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Lange, Helene: Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht. In: Die Frau (1918), S. 353–354.

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Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht.

Nachdruck verboten.

Jn zwei europäischen Staaten ist bei Reichstagswahlen kürzlich das Frauenwahlrecht
zum erstenmal in Kraft gewesen: in Holland und in Dänemark. Jn Holland hat die
Weisheit des Gesetzgebers den Frauen nur das passive Wahlrecht gegeben. Er will
dabei des Glaubens gewesen sein, daß diese Form genüge, um die erwünschte Vertretung
der Frauen im Parlament zu erzielen. Was ist geschehen? Die Kölnische Zeitung berichtet,
daß die Parteien zwar weibliche Kandidaten aufgestellt hatten, aber "im wesentlichen nur
dekorative Vorstandsdamen ohne Persönlichkeitswert". Diese seien denn auch durchgefallen.
Die einzige Partei; die tüchtige Kandidatinnen gehabt habe, sei die Sozialdemokratie. Eine
Sozialdemokratin, Mevrouw Suze Groenewey ist denn auch - als einzige Frau -
in die Kammer gewählt.

Auch in Dänemark haben zum erstenmal Reichstagswahlen unter der Beteiligung von
Frauen stattgefunden. Die dänischen Frauen besitzen das aktive und passive Wahlrecht seit
1915. Sie eroberten für das Volksthing (2. Kammer) 4 von 140 Sitzen, für das Landsthing
(1. Kammer) 5 von 72 Sitzen. Außerdem brachten sie noch mehrere weibliche Stellvertreter
durch. Von diesen Sitzen hat die Sozialdemokratie 1 im Volksthing und 1 im Landsthing
besetzt, die radikale Linkspartei dieselbe Zahl, die gemäßigte Linke 3 im Landsthing, die
konservative Volkspartei 2 im Volksthing. Zur Beurteilung der Sachlage muß in Betracht
gezogen werden, daß die Sozialdemokratie und die Radikalen Regierungspartei sind.

Diese beiden Beispiele lassen sich zuerst im allgemeinen vergleichen. Die politische
Schulung der Frauen, die Mitarbeit in Kommunen und Parteien dürfte in beiden Ländern
etwa gleich stehen. Beide haben eine starke Frauenstimmrechtsbewegung, beide die Agitations-
möglichkeit des Kleinstaats. Bezeichnend: in dem Staat des aktiven Wahlrechts 9 Sitze, die
sich annähernd dem Parteiverhältnis (das sich in Dänemark durch die Neuwahlen überhaupt
nicht verschoben hat) entsprechend verteilen. Jm Land des passiven Wahlrechts: eine Sozial-
demokratin.

Wie ist der Mißerfolg in Holland zu erklären? Er bestätigte nach meinem Eindruck
genau das, was wir immer gegen ein passives ohne aktives Wahlrecht eingewandt haben:
es ist kein Mittel, um geeignete Frauen in die Volksvertretung zu bringen. Jch weiß nicht,
welche Grundlagen die Kölnische Zeitung für ihre Behauptung hat, daß die Parteien
ungeeignete Kandidatinnen aufgestellt haben. Wenn daran etwas Richtiges sein sollte, so

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Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht.

Nachdruck verboten.

Jn zwei europäischen Staaten ist bei Reichstagswahlen kürzlich das Frauenwahlrecht
zum erstenmal in Kraft gewesen: in Holland und in Dänemark. Jn Holland hat die
Weisheit des Gesetzgebers den Frauen nur das passive Wahlrecht gegeben. Er will
dabei des Glaubens gewesen sein, daß diese Form genüge, um die erwünschte Vertretung
der Frauen im Parlament zu erzielen. Was ist geschehen? Die Kölnische Zeitung berichtet,
daß die Parteien zwar weibliche Kandidaten aufgestellt hatten, aber „im wesentlichen nur
dekorative Vorstandsdamen ohne Persönlichkeitswert“. Diese seien denn auch durchgefallen.
Die einzige Partei; die tüchtige Kandidatinnen gehabt habe, sei die Sozialdemokratie. Eine
Sozialdemokratin, Mevrouw Suze Groenewey ist denn auch – als einzige Frau –
in die Kammer gewählt.

Auch in Dänemark haben zum erstenmal Reichstagswahlen unter der Beteiligung von
Frauen stattgefunden. Die dänischen Frauen besitzen das aktive und passive Wahlrecht seit
1915. Sie eroberten für das Volksthing (2. Kammer) 4 von 140 Sitzen, für das Landsthing
(1. Kammer) 5 von 72 Sitzen. Außerdem brachten sie noch mehrere weibliche Stellvertreter
durch. Von diesen Sitzen hat die Sozialdemokratie 1 im Volksthing und 1 im Landsthing
besetzt, die radikale Linkspartei dieselbe Zahl, die gemäßigte Linke 3 im Landsthing, die
konservative Volkspartei 2 im Volksthing. Zur Beurteilung der Sachlage muß in Betracht
gezogen werden, daß die Sozialdemokratie und die Radikalen Regierungspartei sind.

Diese beiden Beispiele lassen sich zuerst im allgemeinen vergleichen. Die politische
Schulung der Frauen, die Mitarbeit in Kommunen und Parteien dürfte in beiden Ländern
etwa gleich stehen. Beide haben eine starke Frauenstimmrechtsbewegung, beide die Agitations-
möglichkeit des Kleinstaats. Bezeichnend: in dem Staat des aktiven Wahlrechts 9 Sitze, die
sich annähernd dem Parteiverhältnis (das sich in Dänemark durch die Neuwahlen überhaupt
nicht verschoben hat) entsprechend verteilen. Jm Land des passiven Wahlrechts: eine Sozial-
demokratin.

Wie ist der Mißerfolg in Holland zu erklären? Er bestätigte nach meinem Eindruck
genau das, was wir immer gegen ein passives ohne aktives Wahlrecht eingewandt haben:
es ist kein Mittel, um geeignete Frauen in die Volksvertretung zu bringen. Jch weiß nicht,
welche Grundlagen die Kölnische Zeitung für ihre Behauptung hat, daß die Parteien
ungeeignete Kandidatinnen aufgestellt haben. Wenn daran etwas Richtiges sein sollte, so

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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-09T13:59:41Z)

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Eine Stichprobe auf das passive Frauenwahlrecht. In: Die Frau (1918), S. 353–354, hier S. [353]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_stichprobe_1918/1>, abgerufen am 24.04.2024.