Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

von der wissenschaftlichen Erkenntniß.
demnach eines auf das andre folge, wiefern
jedes für sich möglich sey, ob Mißverstand
und Vieldeutigkeit in den Worten liege, ob
noch unbemerkte Arten, Fälle, Rlassen etc. zu
unterscheiden sind, deren Vermengung, Unbe-
stimmtheit und theilsweise irriges in den Aus-
drücken, Sätzen oder Begriffen verursache, ob
die Stücke zusammen gehören etc.

§. 620.

Hiezu wird unstreitig erfordert, daß man von
den Cheilen einer noch verwirrten Vorstellung
in so fern zureichend klare Begriffe habe, daß
man sie bey behöriger Aufmerksamkeit etken-
nen und finden möge.
(§. 547 seqq.) Beson-
ders wird auch eine Uebung dazu erfordert, die sich
durch aufmerksamere Betrachtung guter Beyspiele
und Muster erlangen läßt, und die wir durch zwey
ähnliche Fälle, die das Auge und das Ohr betreffen,
erläutern können. Die Harmonie in einem Concert
wird von einem geübten Tonkünstler viel vollständi-
ger empfunden, als von ungeübten, und wenn ein
Mißton mit unterläuft, so wird er die Person, die
Note, die Dauer, die Art, wie sie gespielt worden,
und wie sie hätte sollen gespielt werden, umständlich
angeben können. Und dieses wird ihm möglich und
leicht, weil er das Ohr zu jeden Harmonien, zu ihren
Theilen, Abwechslungen etc. gewöhnt hat, weil er
jeden Theil mit seinem Namen benennen, und dadurch,
was er auf einmal hört, sich entwickelt und deutlich
vorstellen oder empfinden kann. Die Harmonie in
einem Concerte ist ein sehr schwacher Schattenriß von
der Harmonie in den Wahrheiten, die nicht das Ohr,
sondern der Sensus internus, oder die Seele in ihrem
innern Bewußtseyn empfindet. Gute Muster,

und

von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß.
demnach eines auf das andre folge, wiefern
jedes fuͤr ſich moͤglich ſey, ob Mißverſtand
und Vieldeutigkeit in den Worten liege, ob
noch unbemerkte Arten, Faͤlle, Rlaſſen ꝛc. zu
unterſcheiden ſind, deren Vermengung, Unbe-
ſtimmtheit und theilsweiſe irriges in den Aus-
druͤcken, Saͤtzen oder Begriffen verurſache, ob
die Stuͤcke zuſammen gehoͤren ꝛc.

§. 620.

