Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

VIII. Hauptstück,
(§. 552.) hervorbringen. Demnach was nicht jedem
sogleich in die Sinne fällt, was mit mehrerer Aufmerk-
samkeit und mit einem gewissen Vorsatze empfunden
werden muß, wird nicht zu der gemeinen Erfahrung
gerechnet. Z. E. Daß die Sonne auf und untergehe,
Tag und Nacht abwechsele, daß der Mond sein Licht
verändre etc. sind gemeine Erfahrungen, auf die man
sich als auf solche allerdings berufen kann. Daß
aber der Mond immer die gleiche Seite gegen uns
kehre, daß die Zeit von einem Neumond zum andern
nicht gleich sey, sondern ordentliche Abwechslungen
habe, daß die Planeten ihren Ort unter den Ster-
nen ändern etc. sind Erfahrungen, die mehrere Auf-
merksamkeit und längere Zeit fordern, und gar nicht
unter die gemeinen Erfahrungen gerechnet werden
können, weil man den, der sie machen soll, erinnern
muß, darauf Acht zu haben, wenn er nicht selbsten so
aufmerksam ist. Solche Erfahrungen werden in der
Astronomie Beobachtungen, Obseruationes ge-
nennt, und können diesen Namen überhaupt behalten.
Die vorhin (§. 549. 550.) angezeigten Requisita
zeigen, wer zu neuen Beobachtungen von Natur auf-
gelegt ist, und durch Uebung zu größerer Fertigkeit
kommen kann. Wir merken daher hier nur an, daß
eine Beobachtung mehrere nach sich ziehe,
und die erste gleichsam das Eis breche,
weil sie
auf die Sache aufmerksam macht, besonders, wenn
das Mittel zur Beobachtung neu ist, dergleichen z. E.
die Fernröhren und Vergrößerungsgläser waren.

§. 558.

Gebraucht es aber eine Vorbereitung, um die
Sache empfinden zu können, so wird die Erfahrung
ein Versuch, Experimentum genennt. Diese Vor-
bereitung besteht darinn, daß man Dinge anordnet

und

VIII. Hauptſtuͤck,
(§. 552.) hervorbringen. Demnach was nicht jedem
ſogleich in die Sinne faͤllt, was mit mehrerer Aufmerk-
ſamkeit und mit einem gewiſſen Vorſatze empfunden
werden muß, wird nicht zu der gemeinen Erfahrung
gerechnet. Z. E. Daß die Sonne auf und untergehe,
Tag und Nacht abwechſele, daß der Mond ſein Licht
veraͤndre ꝛc. ſind gemeine Erfahrungen, auf die man
ſich als auf ſolche allerdings berufen kann. Daß
aber der Mond immer die gleiche Seite gegen uns
kehre, daß die Zeit von einem Neumond zum andern
nicht gleich ſey, ſondern ordentliche Abwechslungen
habe, daß die Planeten ihren Ort unter den Ster-
nen aͤndern ꝛc. ſind Erfahrungen, die mehrere Auf-
merkſamkeit und laͤngere Zeit fordern, und gar nicht
unter die gemeinen Erfahrungen gerechnet werden
koͤnnen, weil man den, der ſie machen ſoll, erinnern
muß, darauf Acht zu haben, wenn er nicht ſelbſten ſo
aufmerkſam iſt. Solche Erfahrungen werden in der
Aſtronomie Beobachtungen, Obſeruationes ge-
nennt, und koͤnnen dieſen Namen uͤberhaupt behalten.
Die vorhin (§. 549. 550.) angezeigten Requiſita
zeigen, wer zu neuen Beobachtungen von Natur auf-
gelegt iſt, und durch Uebung zu groͤßerer Fertigkeit
kommen kann. Wir merken daher hier nur an, daß
eine Beobachtung mehrere nach ſich ziehe,
und die erſte gleichſam das Eis breche,
weil ſie
auf die Sache aufmerkſam macht, beſonders, wenn
das Mittel zur Beobachtung neu iſt, dergleichen z. E.
die Fernroͤhren und Vergroͤßerungsglaͤſer waren.

§. 558.

Gebraucht es aber eine Vorbereitung, um die
Sache empfinden zu koͤnnen, ſo wird die Erfahrung
ein Verſuch, Experimentum genennt. Dieſe Vor-
bereitung beſteht darinn, daß man Dinge anordnet

