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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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oder für sich gedenkbaren Begriffen.
im Traume, weil die Sinnen ruhen, möglich ist. Es
bekräftigt dieses den Satz, daß die stärkern Empfin-
dungen und daher rührenden Vorstellungen die schwä-
chern unterdrücken, und daß demnach die wirklichen
Empfindungen zu der Vorstellung eines solchen Be-
griffes an sich nicht nothwendig sind.

§. 16.

Wir betrachten ferner hier die klaren Begriffe, so
wir durch die Sinnen erlangen, nicht in Absicht auf
die Werkzeuge der Sinnen, in welchen allerdings
zusammengesetzte Bewegungen und Veränderungen
vorgehen, sondern in sofern solche Begriffe in der
Seele sind, folglich sofern es Begriffe sind. Jn die-
ser Absicht findet sich etwas einfaches darinn, und ih-
re Gedenkbarkeit gehört mit zu der Natur eines den-
kenden Wesens. Es ist daher an sich möglich, daß
ein denkendes Wesen sich solche Begriffe ohne die
Veranlassung der Sinnen vorstellen könne. Warum
es aber bey uns nicht angeht, läßt sich allerdings dar-
aus erklären, daß wir Empfindungen haben, die
nicht zulassen, daß wir uns schwächerer Vorstellun-
gen bewußt seyn können, wenn diese nicht bereits ein-
mal durch Empfindungen lebhaft worden sind. Un-
geachtet wir demnach solche Begriffe durchaus a po-
steriori
haben, so ist es doch eigentlich nur das Be-
wußtseyn derselben, und es läßt sich nicht daraus
schließen, daß die Begriffe selbst nicht an sich schon
in der Seele sollten seyn können, ehe bey uns das
Bewußtseyn derselben durch die Empfindung veran-
laßt wird.

§. 17.

Es scheint, daß die Begriffe der Figuren weniger
von den Empfindungen abhängen, als die Begriffe
der Farben, des Schalls, der Härtigkeit der Wär-
me etc. Es ist aber der Unterschied nicht so groß,

als

oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen.
im Traume, weil die Sinnen ruhen, moͤglich iſt. Es
bekraͤftigt dieſes den Satz, daß die ſtaͤrkern Empfin-
dungen und daher ruͤhrenden Vorſtellungen die ſchwaͤ-
chern unterdruͤcken, und daß demnach die wirklichen
Empfindungen zu der Vorſtellung eines ſolchen Be-
griffes an ſich nicht nothwendig ſind.

§. 16.

Wir betrachten ferner hier die klaren Begriffe, ſo
wir durch die Sinnen erlangen, nicht in Abſicht auf
die Werkzeuge der Sinnen, in welchen allerdings
zuſammengeſetzte Bewegungen und Veraͤnderungen
vorgehen, ſondern in ſofern ſolche Begriffe in der
Seele ſind, folglich ſofern es Begriffe ſind. Jn die-
ſer Abſicht findet ſich etwas einfaches darinn, und ih-
re Gedenkbarkeit gehoͤrt mit zu der Natur eines den-
kenden Weſens. Es iſt daher an ſich moͤglich, daß
ein denkendes Weſen ſich ſolche Begriffe ohne die
Veranlaſſung der Sinnen vorſtellen koͤnne. Warum
es aber bey uns nicht angeht, laͤßt ſich allerdings dar-
aus erklaͤren, daß wir Empfindungen haben, die
nicht zulaſſen, daß wir uns ſchwaͤcherer Vorſtellun-
gen bewußt ſeyn koͤnnen, wenn dieſe nicht bereits ein-
mal durch Empfindungen lebhaft worden ſind. Un-
geachtet wir demnach ſolche Begriffe durchaus a po-
ſteriori
haben, ſo iſt es doch eigentlich nur das Be-
wußtſeyn derſelben, und es laͤßt ſich nicht daraus
ſchließen, daß die Begriffe ſelbſt nicht an ſich ſchon
in der Seele ſollten ſeyn koͤnnen, ehe bey uns das
Bewußtſeyn derſelben durch die Empfindung veran-
laßt wird.

§. 17.

Es ſcheint, daß die Begriffe der Figuren weniger
von den Empfindungen abhaͤngen, als die Begriffe
der Farben, des Schalls, der Haͤrtigkeit der Waͤr-
me ꝛc. Es iſt aber der Unterſchied nicht ſo groß,

als
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[461/0483] oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen. im Traume, weil die Sinnen ruhen, moͤglich iſt. Es bekraͤftigt dieſes den Satz, daß die ſtaͤrkern Empfin- dungen und daher ruͤhrenden Vorſtellungen die ſchwaͤ- chern unterdruͤcken, und daß demnach die wirklichen Empfindungen zu der Vorſtellung eines ſolchen Be- griffes an ſich nicht nothwendig ſind. §. 16. Wir betrachten ferner hier die klaren Begriffe, ſo wir durch die Sinnen erlangen, nicht in Abſicht auf die Werkzeuge der Sinnen, in welchen allerdings zuſammengeſetzte Bewegungen und Veraͤnderungen vorgehen, ſondern in ſofern ſolche Begriffe in der Seele ſind, folglich ſofern es Begriffe ſind. Jn die- ſer Abſicht findet ſich etwas einfaches darinn, und ih- re Gedenkbarkeit gehoͤrt mit zu der Natur eines den- kenden Weſens. Es iſt daher an ſich moͤglich, daß ein denkendes Weſen ſich ſolche Begriffe ohne die Veranlaſſung der Sinnen vorſtellen koͤnne. Warum es aber bey uns nicht angeht, laͤßt ſich allerdings dar- aus erklaͤren, daß wir Empfindungen haben, die nicht zulaſſen, daß wir uns ſchwaͤcherer Vorſtellun- gen bewußt ſeyn koͤnnen, wenn dieſe nicht bereits ein- mal durch Empfindungen lebhaft worden ſind. Un- geachtet wir demnach ſolche Begriffe durchaus a po- ſteriori haben, ſo iſt es doch eigentlich nur das Be- wußtſeyn derſelben, und es laͤßt ſich nicht daraus ſchließen, daß die Begriffe ſelbſt nicht an ſich ſchon in der Seele ſollten ſeyn koͤnnen, ehe bey uns das Bewußtſeyn derſelben durch die Empfindung veran- laßt wird. §. 17. Es ſcheint, daß die Begriffe der Figuren weniger von den Empfindungen abhaͤngen, als die Begriffe der Farben, des Schalls, der Haͤrtigkeit der Waͤr- me ꝛc. Es iſt aber der Unterſchied nicht ſo groß, als

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/483>, abgerufen am 25.04.2024.