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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 50. Bedingungen der Thätigkeit des Reichstages.
aufhört, Angehöriger des deutschen Reiches zu sein. Wer nicht
zum deutschen Volke gehört, kann auch nicht "Vertreter" desselben
sein. Wenn man aber anerkennt, daß der Wegfall einer Vor-
aussetzung der Wählbarkeit, nämlich der Verlust der Reichsange-
hörigkeit, den Verlust der Reichstagsmitgliedschaft nach sich zieht,
so muß man consequenter Weise dieselbe Wirkung auch dann an-
nehmen, wenn einer der 4 im Wahlges. §. 3 erwähnten Fälle
eintritt, durch welche Wahlrecht und Wählbarkeit zeitweise ausge-
schlossen werden. Ausdrücklich durch Gesetz entschieden ist dies für
den Fall, daß einem Reichstags-Mitgliede die bürgerlichen Ehren-
rechte aberkannt werden. Denn nach §. 33 des R.-St.-G.-B's.
ist hiermit der dauernde Verlust der aus öffentlichen Wahlen für
den Verurtheilten hervorgegangenen Rechte verbunden. Ebenso
muß man aber annehmen, daß ein Mitglied des Reichstages Sitz
und Stimme in demselben verliert, wenn über sein Vermögen der
Konkurs eröffnet wird oder wenn er eine Armenunterstützung aus
öffentlichen oder Gemeinde-Mitteln bezieht.

Die Entscheidung im einzelnen Falle würde, da es sich auch
hier um die Legitimation der Mitglieder handelt, dem Reichstage
selbst zustehen.

§. 50. Bedingungen der Thätigkeit des Reichstages.

1) Der Reichstag darf sich nicht versammeln und seine
Thätigkeit beginnen, ohne vom Kaiser berufen und ohne
vom Kaiser persönlich oder durch einen von ihm dazu beauftragten
Stellvertreter eröffnet zu sein. R.-V. Art. 12 1).

Nach dem Art. 13 der R.-V. "findet die Berufung des Reichs-
tages alljährlich statt"; es muß also der Reichstag in jedem Jahre
mindestens einmal einberufen werden. Die Befugniß des Kaisers,
den Reichstag mehrmals in einem Jahre einzuberufen, ist in der
Verfassung zwar nicht ausdrücklich anerkannt, abgesehen von dem
Falle einer Auflösung des Reichstages (R.-V. Art. 25); sie beruht
aber auf einem allgemeinen, unzweifelhaften Gewohnheitsrecht und
ist unbestritten 2). Man unterscheidet demnach beim Reichstage,

1) Vrgl. oben S. 273 die Ausführungen über den gleichen Rechtssatz hin-
sichtlich des Bundesrathes.
2) Im Jahre 1870 wurde der Reichstag dreimal einberufen durch Verordn.
v. 6. Febr., 15. Juli und 12. November; im Jahre 1871 zweimal durch Ver-

§. 50. Bedingungen der Thätigkeit des Reichstages.
aufhört, Angehöriger des deutſchen Reiches zu ſein. Wer nicht
zum deutſchen Volke gehört, kann auch nicht „Vertreter“ deſſelben
ſein. Wenn man aber anerkennt, daß der Wegfall einer Vor-
ausſetzung der Wählbarkeit, nämlich der Verluſt der Reichsange-
hörigkeit, den Verluſt der Reichstagsmitgliedſchaft nach ſich zieht,
ſo muß man conſequenter Weiſe dieſelbe Wirkung auch dann an-
nehmen, wenn einer der 4 im Wahlgeſ. §. 3 erwähnten Fälle
eintritt, durch welche Wahlrecht und Wählbarkeit zeitweiſe ausge-
ſchloſſen werden. Ausdrücklich durch Geſetz entſchieden iſt dies für
den Fall, daß einem Reichstags-Mitgliede die bürgerlichen Ehren-
rechte aberkannt werden. Denn nach §. 33 des R.-St.-G.-B’s.
iſt hiermit der dauernde Verluſt der aus öffentlichen Wahlen für
den Verurtheilten hervorgegangenen Rechte verbunden. Ebenſo
muß man aber annehmen, daß ein Mitglied des Reichstages Sitz
und Stimme in demſelben verliert, wenn über ſein Vermögen der
Konkurs eröffnet wird oder wenn er eine Armenunterſtützung aus
öffentlichen oder Gemeinde-Mitteln bezieht.

Die Entſcheidung im einzelnen Falle würde, da es ſich auch
hier um die Legitimation der Mitglieder handelt, dem Reichstage
ſelbſt zuſtehen.

