Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
III. Hauptstück,
Wer denkt, der ist. Denn man kann nicht
denken, ohne zu seyn.
§. 147.

Beut sich aber ein solches Merkmaal, oder Ei-
genschaft, oder Verhältniß bey der Vorstellung des
Begriffes nicht unmittelbar an, so muß man es ent-
weder durch mehrere Aufmerksamkeit auf die Sacht
selbst empfinden, und da heißt der daraus gezogene
Satz ein Erfahrungssatz. Z. E. Die weißen
Lichtstralen sind aus gefärbten zusammenge-
setzt.
Dieses erfährt man, indem man sie durch das
Prisma von einander trennt. Denn diese Eigenschaft
des Lichtes ist verborgener, als daß wir sie uns mit
dem bloßen Begriffe des Lichtes vorstellen könnten.

§. 148.

Der andre Fall ist, wenn wir einsehen können,
daß ein Satz deswegen wahr ist, weil andre Sätze
wahr sind Zeigen wir diese Verbindung der Sätze an,
wodurch die Wahrheit des vorgegebenen Satzes vest-
gesetzt wird, so wird der Satz bewiesen, und der Satz
selbst wird ein Lehrsatz genennt, weil seine Wahrheit
nicht unmittelbar sich uns aufdringt. Z. E. Daß ein
dreyeckigtes Prisma sich in drey gleichgroße Pyramiden
zerfälle, daß das Quadrat der Hypothenuse eines
rechtwinklichten Triangels so groß sey, als die Qua-
drate der beyden Catheten zusammen genommen etc.
sind Lehrsätze, weil man ihre Wahrheit ohne Beweis
nicht einsieht. Erfahrungssätze und Lehrsätze lassen
sich in einander verwandeln, wenn man zu den erstern
den Beweis sucht, und letztere durch Erfahrungen
gleichsam auf die Probe setzt.

§. 149.

Dieser Unterschied von Sätzen ist lange Zeit in
der Mathematik allein angemerkt worden. Er geht

auf
III. Hauptſtuͤck,
Wer denkt, der iſt. Denn man kann nicht
denken, ohne zu ſeyn.
§. 147.

Beut ſich aber ein ſolches Merkmaal, oder Ei-
genſchaft, oder Verhaͤltniß bey der Vorſtellung des
Begriffes nicht unmittelbar an, ſo muß man es ent-
weder durch mehrere Aufmerkſamkeit auf die Sacht
ſelbſt empfinden, und da heißt der daraus gezogene
Satz ein Erfahrungsſatz. Z. E. Die weißen
Lichtſtralen ſind aus gefaͤrbten zuſammenge-
ſetzt.
Dieſes erfaͤhrt man, indem man ſie durch das
Priſma von einander trennt. Denn dieſe Eigenſchaft
des Lichtes iſt verborgener, als daß wir ſie uns mit
dem bloßen Begriffe des Lichtes vorſtellen koͤnnten.

§. 148.

Der andre Fall iſt, wenn wir einſehen koͤnnen,
daß ein Satz deswegen wahr iſt, weil andre Saͤtze
wahr ſind Zeigen wir dieſe Verbindung der Saͤtze an,
wodurch die Wahrheit des vorgegebenen Satzes veſt-
geſetzt wird, ſo wird der Satz bewieſen, und der Satz
ſelbſt wird ein Lehrſatz genennt, weil ſeine Wahrheit
nicht unmittelbar ſich uns aufdringt. Z. E. Daß ein
dreyeckigtes Priſma ſich in drey gleichgroße Pyramiden
zerfaͤlle, daß das Quadrat der Hypothenuſe eines
rechtwinklichten Triangels ſo groß ſey, als die Qua-
drate der beyden Catheten zuſammen genommen ꝛc.
ſind Lehrſaͤtze, weil man ihre Wahrheit ohne Beweis
nicht einſieht. Erfahrungsſaͤtze und Lehrſaͤtze laſſen
ſich in einander verwandeln, wenn man zu den erſtern
den Beweis ſucht, und letztere durch Erfahrungen
gleichſam auf die Probe ſetzt.

§. 149.

Dieſer Unterſchied von Saͤtzen iſt lange Zeit in
der Mathematik allein angemerkt worden. Er geht

