Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Zusatz zum neunzehnten Hauptstücke.
welchen er steht, an sich haben. Und eben so fordert
die Form, daß alle Handlungen, die gesellschaftlich
sind, und zum Systeme der Gesellschaft gehören, so
vorgenommen und angeordnet werden, daß man da-
bey sehe, daß, warum und wie sie dazu gehören.
Dieses ist es, was ihnen die gesellschaftliche Form
oder so zu sagen das Gepräge gesellschaftlicher
Handlungen
giebt. So lange alle Glieder der Ge-
sellschaft ein Herz und eine Seele haben, und den
gemeinsamen Zweck sich in Ernste vorsetzen, so kann
eine solche Form nach aller Strenge statt haben, und
so lange geht es auch gut. Die Erfahrung zeiget
aber, daß solche Gesellschaften selten sehr groß sind,
und selten lange bey solcher Jntegrität dauern. Jn-
dessen weist doch die Geschichte der Entstehensart eini-
ger Republiken solche Muster auf, die aber selten zum
Muster dienen, weil sich selten alle Umstände bey-
sammen einfinden. Jn solchen Staaten, wo schon
alle Verhältnisse auf unzählige Arten mit einander
durchflochten sind, ist es schlechterdings nicht möglich,
daß jeder das Ganze nach allen einzelnen Theilen und
Verhältnissen und damit die ganze Form übersehe.
Die Subordination wird dabey nothwendiger, und
jeder hat genug zu thun, wenn er sich in seine Stelle
finden, seine besondere Verhältnisse kennen, und allen
genug thun will.

XIX.

Wir können nun zu einigen allgemeinern Betrach-
tungen zurück kehren, um zu sehen, wie fern die wir-
kenden Ursachen,
die Materie, die Form und die
Absicht einander bestimmen, von einander abhän-
gen,
einander voraussetzen und nach sich ziehen.
Dahin gehören nun folgende Sätze.

XX. Die
Q 3

Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke.
welchen er ſteht, an ſich haben. Und eben ſo fordert
die Form, daß alle Handlungen, die geſellſchaftlich
ſind, und zum Syſteme der Geſellſchaft gehoͤren, ſo
vorgenommen und angeordnet werden, daß man da-
bey ſehe, daß, warum und wie ſie dazu gehoͤren.
Dieſes iſt es, was ihnen die geſellſchaftliche Form
oder ſo zu ſagen das Gepraͤge geſellſchaftlicher
Handlungen
giebt. So lange alle Glieder der Ge-
ſellſchaft ein Herz und eine Seele haben, und den
gemeinſamen Zweck ſich in Ernſte vorſetzen, ſo kann
eine ſolche Form nach aller Strenge ſtatt haben, und
ſo lange geht es auch gut. Die Erfahrung zeiget
aber, daß ſolche Geſellſchaften ſelten ſehr groß ſind,
und ſelten lange bey ſolcher Jntegritaͤt dauern. Jn-
deſſen weiſt doch die Geſchichte der Entſtehensart eini-
ger Republiken ſolche Muſter auf, die aber ſelten zum
Muſter dienen, weil ſich ſelten alle Umſtaͤnde bey-
ſammen einfinden. Jn ſolchen Staaten, wo ſchon
alle Verhaͤltniſſe auf unzaͤhlige Arten mit einander
durchflochten ſind, iſt es ſchlechterdings nicht moͤglich,
daß jeder das Ganze nach allen einzelnen Theilen und
Verhaͤltniſſen und damit die ganze Form uͤberſehe.
Die Subordination wird dabey nothwendiger, und
jeder hat genug zu thun, wenn er ſich in ſeine Stelle
finden, ſeine beſondere Verhaͤltniſſe kennen, und allen
genug thun will.

XIX.

Wir koͤnnen nun zu einigen allgemeinern Betrach-
tungen zuruͤck kehren, um zu ſehen, wie fern die wir-
kenden Urſachen,
die Materie, die Form und die
Abſicht einander beſtimmen, von einander abhaͤn-
gen,
einander vorausſetzen und nach ſich ziehen.
Dahin gehoͤren nun folgende Saͤtze.