§. 50. Bedingungen der Thätigkeit des Reichstages.

1) Der Reichstag darf ſich nicht verſammeln und ſeine
Thätigkeit beginnen, ohne vom Kaiſer berufen und ohne
vom Kaiſer perſönlich oder durch einen von ihm dazu beauftragten
Stellvertreter eröffnet zu ſein. R.-V. Art. 12 1).

Nach dem Art. 13 der R.-V. „findet die Berufung des Reichs-
tages alljährlich ſtatt“; es muß alſo der Reichstag in jedem Jahre
mindeſtens einmal einberufen werden. Die Befugniß des Kaiſers,
den Reichstag mehrmals in einem Jahre einzuberufen, iſt in der
Verfaſſung zwar nicht ausdrücklich anerkannt, abgeſehen von dem
Falle einer Auflöſung des Reichstages (R.-V. Art. 25); ſie beruht
aber auf einem allgemeinen, unzweifelhaften Gewohnheitsrecht und
iſt unbeſtritten 2). Man unterſcheidet demnach beim Reichstage,

1) Vrgl. oben S. 273 die Ausführungen über den gleichen Rechtsſatz hin-
ſichtlich des Bundesrathes.
2) Im Jahre 1870 wurde der Reichstag dreimal einberufen durch Verordn.
v. 6. Febr., 15. Juli und 12. November; im Jahre 1871 zweimal durch Ver-
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[556/0576] §. 50. Bedingungen der Thätigkeit des Reichstages. aufhört, Angehöriger des deutſchen Reiches zu ſein. Wer nicht zum deutſchen Volke gehört, kann auch nicht „Vertreter“ deſſelben ſein. Wenn man aber anerkennt, daß der Wegfall einer Vor- ausſetzung der Wählbarkeit, nämlich der Verluſt der Reichsange- hörigkeit, den Verluſt der Reichstagsmitgliedſchaft nach ſich zieht, ſo muß man conſequenter Weiſe dieſelbe Wirkung auch dann an- nehmen, wenn einer der 4 im Wahlgeſ. §. 3 erwähnten Fälle eintritt, durch welche Wahlrecht und Wählbarkeit zeitweiſe ausge- ſchloſſen werden. Ausdrücklich durch Geſetz entſchieden iſt dies für den Fall, daß einem Reichstags-Mitgliede die bürgerlichen Ehren- rechte aberkannt werden. Denn nach §. 33 des R.-St.-G.-B’s. iſt hiermit der dauernde Verluſt der aus öffentlichen Wahlen für den Verurtheilten hervorgegangenen Rechte verbunden. Ebenſo muß man aber annehmen, daß ein Mitglied des Reichstages Sitz und Stimme in demſelben verliert, wenn über ſein Vermögen der Konkurs eröffnet wird oder wenn er eine Armenunterſtützung aus öffentlichen oder Gemeinde-Mitteln bezieht. Die Entſcheidung im einzelnen Falle würde, da es ſich auch hier um die Legitimation der Mitglieder handelt, dem Reichstage ſelbſt zuſtehen. §. 50. Bedingungen der Thätigkeit des Reichstages. 1) Der Reichstag darf ſich nicht verſammeln und ſeine Thätigkeit beginnen, ohne vom Kaiſer berufen und ohne vom Kaiſer perſönlich oder durch einen von ihm dazu beauftragten Stellvertreter eröffnet zu ſein. R.-V. Art. 12 1). Nach dem Art. 13 der R.-V. „findet die Berufung des Reichs- tages alljährlich ſtatt“; es muß alſo der Reichstag in jedem Jahre mindeſtens einmal einberufen werden. Die Befugniß des Kaiſers, den Reichstag mehrmals in einem Jahre einzuberufen, iſt in der Verfaſſung zwar nicht ausdrücklich anerkannt, abgeſehen von dem Falle einer Auflöſung des Reichstages (R.-V. Art. 25); ſie beruht aber auf einem allgemeinen, unzweifelhaften Gewohnheitsrecht und iſt unbeſtritten 2). Man unterſcheidet demnach beim Reichstage, 1) Vrgl. oben S. 273 die Ausführungen über den gleichen Rechtsſatz hin- ſichtlich des Bundesrathes. 2) Im Jahre 1870 wurde der Reichstag dreimal einberufen durch Verordn. v. 6. Febr., 15. Juli und 12. November; im Jahre 1871 zweimal durch Ver-

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/576>, abgerufen am 28.03.2024.