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0374" n="352"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck,</hi></fw><lb/>
(§. 552.) hervorbringen. Demnach was nicht jedem<lb/>
&#x017F;ogleich in die Sinne fa&#x0364;llt, was mit mehrerer Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit und mit einem gewi&#x017F;&#x017F;en Vor&#x017F;atze empfunden<lb/>
werden muß, wird nicht zu der gemeinen Erfahrung<lb/>
gerechnet. Z. E. Daß die Sonne auf und untergehe,<lb/>
Tag und Nacht abwech&#x017F;ele, daß der Mond &#x017F;ein Licht<lb/>
vera&#x0364;ndre &#xA75B;c. &#x017F;ind gemeine Erfahrungen, auf die man<lb/>
&#x017F;ich als auf &#x017F;olche allerdings berufen kann. Daß<lb/>
aber der Mond immer die gleiche Seite gegen uns<lb/>
kehre, daß die Zeit von einem Neumond zum andern<lb/>
nicht gleich &#x017F;ey, &#x017F;ondern ordentliche Abwechslungen<lb/>
habe, daß die Planeten ihren Ort unter den Ster-<lb/>
nen a&#x0364;ndern &#xA75B;c. &#x017F;ind Erfahrungen, die mehrere Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit und la&#x0364;ngere Zeit fordern, und gar nicht<lb/>
unter die gemeinen Erfahrungen gerechnet werden<lb/>
ko&#x0364;nnen, weil man den, der &#x017F;ie machen &#x017F;oll, erinnern<lb/>
muß, darauf Acht zu haben, wenn er nicht &#x017F;elb&#x017F;ten &#x017F;o<lb/>
aufmerk&#x017F;am i&#x017F;t. Solche Erfahrungen werden in der<lb/>
A&#x017F;tronomie <hi rendition="#fr">Beobachtungen,</hi> <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;eruationes</hi> ge-<lb/>
nennt, und ko&#x0364;nnen die&#x017F;en Namen u&#x0364;berhaupt behalten.<lb/>
Die vorhin (§. 549. 550.) angezeigten <hi rendition="#aq">Requi&#x017F;ita</hi><lb/>
zeigen, wer zu neuen Beobachtungen von Natur auf-<lb/>
gelegt i&#x017F;t, und durch Uebung zu gro&#x0364;ßerer Fertigkeit<lb/>
kommen kann. Wir merken daher hier nur an, <hi rendition="#fr">daß<lb/>
eine Beobachtung mehrere nach &#x017F;ich ziehe,<lb/>
und die er&#x017F;te gleich&#x017F;am das Eis breche,</hi> weil &#x017F;ie<lb/>
auf die Sache aufmerk&#x017F;am macht, be&#x017F;onders, wenn<lb/>
das Mittel zur Beobachtung neu i&#x017F;t, dergleichen z. E.<lb/>
die Fernro&#x0364;hren und Vergro&#x0364;ßerungsgla&#x0364;&#x017F;er waren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 558.</head><lb/>
            <p>Gebraucht es aber eine Vorbereitung, um die<lb/>
Sache empfinden zu ko&#x0364;nnen, &#x017F;o wird die Erfahrung<lb/>
ein <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uch,</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Experimentum</hi></hi> genennt. Die&#x017F;e Vor-<lb/>
bereitung be&#x017F;teht darinn, daß man Dinge anordnet<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0374] VIII. Hauptſtuͤck, (§. 552.) hervorbringen. Demnach was nicht jedem ſogleich in die Sinne faͤllt, was mit mehrerer Aufmerk- ſamkeit und mit einem gewiſſen Vorſatze empfunden werden muß, wird nicht zu der gemeinen Erfahrung gerechnet. Z. E. Daß die Sonne auf und untergehe, Tag und Nacht abwechſele, daß der Mond ſein Licht veraͤndre ꝛc. ſind gemeine Erfahrungen, auf die man ſich als auf ſolche allerdings berufen kann. Daß aber der Mond immer die gleiche Seite gegen uns kehre, daß die Zeit von einem Neumond zum andern nicht gleich ſey, ſondern ordentliche Abwechslungen habe, daß die Planeten ihren Ort unter den Ster- nen aͤndern ꝛc. ſind Erfahrungen, die mehrere Auf- merkſamkeit und laͤngere Zeit fordern, und gar nicht unter die gemeinen Erfahrungen gerechnet werden koͤnnen, weil man den, der ſie machen ſoll, erinnern muß, darauf Acht zu haben, wenn er nicht ſelbſten ſo aufmerkſam iſt. Solche Erfahrungen werden in der Aſtronomie Beobachtungen, Obſeruationes ge- nennt, und koͤnnen dieſen Namen uͤberhaupt behalten. Die vorhin (§. 549. 550.) angezeigten Requiſita zeigen, wer zu neuen Beobachtungen von Natur auf- gelegt iſt, und durch Uebung zu groͤßerer Fertigkeit kommen kann. Wir merken daher hier nur an, daß eine Beobachtung mehrere nach ſich ziehe, und die erſte gleichſam das Eis breche, weil ſie auf die Sache aufmerkſam macht, beſonders, wenn das Mittel zur Beobachtung neu iſt, dergleichen z. E. die Fernroͤhren und Vergroͤßerungsglaͤſer waren. §. 558. Gebraucht es aber eine Vorbereitung, um die Sache empfinden zu koͤnnen, ſo wird die Erfahrung ein Verſuch, Experimentum genennt. Dieſe Vor- bereitung beſteht darinn, daß man Dinge anordnet und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/374
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/374>, abgerufen am 19.04.2024.