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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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Zusatz zum neunzehnten Hauptstücke.
Trennungen, Zusammensetzungen, Vermischun-
gen, Ausbildungen, Anordnungen
etc. können
verstanden werden; daß der Zweck ein wirklicher
Vorsatz eines denkenden Wesens seyn, und die
Wirkung überhaupt mit unter die Zwecke der
Schöpfung
gerechnet werden könne etc. das alles
ist für sich klar. Man sieht auch ohne Mühe, daß
die Form mit dem Zwecke in sehr unmittelbarer
Verbindung stehe, und besonders der Zweck sich
immer mehr oder minder auf ein denkendes Wesen
beziehe.

V.

Unter den vier Begriffen, die Aristoteles hiebey
hervorgezogen, hat der dritte, nämlich die Form,
immer, in Absicht auf die Aufklärung desselben, die
meisten Schwierigkeiten angebothen. Man nahm
diese vier Begriffe nicht immer zugleich und in ihrer
ganzen Verbindung vor, sondern man abstrahirte sehr
oft sowohl von der wirkenden Ursache, als von dem
Endzwecke, und betrachtete die Materie und die
Form besonders, und setzte diese zween Begriffe ein-
ander so entgegen, daß was an einer Sache nicht
Materie war, Form seyn mußte. Und so wurde
die Form gewissermaßen ein Terminus infinitus.
Das Chaos allein sah man als eine materiam infor-
mem
an, bis nach Ovids Erzählung
Hanc litem Deus et melior natura diremit.
Bey allen andern Dingen war immer Form und
Materie unzertrennt.

VI.

Jndessen blieb man bey diesen Bestimmungen, die
Aristoteles vielleicht mehr empfinden als ausdrücken
und deutlich machen konnnte, nicht, sondern wich auf

verschie-

Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke.
Trennungen, Zuſammenſetzungen, Vermiſchun-
gen, Ausbildungen, Anordnungen
ꝛc. koͤnnen
verſtanden werden; daß der Zweck ein wirklicher
Vorſatz eines denkenden Weſens ſeyn, und die
Wirkung uͤberhaupt mit unter die Zwecke der
Schoͤpfung
gerechnet werden koͤnne ꝛc. das alles
iſt fuͤr ſich klar. Man ſieht auch ohne Muͤhe, daß
die Form mit dem Zwecke in ſehr unmittelbarer
Verbindung ſtehe, und beſonders der Zweck ſich
immer mehr oder minder auf ein denkendes Weſen
beziehe.

V.

Unter den vier Begriffen, die Ariſtoteles hiebey
hervorgezogen, hat der dritte, naͤmlich die Form,
immer, in Abſicht auf die Aufklaͤrung deſſelben, die
meiſten Schwierigkeiten angebothen. Man nahm
dieſe vier Begriffe nicht immer zugleich und in ihrer
ganzen Verbindung vor, ſondern man abſtrahirte ſehr
oft ſowohl von der wirkenden Urſache, als von dem
Endzwecke, und betrachtete die Materie und die
Form beſonders, und ſetzte dieſe zween Begriffe ein-
ander ſo entgegen, daß was an einer Sache nicht
Materie war, Form ſeyn mußte. Und ſo wurde
die Form gewiſſermaßen ein Terminus infinitus.
Das Chaos allein ſah man als eine materiam infor-
mem
an, bis nach Ovids Erzaͤhlung
Hanc litem Deus et melior natura diremit.
Bey allen andern Dingen war immer Form und
Materie unzertrennt.

VI.

Jndeſſen blieb man bey dieſen Beſtimmungen, die
Ariſtoteles vielleicht mehr empfinden als ausdruͤcken
und deutlich machen konnnte, nicht, ſondern wich auf

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[235/0243] Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke. Trennungen, Zuſammenſetzungen, Vermiſchun- gen, Ausbildungen, Anordnungen ꝛc. koͤnnen verſtanden werden; daß der Zweck ein wirklicher Vorſatz eines denkenden Weſens ſeyn, und die Wirkung uͤberhaupt mit unter die Zwecke der Schoͤpfung gerechnet werden koͤnne ꝛc. das alles iſt fuͤr ſich klar. Man ſieht auch ohne Muͤhe, daß die Form mit dem Zwecke in ſehr unmittelbarer Verbindung ſtehe, und beſonders der Zweck ſich immer mehr oder minder auf ein denkendes Weſen beziehe. V. Unter den vier Begriffen, die Ariſtoteles hiebey hervorgezogen, hat der dritte, naͤmlich die Form, immer, in Abſicht auf die Aufklaͤrung deſſelben, die meiſten Schwierigkeiten angebothen. Man nahm dieſe vier Begriffe nicht immer zugleich und in ihrer ganzen Verbindung vor, ſondern man abſtrahirte ſehr oft ſowohl von der wirkenden Urſache, als von dem Endzwecke, und betrachtete die Materie und die Form beſonders, und ſetzte dieſe zween Begriffe ein- ander ſo entgegen, daß was an einer Sache nicht Materie war, Form ſeyn mußte. Und ſo wurde die Form gewiſſermaßen ein Terminus infinitus. Das Chaos allein ſah man als eine materiam infor- mem an, bis nach Ovids Erzaͤhlung Hanc litem Deus et melior natura diremit. Bey allen andern Dingen war immer Form und Materie unzertrennt. VI. Jndeſſen blieb man bey dieſen Beſtimmungen, die Ariſtoteles vielleicht mehr empfinden als ausdruͤcken und deutlich machen konnnte, nicht, ſondern wich auf verſchie-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/243>, abgerufen am 28.03.2024.