Hiezu wird unſtreitig erfordert, daß man von
den Cheilen einer noch verwirrten Vorſtellung
in ſo fern zureichend klare Begriffe habe, daß
man ſie bey behoͤriger Aufmerkſamkeit etken-
nen und finden moͤge.
(§. 547 ſeqq.) Beſon-
ders wird auch eine Uebung dazu erfordert, die ſich
durch aufmerkſamere Betrachtung guter Beyſpiele
und Muſter erlangen laͤßt, und die wir durch zwey
aͤhnliche Faͤlle, die das Auge und das Ohr betreffen,
erlaͤutern koͤnnen. Die Harmonie in einem Concert
wird von einem geuͤbten Tonkuͤnſtler viel vollſtaͤndi-
ger empfunden, als von ungeuͤbten, und wenn ein
Mißton mit unterlaͤuft, ſo wird er die Perſon, die
Note, die Dauer, die Art, wie ſie geſpielt worden,
und wie ſie haͤtte ſollen geſpielt werden, umſtaͤndlich
angeben koͤnnen. Und dieſes wird ihm moͤglich und
leicht, weil er das Ohr zu jeden Harmonien, zu ihren
Theilen, Abwechslungen ꝛc. gewoͤhnt hat, weil er
jeden Theil mit ſeinem Namen benennen, und dadurch,
was er auf einmal hoͤrt, ſich entwickelt und deutlich
vorſtellen oder empfinden kann. Die Harmonie in
einem Concerte iſt ein ſehr ſchwacher Schattenriß von
der Harmonie in den Wahrheiten, die nicht das Ohr,
ſondern der Senſus internus, oder die Seele in ihrem
innern Bewußtſeyn empfindet. Gute Muſter,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0421" n="399"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Erkenntniß.</hi> </fw><lb/> <hi rendition="#fr">demnach eines auf das andre folge, wiefern<lb/>
jedes fu&#x0364;r &#x017F;ich mo&#x0364;glich &#x017F;ey, ob Mißver&#x017F;tand<lb/>
und Vieldeutigkeit in den Worten liege, ob<lb/>
noch unbemerkte Arten, Fa&#x0364;lle, Rla&#x017F;&#x017F;en &#xA75B;c. zu<lb/>
unter&#x017F;cheiden &#x017F;ind, deren Vermengung, Unbe-<lb/>
&#x017F;timmtheit und theilswei&#x017F;e irriges in den Aus-<lb/>
dru&#x0364;cken, Sa&#x0364;tzen oder Begriffen verur&#x017F;ache, ob<lb/>
die Stu&#x0364;cke zu&#x017F;ammen geho&#x0364;ren &#xA75B;c.</hi> </p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 620.</head><lb/>
            <p>Hiezu wird un&#x017F;treitig erfordert, <hi rendition="#fr">daß man von<lb/>
den Cheilen einer noch verwirrten Vor&#x017F;tellung<lb/>
in &#x017F;o fern zureichend klare Begriffe habe, daß<lb/>
man &#x017F;ie bey beho&#x0364;riger Aufmerk&#x017F;amkeit etken-<lb/>
nen und finden mo&#x0364;ge.</hi> (§. 547 &#x017F;eqq.) Be&#x017F;on-<lb/>
ders wird auch eine Uebung dazu erfordert, die &#x017F;ich<lb/>
durch aufmerk&#x017F;amere Betrachtung guter Bey&#x017F;piele<lb/>
und Mu&#x017F;ter erlangen la&#x0364;ßt, und die wir durch zwey<lb/>
a&#x0364;hnliche Fa&#x0364;lle, die das Auge und das Ohr betreffen,<lb/>
erla&#x0364;utern ko&#x0364;nnen. Die Harmonie in einem Concert<lb/>
wird von einem geu&#x0364;bten Tonku&#x0364;n&#x017F;tler viel voll&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
ger empfunden, als von ungeu&#x0364;bten, und wenn ein<lb/>
Mißton mit unterla&#x0364;uft, &#x017F;o wird er die Per&#x017F;on, die<lb/>
Note, die Dauer, die Art, wie &#x017F;ie ge&#x017F;pielt worden,<lb/>
und wie &#x017F;ie ha&#x0364;tte &#x017F;ollen ge&#x017F;pielt werden, um&#x017F;ta&#x0364;ndlich<lb/>
angeben ko&#x0364;nnen. Und die&#x017F;es wird ihm mo&#x0364;glich und<lb/>
leicht, weil er das Ohr zu jeden Harmonien, zu ihren<lb/>
Theilen, Abwechslungen &#xA75B;c. gewo&#x0364;hnt hat, weil er<lb/>
jeden Theil mit &#x017F;einem Namen benennen, und dadurch,<lb/>
was er auf einmal ho&#x0364;rt, &#x017F;ich entwickelt und deutlich<lb/>
vor&#x017F;tellen oder empfinden kann. Die Harmonie in<lb/>
einem Concerte i&#x017F;t ein &#x017F;ehr &#x017F;chwacher Schattenriß von<lb/>
der Harmonie in den Wahrheiten, die nicht das Ohr,<lb/>
&#x017F;ondern der <hi rendition="#aq">Sen&#x017F;us internus,</hi> oder die Seele in ihrem<lb/>
innern Bewußt&#x017F;eyn empfindet. <hi rendition="#fr">Gute Mu&#x017F;ter,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0421] von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß. demnach eines auf das andre folge, wiefern jedes fuͤr ſich moͤglich ſey, ob Mißverſtand und Vieldeutigkeit in den Worten liege, ob noch unbemerkte Arten, Faͤlle, Rlaſſen ꝛc. zu unterſcheiden ſind, deren Vermengung, Unbe- ſtimmtheit und theilsweiſe irriges in den Aus- druͤcken, Saͤtzen oder Begriffen verurſache, ob die Stuͤcke zuſammen gehoͤren ꝛc. §. 620. Hiezu wird unſtreitig erfordert, daß man von den Cheilen einer noch verwirrten Vorſtellung in ſo fern zureichend klare Begriffe habe, daß man ſie bey behoͤriger Aufmerkſamkeit etken- nen und finden moͤge. (§. 547 ſeqq.) Beſon- ders wird auch eine Uebung dazu erfordert, die ſich durch aufmerkſamere Betrachtung guter Beyſpiele und Muſter erlangen laͤßt, und die wir durch zwey aͤhnliche Faͤlle, die das Auge und das Ohr betreffen, erlaͤutern koͤnnen. Die Harmonie in einem Concert wird von einem geuͤbten Tonkuͤnſtler viel vollſtaͤndi- ger empfunden, als von ungeuͤbten, und wenn ein Mißton mit unterlaͤuft, ſo wird er die Perſon, die Note, die Dauer, die Art, wie ſie geſpielt worden, und wie ſie haͤtte ſollen geſpielt werden, umſtaͤndlich angeben koͤnnen. Und dieſes wird ihm moͤglich und leicht, weil er das Ohr zu jeden Harmonien, zu ihren Theilen, Abwechslungen ꝛc. gewoͤhnt hat, weil er jeden Theil mit ſeinem Namen benennen, und dadurch, was er auf einmal hoͤrt, ſich entwickelt und deutlich vorſtellen oder empfinden kann. Die Harmonie in einem Concerte iſt ein ſehr ſchwacher Schattenriß von der Harmonie in den Wahrheiten, die nicht das Ohr, ſondern der Senſus internus, oder die Seele in ihrem innern Bewußtſeyn empfindet. Gute Muſter, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/421
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/421>, abgerufen am 18.04.2024.