Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
von den Aufgaben.
§. 530.

Demnach setzen die practischen Aufgaben die
Theorie dessen voraus, was durch unsre Kräfte mög-
lich ist, und je weiter diese Theorie getrieben wird,
desto mehrere Aufgaben lassen sich vortragen und auf-
lösen. Die Ordnung dieser Theorie ist nun offenbar
folgende. Erstlich können wir als eine Erfahrung
zum Grunde legen, daß wir Kräfte haben, und
zwar, so wohl Kräfte des Verstandes, als Kräfte
des Leibes. Was nun durch diese, an sich be-
trachtet, möglich ist, das kann bey practischen
Aufgaben als ein
Postulatum vorausgesetzt wer-
den.
Z. E. eine Sache anschauen, einen Schall hö-
ren, auf etwas stehen, treten, an etwas ziehen, et-
was tragen etc.

§. 531.

Hiebey sind aber zwey Stücke zu bemerken. Das
erste ist, daß unsre Kräfte sämmtlich einen ge-
wissen Grad haben, der bey jedem Menschen
mehr oder minder verschieden ist, und zuwei-
len ganz mangelt.
Die verschiedenen Möglichkei-
ten in die Ferne oder in die Nähe, bey hellerm und
schwächerm Lichte, mehr oder minder kleine Sachen
deutlich zu sehen, sind Beyspiele davon, und ma-
chen, daß das Postulatum vom Sehen nicht auf alle
Grade ausgedehnt werden kann, und bey Blinden
ganz wegfällt. Man wird bey jeden andern Kräften
und Fähigkeiten der Menschen ähnliche Stufen fin-
den. Sie fangen bey 0 an, und gehen bis auf einen
gewissen Grad.

§. 532.

Das andre, so wir anzumerken haben, ist, daß
unsre Kräfte und Fähigkeiten sich durch Ue-
bung in Fertigkeiten verwandeln, wodurch

wir
Lamb. Org. I. Band. Y
von den Aufgaben.
§. 530.

Demnach ſetzen die practiſchen Aufgaben die
Theorie deſſen voraus, was durch unſre Kraͤfte moͤg-
lich iſt, und je weiter dieſe Theorie getrieben wird,
deſto mehrere Aufgaben laſſen ſich vortragen und auf-
loͤſen. Die Ordnung dieſer Theorie iſt nun offenbar
folgende. Erſtlich koͤnnen wir als eine Erfahrung
zum Grunde legen, daß wir Kraͤfte haben, und
zwar, ſo wohl Kraͤfte des Verſtandes, als Kraͤfte
des Leibes. Was nun durch dieſe, an ſich be-
trachtet, moͤglich iſt, das kann bey practiſchen
Aufgaben als ein
Poſtulatum vorausgeſetzt wer-
den.
Z. E. eine Sache anſchauen, einen Schall hoͤ-
ren, auf etwas ſtehen, treten, an etwas ziehen, et-
was tragen ꝛc.

§. 531.

Hiebey ſind aber zwey Stuͤcke zu bemerken. Das
erſte iſt, daß unſre Kraͤfte ſaͤmmtlich einen ge-
wiſſen Grad haben, der bey jedem Menſchen
mehr oder minder verſchieden iſt, und zuwei-
len ganz mangelt.
Die verſchiedenen Moͤglichkei-
ten in die Ferne oder in die Naͤhe, bey hellerm und
ſchwaͤcherm Lichte, mehr oder minder kleine Sachen
deutlich zu ſehen, ſind Beyſpiele davon, und ma-
chen, daß das Poſtulatum vom Sehen nicht auf alle
Grade ausgedehnt werden kann, und bey Blinden
ganz wegfaͤllt. Man wird bey jeden andern Kraͤften
und Faͤhigkeiten der Menſchen aͤhnliche Stufen fin-
den. Sie fangen bey 0 an, und gehen bis auf einen
gewiſſen Grad.

§. 532.

Das andre, ſo wir anzumerken haben, iſt, daß
unſre Kraͤfte und Faͤhigkeiten ſich durch Ue-
bung in Fertigkeiten verwandeln, wodurch

