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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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IV. Hauptstück, von dem Unterschiede
bey der Vorstellung eines Satzes aus dem nicht
bewußtseyn
oder nicht empfinden einiger Disso-
nanz auf die Harmonie schließen, sofern haben wir
auch weniger Anstand, den Satz anzunehmen, oder
ihn wenigstens nicht zu verwerfen. Und in so fern
richten wir unsern Beyfall nach folgenden zwey Re-
geln: Was mit unsern richtigsten Sätzen nicht
übereinstimmt, dem versagen wir den Beyfall,

und hinwiederum: Was mit unsern richtigsten
Sätzen harmonirt, oder wenigstens denselben
nicht als zuwiderlaufend empfunden wird, dem
fallen wir ehender als dessen Gegentheil bey.

Was dieses Empfinden der Harmonie und das nicht
empfinden der Dissonanz auf sich habe, wenn man
theils von Natur dazu aufgelegt ist, theils sich durch
Uebung dazu geschickter macht, haben wir bereits in
der Dianoiologie (§. 619.) angezeigt. Wir reichen
zwar damit nicht bis an die Wahrheit selbst, indessen
wird dadurch der Weg zu derselben gebähnt und ab-
gekürzt.

§. 180.

Jemehr aus einem Satze, mit Zuziehung
wahrer Sätze, wahre Schlußsätze können her-
geleitet werden, destomehr Harmonie hat der-
selbe mit den Wahrheiten.
Denn da diese Schluß-
sätze Folgen des Satzes sind, so stimmt er in diesen
Folgen mit eben so vielen Wahrheiten überein. Da
nun jede Wahrheit etwas eignes hat, (.177.) so nimmt
die Anzahl der einzelnen Uebereinstimmungen mit der
Anzahl der Folgen zu. Da wir nun diese Ueberein-
stimmung, gleichsam durch eine bloße Uebersetzung,
Harmonie nennen, so ist klar, daß diese Harmonie
vielfacher seyn wird, je mehr wahre Folgen aus dem
Satze gezogen werden können.

§. 181.

IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede
bey der Vorſtellung eines Satzes aus dem nicht
bewußtſeyn
oder nicht empfinden einiger Diſſo-
nanz auf die Harmonie ſchließen, ſofern haben wir
auch weniger Anſtand, den Satz anzunehmen, oder
ihn wenigſtens nicht zu verwerfen. Und in ſo fern
richten wir unſern Beyfall nach folgenden zwey Re-
geln: Was mit unſern richtigſten Saͤtzen nicht
uͤbereinſtimmt, dem verſagen wir den Beyfall,

und hinwiederum: Was mit unſern richtigſten
Saͤtzen harmonirt, oder wenigſtens denſelben
nicht als zuwiderlaufend empfunden wird, dem
fallen wir ehender als deſſen Gegentheil bey.

Was dieſes Empfinden der Harmonie und das nicht
empfinden der Diſſonanz auf ſich habe, wenn man
theils von Natur dazu aufgelegt iſt, theils ſich durch
Uebung dazu geſchickter macht, haben wir bereits in
der Dianoiologie (§. 619.) angezeigt. Wir reichen
zwar damit nicht bis an die Wahrheit ſelbſt, indeſſen
wird dadurch der Weg zu derſelben gebaͤhnt und ab-
gekuͤrzt.

§. 180.

Jemehr aus einem Satze, mit Zuziehung
wahrer Saͤtze, wahre Schlußſaͤtze koͤnnen her-
geleitet werden, deſtomehr Harmonie hat der-
ſelbe mit den Wahrheiten.
Denn da dieſe Schluß-
ſaͤtze Folgen des Satzes ſind, ſo ſtimmt er in dieſen
Folgen mit eben ſo vielen Wahrheiten uͤberein. Da
nun jede Wahrheit etwas eignes hat, (.177.) ſo nimmt
die Anzahl der einzelnen Uebereinſtimmungen mit der
Anzahl der Folgen zu. Da wir nun dieſe Ueberein-
ſtimmung, gleichſam durch eine bloße Ueberſetzung,
Harmonie nennen, ſo iſt klar, daß dieſe Harmonie
vielfacher ſeyn wird, je mehr wahre Folgen aus dem
Satze gezogen werden koͤnnen.

§. 181.
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[546/0568] IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede bey der Vorſtellung eines Satzes aus dem nicht bewußtſeyn oder nicht empfinden einiger Diſſo- nanz auf die Harmonie ſchließen, ſofern haben wir auch weniger Anſtand, den Satz anzunehmen, oder ihn wenigſtens nicht zu verwerfen. Und in ſo fern richten wir unſern Beyfall nach folgenden zwey Re- geln: Was mit unſern richtigſten Saͤtzen nicht uͤbereinſtimmt, dem verſagen wir den Beyfall, und hinwiederum: Was mit unſern richtigſten Saͤtzen harmonirt, oder wenigſtens denſelben nicht als zuwiderlaufend empfunden wird, dem fallen wir ehender als deſſen Gegentheil bey. Was dieſes Empfinden der Harmonie und das nicht empfinden der Diſſonanz auf ſich habe, wenn man theils von Natur dazu aufgelegt iſt, theils ſich durch Uebung dazu geſchickter macht, haben wir bereits in der Dianoiologie (§. 619.) angezeigt. Wir reichen zwar damit nicht bis an die Wahrheit ſelbſt, indeſſen wird dadurch der Weg zu derſelben gebaͤhnt und ab- gekuͤrzt. §. 180. Jemehr aus einem Satze, mit Zuziehung wahrer Saͤtze, wahre Schlußſaͤtze koͤnnen her- geleitet werden, deſtomehr Harmonie hat der- ſelbe mit den Wahrheiten. Denn da dieſe Schluß- ſaͤtze Folgen des Satzes ſind, ſo ſtimmt er in dieſen Folgen mit eben ſo vielen Wahrheiten uͤberein. Da nun jede Wahrheit etwas eignes hat, (.177.) ſo nimmt die Anzahl der einzelnen Uebereinſtimmungen mit der Anzahl der Folgen zu. Da wir nun dieſe Ueberein- ſtimmung, gleichſam durch eine bloße Ueberſetzung, Harmonie nennen, ſo iſt klar, daß dieſe Harmonie vielfacher ſeyn wird, je mehr wahre Folgen aus dem Satze gezogen werden koͤnnen. §. 181.

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/568>, abgerufen am 28.03.2024.