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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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von den Urtheilen und Fragen.
auf die Gewißheit der Erkenntniß, und in dieser
Absicht hat man die Sätze allerdings in Grundsätze, Er-
fahrungssätze und Lehrsätze zu unterscheiden. Der
Unterschied liegt in der Sache selbst. Die Mathe-
matiker pflegen diese Sätze mit ihrem Namen zu be-
nennen, damit sich der Leser gleich darein finden könne.
So z. E. wenn sie einen Satz ohne Beweis vortra-
gen, weil er an sich von einleuchtender Wahrheit ist,
so nennen sie ihn einen Grundsatz. Diese Ueber-
schrift zeigt nicht nur an, für was man den Satz aus-
giebt, sondern sie erinnert auch den Leser, zu sehen, ob
er den Satz an sich betrachtet, und ohne fernern Be-
weis einräumen könne? Eben so, wenn der Satz eine
Erklärung ist, wodurch man weiter nichts, als die
Bedeutung eines Wortes anzeigt, ohne die Möglich-
keit der Sache damit zu vermengen, so wird das Wort
Erklärung zur Ueberschrift genommen, wiederum,
um dem Leser anzuzeigen, was er in Ansehung des
Satzes zu bemerken habe. Auf gleiche Art werden
auch die Wörter Lehrsatz, Erfahrung, Versuch,
als Ueberschriften der Sätze gebraucht. Da sie nur
anzeigen, was die Sätze seyn sollen, so erinnern sie
den Leser, zu untersuchen, ob sie es wirklich sind, weil
die bloße Ueberschrift die Sache nicht ausmacht, und
sich folglich niemand durch den Schein der Genauig-
keit darf blenden lassen, die diese Ueberschriften in den
mathematischen Schriften anzeigen. Man kann da-
her die Genauigkeit auch ohne diese Ueberschriften
beobachten. Weil diese gar keinen Antheil daran
haben, und bloße Unterscheidungszeichen der Sätze
sind.

§. 150.

Die Mathematiker haben außer diesen Namen
der Sätze noch einige andre. Denn da die Grund-

sätze
Lamb. Org. I. Band. G

von den Urtheilen und Fragen.
auf die Gewißheit der Erkenntniß, und in dieſer
Abſicht hat man die Saͤtze allerdings in Grundſaͤtze, Er-
fahrungsſaͤtze und Lehrſaͤtze zu unterſcheiden. Der
Unterſchied liegt in der Sache ſelbſt. Die Mathe-
matiker pflegen dieſe Saͤtze mit ihrem Namen zu be-
nennen, damit ſich der Leſer gleich darein finden koͤnne.
So z. E. wenn ſie einen Satz ohne Beweis vortra-
gen, weil er an ſich von einleuchtender Wahrheit iſt,
ſo nennen ſie ihn einen Grundſatz. Dieſe Ueber-
ſchrift zeigt nicht nur an, fuͤr was man den Satz aus-
giebt, ſondern ſie erinnert auch den Leſer, zu ſehen, ob
er den Satz an ſich betrachtet, und ohne fernern Be-
weis einraͤumen koͤnne? Eben ſo, wenn der Satz eine
Erklaͤrung iſt, wodurch man weiter nichts, als die
Bedeutung eines Wortes anzeigt, ohne die Moͤglich-
keit der Sache damit zu vermengen, ſo wird das Wort
Erklaͤrung zur Ueberſchrift genommen, wiederum,
um dem Leſer anzuzeigen, was er in Anſehung des
Satzes zu bemerken habe. Auf gleiche Art werden
auch die Woͤrter Lehrſatz, Erfahrung, Verſuch,
als Ueberſchriften der Saͤtze gebraucht. Da ſie nur
anzeigen, was die Saͤtze ſeyn ſollen, ſo erinnern ſie
den Leſer, zu unterſuchen, ob ſie es wirklich ſind, weil
die bloße Ueberſchrift die Sache nicht ausmacht, und
ſich folglich niemand durch den Schein der Genauig-
keit darf blenden laſſen, die dieſe Ueberſchriften in den
mathematiſchen Schriften anzeigen. Man kann da-
her die Genauigkeit auch ohne dieſe Ueberſchriften
beobachten. Weil dieſe gar keinen Antheil daran
haben, und bloße Unterſcheidungszeichen der Saͤtze
ſind.

§. 150.

Die Mathematiker haben außer dieſen Namen
der Saͤtze noch einige andre. Denn da die Grund-

ſaͤtze
Lamb. Org. I. Band. G
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[97/0119] von den Urtheilen und Fragen. auf die Gewißheit der Erkenntniß, und in dieſer Abſicht hat man die Saͤtze allerdings in Grundſaͤtze, Er- fahrungsſaͤtze und Lehrſaͤtze zu unterſcheiden. Der Unterſchied liegt in der Sache ſelbſt. Die Mathe- matiker pflegen dieſe Saͤtze mit ihrem Namen zu be- nennen, damit ſich der Leſer gleich darein finden koͤnne. So z. E. wenn ſie einen Satz ohne Beweis vortra- gen, weil er an ſich von einleuchtender Wahrheit iſt, ſo nennen ſie ihn einen Grundſatz. Dieſe Ueber- ſchrift zeigt nicht nur an, fuͤr was man den Satz aus- giebt, ſondern ſie erinnert auch den Leſer, zu ſehen, ob er den Satz an ſich betrachtet, und ohne fernern Be- weis einraͤumen koͤnne? Eben ſo, wenn der Satz eine Erklaͤrung iſt, wodurch man weiter nichts, als die Bedeutung eines Wortes anzeigt, ohne die Moͤglich- keit der Sache damit zu vermengen, ſo wird das Wort Erklaͤrung zur Ueberſchrift genommen, wiederum, um dem Leſer anzuzeigen, was er in Anſehung des Satzes zu bemerken habe. Auf gleiche Art werden auch die Woͤrter Lehrſatz, Erfahrung, Verſuch, als Ueberſchriften der Saͤtze gebraucht. Da ſie nur anzeigen, was die Saͤtze ſeyn ſollen, ſo erinnern ſie den Leſer, zu unterſuchen, ob ſie es wirklich ſind, weil die bloße Ueberſchrift die Sache nicht ausmacht, und ſich folglich niemand durch den Schein der Genauig- keit darf blenden laſſen, die dieſe Ueberſchriften in den mathematiſchen Schriften anzeigen. Man kann da- her die Genauigkeit auch ohne dieſe Ueberſchriften beobachten. Weil dieſe gar keinen Antheil daran haben, und bloße Unterſcheidungszeichen der Saͤtze ſind. §. 150. Die Mathematiker haben außer dieſen Namen der Saͤtze noch einige andre. Denn da die Grund- ſaͤtze Lamb. Org. I. Band. G

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/119>, abgerufen am 28.03.2024.