XX. Die
Q 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0253" n="245"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zu&#x017F;atz zum neunzehnten Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke.</hi></fw><lb/>
welchen er &#x017F;teht, an &#x017F;ich haben. Und eben &#x017F;o fordert<lb/>
die <hi rendition="#fr">Form,</hi> daß alle Handlungen, die ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlich<lb/>
&#x017F;ind, und zum Sy&#x017F;teme der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft geho&#x0364;ren, &#x017F;o<lb/>
vorgenommen und angeordnet werden, daß man da-<lb/>
bey &#x017F;ehe, <hi rendition="#fr">daß, warum</hi> und <hi rendition="#fr">wie</hi> &#x017F;ie dazu geho&#x0364;ren.<lb/>
Die&#x017F;es i&#x017F;t es, was ihnen die <hi rendition="#fr">ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Form</hi><lb/>
oder &#x017F;o zu &#x017F;agen das <hi rendition="#fr">Gepra&#x0364;ge ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlicher<lb/>
Handlungen</hi> giebt. So lange alle Glieder der Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft ein Herz und eine Seele haben, und den<lb/>
gemein&#x017F;amen Zweck &#x017F;ich in Ern&#x017F;te vor&#x017F;etzen, &#x017F;o kann<lb/>
eine &#x017F;olche <hi rendition="#fr">Form</hi> nach aller Strenge &#x017F;tatt haben, und<lb/>
&#x017F;o lange geht es auch gut. Die Erfahrung zeiget<lb/>
aber, daß &#x017F;olche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften &#x017F;elten &#x017F;ehr groß &#x017F;ind,<lb/>
und &#x017F;elten lange bey &#x017F;olcher Jntegrita&#x0364;t dauern. Jn-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en wei&#x017F;t doch die Ge&#x017F;chichte der Ent&#x017F;tehensart eini-<lb/>
ger Republiken &#x017F;olche Mu&#x017F;ter auf, die aber &#x017F;elten zum<lb/>
Mu&#x017F;ter dienen, weil &#x017F;ich &#x017F;elten alle Um&#x017F;ta&#x0364;nde bey-<lb/>
&#x017F;ammen einfinden. Jn &#x017F;olchen Staaten, wo &#x017F;chon<lb/>
alle Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e auf unza&#x0364;hlige Arten mit einander<lb/>
durchflochten &#x017F;ind, i&#x017F;t es &#x017F;chlechterdings nicht mo&#x0364;glich,<lb/>
daß jeder das Ganze nach allen einzelnen Theilen und<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en und damit die ganze <hi rendition="#fr">Form</hi> u&#x0364;ber&#x017F;ehe.<lb/>
Die Subordination wird dabey nothwendiger, und<lb/>
jeder hat genug zu thun, wenn er &#x017F;ich in &#x017F;eine Stelle<lb/>
finden, &#x017F;eine be&#x017F;ondere Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e kennen, und allen<lb/>
genug thun will.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#aq">XIX.</hi> </head><lb/>
            <p>Wir ko&#x0364;nnen nun zu einigen allgemeinern Betrach-<lb/>
tungen zuru&#x0364;ck kehren, um zu &#x017F;ehen, wie fern die <hi rendition="#fr">wir-<lb/>
kenden Ur&#x017F;achen,</hi> die <hi rendition="#fr">Materie,</hi> die <hi rendition="#fr">Form</hi> und die<lb/><hi rendition="#fr">Ab&#x017F;icht</hi> einander <hi rendition="#fr">be&#x017F;timmen,</hi> von einander <hi rendition="#fr">abha&#x0364;n-<lb/>
gen,</hi> einander <hi rendition="#fr">voraus&#x017F;etzen</hi> und <hi rendition="#fr">nach &#x017F;ich ziehen.</hi><lb/>
Dahin geho&#x0364;ren nun folgende Sa&#x0364;tze.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">Q 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">XX.</hi> Die</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0253] Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke. welchen er ſteht, an ſich haben. Und eben ſo fordert die Form, daß alle Handlungen, die geſellſchaftlich ſind, und zum Syſteme der Geſellſchaft gehoͤren, ſo vorgenommen und angeordnet werden, daß man da- bey ſehe, daß, warum und wie ſie dazu gehoͤren. Dieſes iſt es, was ihnen die geſellſchaftliche Form oder ſo zu ſagen das Gepraͤge geſellſchaftlicher Handlungen giebt. So lange alle Glieder der Ge- ſellſchaft ein Herz und eine Seele haben, und den gemeinſamen Zweck ſich in Ernſte vorſetzen, ſo kann eine ſolche Form nach aller Strenge ſtatt haben, und ſo lange geht es auch gut. Die Erfahrung zeiget aber, daß ſolche Geſellſchaften ſelten ſehr groß ſind, und ſelten lange bey ſolcher Jntegritaͤt dauern. Jn- deſſen weiſt doch die Geſchichte der Entſtehensart eini- ger Republiken ſolche Muſter auf, die aber ſelten zum Muſter dienen, weil ſich ſelten alle Umſtaͤnde bey- ſammen einfinden. Jn ſolchen Staaten, wo ſchon alle Verhaͤltniſſe auf unzaͤhlige Arten mit einander durchflochten ſind, iſt es ſchlechterdings nicht moͤglich, daß jeder das Ganze nach allen einzelnen Theilen und Verhaͤltniſſen und damit die ganze Form uͤberſehe. Die Subordination wird dabey nothwendiger, und jeder hat genug zu thun, wenn er ſich in ſeine Stelle finden, ſeine beſondere Verhaͤltniſſe kennen, und allen genug thun will. XIX. Wir koͤnnen nun zu einigen allgemeinern Betrach- tungen zuruͤck kehren, um zu ſehen, wie fern die wir- kenden Urſachen, die Materie, die Form und die Abſicht einander beſtimmen, von einander abhaͤn- gen, einander vorausſetzen und nach ſich ziehen. Dahin gehoͤren nun folgende Saͤtze. XX. Die Q 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/253
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/253>, abgerufen am 28.03.2024.