wir
Lamb. Org. I. Band. Y
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0359" n="337"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von den Aufgaben.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 530.</head><lb/>
            <p>Demnach &#x017F;etzen die practi&#x017F;chen Aufgaben die<lb/>
Theorie de&#x017F;&#x017F;en voraus, was durch un&#x017F;re Kra&#x0364;fte mo&#x0364;g-<lb/>
lich i&#x017F;t, und je weiter die&#x017F;e Theorie getrieben wird,<lb/>
de&#x017F;to mehrere Aufgaben la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich vortragen und auf-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;en. Die Ordnung die&#x017F;er Theorie i&#x017F;t nun offenbar<lb/>
folgende. Er&#x017F;tlich ko&#x0364;nnen wir als eine Erfahrung<lb/>
zum Grunde legen, <hi rendition="#fr">daß wir Kra&#x0364;fte haben,</hi> und<lb/>
zwar, &#x017F;o wohl Kra&#x0364;fte des Ver&#x017F;tandes, als Kra&#x0364;fte<lb/>
des Leibes. <hi rendition="#fr">Was nun durch die&#x017F;e, an &#x017F;ich be-<lb/>
trachtet, mo&#x0364;glich i&#x017F;t, das kann bey practi&#x017F;chen<lb/>
Aufgaben als ein</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Po&#x017F;tulatum</hi></hi> <hi rendition="#fr">vorausge&#x017F;etzt wer-<lb/>
den.</hi> Z. E. eine Sache an&#x017F;chauen, einen Schall ho&#x0364;-<lb/>
ren, auf etwas &#x017F;tehen, treten, an etwas ziehen, et-<lb/>
was tragen &#xA75B;c.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 531.</head><lb/>
            <p>Hiebey &#x017F;ind aber zwey Stu&#x0364;cke zu bemerken. Das<lb/>
er&#x017F;te i&#x017F;t, <hi rendition="#fr">daß un&#x017F;re Kra&#x0364;fte &#x017F;a&#x0364;mmtlich einen ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Grad haben, der bey jedem Men&#x017F;chen<lb/>
mehr oder minder ver&#x017F;chieden i&#x017F;t, und zuwei-<lb/>
len ganz mangelt.</hi> Die ver&#x017F;chiedenen Mo&#x0364;glichkei-<lb/>
ten in die Ferne oder in die Na&#x0364;he, bey hellerm und<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;cherm Lichte, mehr oder minder kleine Sachen<lb/>
deutlich zu &#x017F;ehen, &#x017F;ind Bey&#x017F;piele davon, und ma-<lb/>
chen, daß das <hi rendition="#aq">Po&#x017F;tulatum</hi> vom Sehen nicht auf alle<lb/>
Grade ausgedehnt werden kann, und bey Blinden<lb/>
ganz wegfa&#x0364;llt. Man wird bey jeden andern Kra&#x0364;ften<lb/>
und Fa&#x0364;higkeiten der Men&#x017F;chen a&#x0364;hnliche Stufen fin-<lb/>
den. Sie fangen bey 0 an, und gehen bis auf einen<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Grad.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 532.</head><lb/>
            <p>Das andre, &#x017F;o wir anzumerken haben, i&#x017F;t, <hi rendition="#fr">daß<lb/>
un&#x017F;re Kra&#x0364;fte und Fa&#x0364;higkeiten &#x017F;ich durch Ue-<lb/>
bung in Fertigkeiten verwandeln, wodurch</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Lamb. Org. <hi rendition="#aq">I.</hi> Band. Y</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">wir</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[337/0359] von den Aufgaben. §. 530. Demnach ſetzen die practiſchen Aufgaben die Theorie deſſen voraus, was durch unſre Kraͤfte moͤg- lich iſt, und je weiter dieſe Theorie getrieben wird, deſto mehrere Aufgaben laſſen ſich vortragen und auf- loͤſen. Die Ordnung dieſer Theorie iſt nun offenbar folgende. Erſtlich koͤnnen wir als eine Erfahrung zum Grunde legen, daß wir Kraͤfte haben, und zwar, ſo wohl Kraͤfte des Verſtandes, als Kraͤfte des Leibes. Was nun durch dieſe, an ſich be- trachtet, moͤglich iſt, das kann bey practiſchen Aufgaben als ein Poſtulatum vorausgeſetzt wer- den. Z. E. eine Sache anſchauen, einen Schall hoͤ- ren, auf etwas ſtehen, treten, an etwas ziehen, et- was tragen ꝛc. §. 531. Hiebey ſind aber zwey Stuͤcke zu bemerken. Das erſte iſt, daß unſre Kraͤfte ſaͤmmtlich einen ge- wiſſen Grad haben, der bey jedem Menſchen mehr oder minder verſchieden iſt, und zuwei- len ganz mangelt. Die verſchiedenen Moͤglichkei- ten in die Ferne oder in die Naͤhe, bey hellerm und ſchwaͤcherm Lichte, mehr oder minder kleine Sachen deutlich zu ſehen, ſind Beyſpiele davon, und ma- chen, daß das Poſtulatum vom Sehen nicht auf alle Grade ausgedehnt werden kann, und bey Blinden ganz wegfaͤllt. Man wird bey jeden andern Kraͤften und Faͤhigkeiten der Menſchen aͤhnliche Stufen fin- den. Sie fangen bey 0 an, und gehen bis auf einen gewiſſen Grad. §. 532. Das andre, ſo wir anzumerken haben, iſt, daß unſre Kraͤfte und Faͤhigkeiten ſich durch Ue- bung in Fertigkeiten verwandeln, wodurch wir Lamb. Org. I. Band. Y

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/359
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/359>, abgerufen am 19.04.2024.