daß
während der im Urtheile beſtimmten Zeit die Unfähig-
keit, in öffentlichen Angelegenheiten zu ſtimmen, zu wählen oder
gewählt zu werden, eintritt, und daß das Reichsſtrafgeſetzbuch als
das jüngere Reichsgeſetz dem Wahlgeſetz vorgeht. Indeß läßt
ſich hier das Bedenken erheben, ob nicht die Anordnung im §. 13
des Wahlgeſetzes als lex specialis von der Modificirung durch das
Strafgeſetzbuch als lex generalis ausgenommen ſei; ein Bedenken,
welches durch das Einführungs-Geſetz zum Strafgeſetzbuch §. 2 ſich
nicht erledigt.

Der praktiſche Schwerpunkt der Beſtimmung des Wahlgeſetzes
liegt aber allerdings nicht in dem aktiven Wahlrecht, ſondern in
der davon abhängigen Wählbarkeit. Ueber dieſelbe hat der Reichs-
tag zu entſcheiden, da ihm die Prüfung der Legitimation ſeiner
Mitglieder zuſteht. Hierbei iſt er formell an juriſtiſche Gründe
nicht gebunden; er kann vielmehr der Erwägung Raum geben, ob
der von einer großen Wählerzahl ernannte Abgeordnete nicht zu-
zulaſſen ſei, wenngleich ein rechtskräftiges Erkenntniß demſelben
die Ehrenrechte abgeſprochen hat, und er kann in dieſer Erwägung
den Begriff der politiſchen Verbrechen und Vergehen ſo verſtehen
und dehnen, wie es der einzelne Fall etwa erfordert.

II. Die Wählbarkeit.

Wählbar iſt jeder Wahlberechtigte, welcher einem zum Bunde
gehörigen Staate ſeit mindeſtens einem Jahre angehört hat 1). Da

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[529/0549] §. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. welchen auf dieſe Strafe erkannt wird, regelmäßig von dem Straf- richter feſtgeſtellt ſein muß, daß die That aus ehrloſer Geſinnung entſprungen ſei, alſo nicht als ein politiſches Verbrechen oder Ver- gehen qualifizirt werden könne. Für die mit der Aufſtellung der Wählerliſten betrauten Be- hörden ergiebt ſich hieraus die einfache Regel, aus den Liſten alle Perſonen fortzulaſſen, welchen durch rechtskräftiges Erkennt- niß die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt ſind, ohne auf eine Unterſuchung darüber einzugehen, ob die Verurtheilung wegen eines „politiſchen“ Verbrechens oder Vergehens erfolgt ſei. Zu demſelben Reſultat führt auch die Erwägung, daß §. 34 des R.-St.-G.-B.’s ohne zwiſchen politiſchen und gemeinen Ver- brechen oder Vergehen einen Unterſchied zu machen, an die Aber- kennung der bürgerlichen Ehrenrechte die Wirkung knüpft, daß während der im Urtheile beſtimmten Zeit die Unfähig- keit, in öffentlichen Angelegenheiten zu ſtimmen, zu wählen oder gewählt zu werden, eintritt, und daß das Reichsſtrafgeſetzbuch als das jüngere Reichsgeſetz dem Wahlgeſetz vorgeht. Indeß läßt ſich hier das Bedenken erheben, ob nicht die Anordnung im §. 13 des Wahlgeſetzes als lex specialis von der Modificirung durch das Strafgeſetzbuch als lex generalis ausgenommen ſei; ein Bedenken, welches durch das Einführungs-Geſetz zum Strafgeſetzbuch §. 2 ſich nicht erledigt. Der praktiſche Schwerpunkt der Beſtimmung des Wahlgeſetzes liegt aber allerdings nicht in dem aktiven Wahlrecht, ſondern in der davon abhängigen Wählbarkeit. Ueber dieſelbe hat der Reichs- tag zu entſcheiden, da ihm die Prüfung der Legitimation ſeiner Mitglieder zuſteht. Hierbei iſt er formell an juriſtiſche Gründe nicht gebunden; er kann vielmehr der Erwägung Raum geben, ob der von einer großen Wählerzahl ernannte Abgeordnete nicht zu- zulaſſen ſei, wenngleich ein rechtskräftiges Erkenntniß demſelben die Ehrenrechte abgeſprochen hat, und er kann in dieſer Erwägung den Begriff der politiſchen Verbrechen und Vergehen ſo verſtehen und dehnen, wie es der einzelne Fall etwa erfordert. II. Die Wählbarkeit. Wählbar iſt jeder Wahlberechtigte, welcher einem zum Bunde gehörigen Staate ſeit mindeſtens einem Jahre angehört hat 1). Da 1) Wahlgeſ. §. 4. Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 34

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/549>, abgerufen am 29.03.2024.