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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geschäfte.
iure und mit Nothwendigkeit die Schließung desselben zur Folge;
denn es giebt von dem Moment der Auflösung an keine Reichs-
tagsmitglieder mehr, bis durch die Neuwahlen wieder solche er-
nannt werden. Es folgt hieraus zugleich, daß der einmal aufge-
löste Reichstag nicht nochmals einberufen werden kann 1).

§. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geschäfte.

Die Reichsverfassung hat über die Art und Weise, wie der
Reichstag seine Geschäfte zu erledigen habe, nur 2 Bestimmungen
getroffen, die eine im Art. 22 über die Öffentlichkeit der Verhand-
lungen, die andere im Art. 28 über die Beschlußfassung. Im
Übrigen ist durch den Art. 27 ausgesprochen, daß der Reichstag
seinen Geschäftsgang und seine Disciplin durch eine Geschäfts-
Ordnung regelt und seinen Präsidenten, seine Vicepräsidenten und
Schriftführer erwählt. Die formelle Ordnung der Geschäftsbe-
handlung unterliegt daher im Wesentlichen der statutarischen Fest-
stellung des Reichstages. Daraus folgt einerseits, daß weder der
Bundesrath noch die Reichsregierung ein Mitwirkungs- und Ein-
spruchsrecht bei Feststellung der Geschäftsordnung haben, sondern
das Belieben des Reichstages allein entscheidet; andererseits, daß
die Geschäftsordnung nur die Mitglieder des Reichstages selbst
verpflichtet und unter ihnen statutarisches Recht erzeugt, aber
keine Rechtssätze sanctioniren kann, denen über den Kreis der
Reichstagsgenossen hinaus in irgend einer Beziehung Kraft und
Wirkung zukäme. Namentlich darf man die Geschäfts-Ordnung
nicht parallelisiren mit einer Verordnung des Kaisers oder Bun-
desrathes 2); bei der letzteren handelt es sich um eine Bethätigung
der Reichsgewalt, um die Ausübung eines staatlichen Hoheitsrechts,
die einem Organe des Reiches delegirt ist; bei der Feststellung der
Geschäftsordnung des Reichstages um eine statutarische Regelung
der internen Angelegenheiten dieses Organes.

Es folgt ferner daraus, daß die Geschäftsordnung immer nur
für denjenigen Reichstag bindend ist, der sie sich gegeben hat und
nur so lange, als sie der Majorität desselben behagt. Die Ein-
führung, Abänderung und Ergänzung der Geschäfts-Ordnung ist

1) Die entgegengesetzte Ansicht vertritt Thudichum S. 165. 166. Gegen
denselben erklärt sich auch Seydel S. 153.
2) Dies thut ausdrücklich v. Mohl krit. Bemerkungen etc. S. 12.

§. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geſchäfte.
iure und mit Nothwendigkeit die Schließung deſſelben zur Folge;
denn es giebt von dem Moment der Auflöſung an keine Reichs-
tagsmitglieder mehr, bis durch die Neuwahlen wieder ſolche er-
nannt werden. Es folgt hieraus zugleich, daß der einmal aufge-
löſte Reichstag nicht nochmals einberufen werden kann 1).

§. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geſchäfte.

Die Reichsverfaſſung hat über die Art und Weiſe, wie der
Reichstag ſeine Geſchäfte zu erledigen habe, nur 2 Beſtimmungen
getroffen, die eine im Art. 22 über die Öffentlichkeit der Verhand-
lungen, die andere im Art. 28 über die Beſchlußfaſſung. Im
Übrigen iſt durch den Art. 27 ausgeſprochen, daß der Reichstag
ſeinen Geſchäftsgang und ſeine Disciplin durch eine Geſchäfts-
Ordnung regelt und ſeinen Präſidenten, ſeine Vicepräſidenten und
Schriftführer erwählt. Die formelle Ordnung der Geſchäftsbe-
handlung unterliegt daher im Weſentlichen der ſtatutariſchen Feſt-
ſtellung des Reichstages. Daraus folgt einerſeits, daß weder der
Bundesrath noch die Reichsregierung ein Mitwirkungs- und Ein-
ſpruchsrecht bei Feſtſtellung der Geſchäftsordnung haben, ſondern
das Belieben des Reichstages allein entſcheidet; andererſeits, daß
die Geſchäftsordnung nur die Mitglieder des Reichstages ſelbſt
verpflichtet und unter ihnen ſtatutariſches Recht erzeugt, aber
keine Rechtsſätze ſanctioniren kann, denen über den Kreis der
Reichstagsgenoſſen hinaus in irgend einer Beziehung Kraft und
Wirkung zukäme. Namentlich darf man die Geſchäfts-Ordnung
nicht paralleliſiren mit einer Verordnung des Kaiſers oder Bun-
desrathes 2); bei der letzteren handelt es ſich um eine Bethätigung
der Reichsgewalt, um die Ausübung eines ſtaatlichen Hoheitsrechts,
die einem Organe des Reiches delegirt iſt; bei der Feſtſtellung der
Geſchäftsordnung des Reichstages um eine ſtatutariſche Regelung
der internen Angelegenheiten dieſes Organes.