auf
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f0118" n="96"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck,</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Wer denkt, der i&#x017F;t.</hi> Denn man kann nicht<lb/>
denken, ohne zu &#x017F;eyn.</item>
            </list>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 147.</head><lb/>
            <p>Beut &#x017F;ich aber ein &#x017F;olches Merkmaal, oder Ei-<lb/>
gen&#x017F;chaft, oder Verha&#x0364;ltniß bey der Vor&#x017F;tellung des<lb/>
Begriffes nicht unmittelbar an, &#x017F;o muß man es ent-<lb/>
weder durch mehrere Aufmerk&#x017F;amkeit auf die Sacht<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#fr">empfinden,</hi> und da heißt der daraus gezogene<lb/>
Satz ein <hi rendition="#fr">Erfahrungs&#x017F;atz.</hi> Z. E. <hi rendition="#fr">Die weißen<lb/>
Licht&#x017F;tralen &#x017F;ind aus gefa&#x0364;rbten zu&#x017F;ammenge-<lb/>
&#x017F;etzt.</hi> Die&#x017F;es erfa&#x0364;hrt man, indem man &#x017F;ie durch das<lb/><hi rendition="#aq">Pri&#x017F;ma</hi> von einander trennt. Denn die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaft<lb/>
des Lichtes i&#x017F;t verborgener, als daß wir &#x017F;ie uns mit<lb/>
dem bloßen Begriffe des Lichtes vor&#x017F;tellen ko&#x0364;nnten.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 148.</head><lb/>
            <p>Der andre Fall i&#x017F;t, wenn wir ein&#x017F;ehen ko&#x0364;nnen,<lb/>
daß ein Satz deswegen wahr i&#x017F;t, weil andre Sa&#x0364;tze<lb/>
wahr &#x017F;ind Zeigen wir die&#x017F;e Verbindung der Sa&#x0364;tze an,<lb/>
wodurch die Wahrheit des vorgegebenen Satzes ve&#x017F;t-<lb/>
ge&#x017F;etzt wird, &#x017F;o wird der Satz <hi rendition="#fr">bewie&#x017F;en,</hi> und der Satz<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wird ein <hi rendition="#fr">Lehr&#x017F;atz</hi> genennt, weil &#x017F;eine Wahrheit<lb/>
nicht unmittelbar &#x017F;ich uns aufdringt. Z. E. Daß ein<lb/>
dreyeckigtes <hi rendition="#aq">Pri&#x017F;ma</hi> &#x017F;ich in drey gleichgroße Pyramiden<lb/>
zerfa&#x0364;lle, daß das Quadrat der Hypothenu&#x017F;e eines<lb/>
rechtwinklichten Triangels &#x017F;o groß &#x017F;ey, als die Qua-<lb/>
drate der beyden Catheten zu&#x017F;ammen genommen &#xA75B;c.<lb/>
&#x017F;ind Lehr&#x017F;a&#x0364;tze, weil man ihre Wahrheit ohne Beweis<lb/>
nicht ein&#x017F;ieht. Erfahrungs&#x017F;a&#x0364;tze und Lehr&#x017F;a&#x0364;tze la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ich in einander verwandeln, wenn man zu den er&#x017F;tern<lb/>
den <hi rendition="#fr">Beweis</hi> &#x017F;ucht, und letztere durch Erfahrungen<lb/>
gleich&#x017F;am auf die <hi rendition="#fr">Probe</hi> &#x017F;etzt.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 149.</head><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Unter&#x017F;chied von Sa&#x0364;tzen i&#x017F;t lange Zeit in<lb/>
der Mathematik allein angemerkt worden. Er geht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0118] III. Hauptſtuͤck, Wer denkt, der iſt. Denn man kann nicht denken, ohne zu ſeyn. §. 147. Beut ſich aber ein ſolches Merkmaal, oder Ei- genſchaft, oder Verhaͤltniß bey der Vorſtellung des Begriffes nicht unmittelbar an, ſo muß man es ent- weder durch mehrere Aufmerkſamkeit auf die Sacht ſelbſt empfinden, und da heißt der daraus gezogene Satz ein Erfahrungsſatz. Z. E. Die weißen Lichtſtralen ſind aus gefaͤrbten zuſammenge- ſetzt. Dieſes erfaͤhrt man, indem man ſie durch das Priſma von einander trennt. Denn dieſe Eigenſchaft des Lichtes iſt verborgener, als daß wir ſie uns mit dem bloßen Begriffe des Lichtes vorſtellen koͤnnten. §. 148. Der andre Fall iſt, wenn wir einſehen koͤnnen, daß ein Satz deswegen wahr iſt, weil andre Saͤtze wahr ſind Zeigen wir dieſe Verbindung der Saͤtze an, wodurch die Wahrheit des vorgegebenen Satzes veſt- geſetzt wird, ſo wird der Satz bewieſen, und der Satz ſelbſt wird ein Lehrſatz genennt, weil ſeine Wahrheit nicht unmittelbar ſich uns aufdringt. Z. E. Daß ein dreyeckigtes Priſma ſich in drey gleichgroße Pyramiden zerfaͤlle, daß das Quadrat der Hypothenuſe eines rechtwinklichten Triangels ſo groß ſey, als die Qua- drate der beyden Catheten zuſammen genommen ꝛc. ſind Lehrſaͤtze, weil man ihre Wahrheit ohne Beweis nicht einſieht. Erfahrungsſaͤtze und Lehrſaͤtze laſſen ſich in einander verwandeln, wenn man zu den erſtern den Beweis ſucht, und letztere durch Erfahrungen gleichſam auf die Probe ſetzt. §. 149. Dieſer Unterſchied von Saͤtzen iſt lange Zeit in der Mathematik allein angemerkt worden. Er geht auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/118
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/118>, abgerufen am 16.04.2024.