Es folgt ferner daraus, daß die Geſchäftsordnung immer nur
für denjenigen Reichstag bindend iſt, der ſie ſich gegeben hat und
nur ſo lange, als ſie der Majorität deſſelben behagt. Die Ein-
führung, Abänderung und Ergänzung der Geſchäfts-Ordnung iſt

1) Die entgegengeſetzte Anſicht vertritt Thudichum S. 165. 166. Gegen
denſelben erklärt ſich auch Seydel S. 153.
2) Dies thut ausdrücklich v. Mohl krit. Bemerkungen ꝛc. S. 12.
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[559/0579] §. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geſchäfte. iure und mit Nothwendigkeit die Schließung deſſelben zur Folge; denn es giebt von dem Moment der Auflöſung an keine Reichs- tagsmitglieder mehr, bis durch die Neuwahlen wieder ſolche er- nannt werden. Es folgt hieraus zugleich, daß der einmal aufge- löſte Reichstag nicht nochmals einberufen werden kann 1). §. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geſchäfte. Die Reichsverfaſſung hat über die Art und Weiſe, wie der Reichstag ſeine Geſchäfte zu erledigen habe, nur 2 Beſtimmungen getroffen, die eine im Art. 22 über die Öffentlichkeit der Verhand- lungen, die andere im Art. 28 über die Beſchlußfaſſung. Im Übrigen iſt durch den Art. 27 ausgeſprochen, daß der Reichstag ſeinen Geſchäftsgang und ſeine Disciplin durch eine Geſchäfts- Ordnung regelt und ſeinen Präſidenten, ſeine Vicepräſidenten und Schriftführer erwählt. Die formelle Ordnung der Geſchäftsbe- handlung unterliegt daher im Weſentlichen der ſtatutariſchen Feſt- ſtellung des Reichstages. Daraus folgt einerſeits, daß weder der Bundesrath noch die Reichsregierung ein Mitwirkungs- und Ein- ſpruchsrecht bei Feſtſtellung der Geſchäftsordnung haben, ſondern das Belieben des Reichstages allein entſcheidet; andererſeits, daß die Geſchäftsordnung nur die Mitglieder des Reichstages ſelbſt verpflichtet und unter ihnen ſtatutariſches Recht erzeugt, aber keine Rechtsſätze ſanctioniren kann, denen über den Kreis der Reichstagsgenoſſen hinaus in irgend einer Beziehung Kraft und Wirkung zukäme. Namentlich darf man die Geſchäfts-Ordnung nicht paralleliſiren mit einer Verordnung des Kaiſers oder Bun- desrathes 2); bei der letzteren handelt es ſich um eine Bethätigung der Reichsgewalt, um die Ausübung eines ſtaatlichen Hoheitsrechts, die einem Organe des Reiches delegirt iſt; bei der Feſtſtellung der Geſchäftsordnung des Reichstages um eine ſtatutariſche Regelung der internen Angelegenheiten dieſes Organes. Es folgt ferner daraus, daß die Geſchäftsordnung immer nur für denjenigen Reichstag bindend iſt, der ſie ſich gegeben hat und nur ſo lange, als ſie der Majorität deſſelben behagt. Die Ein- führung, Abänderung und Ergänzung der Geſchäfts-Ordnung iſt 1) Die entgegengeſetzte Anſicht vertritt Thudichum S. 165. 166. Gegen denſelben erklärt ſich auch Seydel S. 153. 2) Dies thut ausdrücklich v. Mohl krit. Bemerkungen ꝛc. S. 12.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/579>, abgerufen am 28.03.2024.