Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Fräulein von Sternheim
an
Emilia.

O meine Emilia! wie nöthig ist mir ei-
ne erquickende Unterhaltung mit einer zärt-
lichen und tugendhaften Freundin!

Wissen Sie, daß ich den Tag, an dem
ich mich zu der Reise nach D. bereden ließ,
für einen unglücklichen Tag ansehe. Jch
bin ganz aus dem Kreise gezogen worden,
den ich mit einer so seligen Ruhe und Zu-
friedenheit durchgieng. Jch bin hier
Niemanden, am wenigsten mir selbst,
nütze; das Beste, was ich denke und em-
pfinde, darf ich nicht sagen, weil man
mich lächerlich-ernsthaft findet; und
so viel Mühe ich mir gebe, aus Gefällig-
keit gegen die Personen, bey denen ich bin,
ihre Sprache zu reden, so ist doch meine
Tante selten mit mir zufrieden, und ich,
Emilia, noch seltner mit ihr. Jch bin
nicht eigensinnig, mein Kind, in Wahr-
heit ich bin es nicht; ich fodere nicht, daß
jemand hier denken solle, wie ich; ich sehe

zu
Das Fraͤulein von Sternheim
an
Emilia.

O meine Emilia! wie noͤthig iſt mir ei-
ne erquickende Unterhaltung mit einer zaͤrt-
lichen und tugendhaften Freundin!

Wiſſen Sie, daß ich den Tag, an dem
ich mich zu der Reiſe nach D. bereden ließ,
fuͤr einen ungluͤcklichen Tag anſehe. Jch
bin ganz aus dem Kreiſe gezogen worden,
den ich mit einer ſo ſeligen Ruhe und Zu-
friedenheit durchgieng. Jch bin hier
Niemanden, am wenigſten mir ſelbſt,
nuͤtze; das Beſte, was ich denke und em-
pfinde, darf ich nicht ſagen, weil man
mich laͤcherlich-ernſthaft findet; und
ſo viel Muͤhe ich mir gebe, aus Gefaͤllig-
keit gegen die Perſonen, bey denen ich bin,
ihre Sprache zu reden, ſo iſt doch meine
Tante ſelten mit mir zufrieden, und ich,
Emilia, noch ſeltner mit ihr. Jch bin
nicht eigenſinnig, mein Kind, in Wahr-
heit ich bin es nicht; ich fodere nicht, daß
jemand hier denken ſolle, wie ich; ich ſehe

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0182" n="156"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Das Fra&#x0364;ulein von Sternheim</hi><lb/>
an<lb/><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Emilia.</hi></hi></head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">O</hi> meine Emilia! wie no&#x0364;thig i&#x017F;t mir ei-<lb/>
ne erquickende Unterhaltung mit einer za&#x0364;rt-<lb/>
lichen und tugendhaften Freundin!</p><lb/>
          <p>Wi&#x017F;&#x017F;en Sie, daß ich den Tag, an dem<lb/>
ich mich zu der Rei&#x017F;e nach D. bereden ließ,<lb/>
fu&#x0364;r einen unglu&#x0364;cklichen Tag an&#x017F;ehe. Jch<lb/>
bin ganz aus dem Krei&#x017F;e gezogen worden,<lb/>
den ich mit einer &#x017F;o &#x017F;eligen Ruhe und Zu-<lb/>
friedenheit durchgieng. Jch bin hier<lb/>
Niemanden, am wenig&#x017F;ten mir &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
nu&#x0364;tze; das Be&#x017F;te, was ich denke und em-<lb/>
pfinde, darf ich nicht &#x017F;agen, weil man<lb/>
mich <hi rendition="#fr">la&#x0364;cherlich-ern&#x017F;thaft</hi> findet; und<lb/>
&#x017F;o viel Mu&#x0364;he ich mir gebe, aus Gefa&#x0364;llig-<lb/>
keit gegen die Per&#x017F;onen, bey denen ich bin,<lb/>
ihre Sprache zu reden, &#x017F;o i&#x017F;t doch meine<lb/>
Tante &#x017F;elten mit mir zufrieden, und ich,<lb/>
Emilia, noch &#x017F;eltner mit ihr. Jch bin<lb/>
nicht eigen&#x017F;innig, mein Kind, in Wahr-<lb/>
heit ich bin es nicht; ich fodere nicht, daß<lb/>
jemand hier denken &#x017F;olle, wie ich; ich &#x017F;ehe<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0182] Das Fraͤulein von Sternheim an Emilia. O meine Emilia! wie noͤthig iſt mir ei- ne erquickende Unterhaltung mit einer zaͤrt- lichen und tugendhaften Freundin! Wiſſen Sie, daß ich den Tag, an dem ich mich zu der Reiſe nach D. bereden ließ, fuͤr einen ungluͤcklichen Tag anſehe. Jch bin ganz aus dem Kreiſe gezogen worden, den ich mit einer ſo ſeligen Ruhe und Zu- friedenheit durchgieng. Jch bin hier Niemanden, am wenigſten mir ſelbſt, nuͤtze; das Beſte, was ich denke und em- pfinde, darf ich nicht ſagen, weil man mich laͤcherlich-ernſthaft findet; und ſo viel Muͤhe ich mir gebe, aus Gefaͤllig- keit gegen die Perſonen, bey denen ich bin, ihre Sprache zu reden, ſo iſt doch meine Tante ſelten mit mir zufrieden, und ich, Emilia, noch ſeltner mit ihr. Jch bin nicht eigenſinnig, mein Kind, in Wahr- heit ich bin es nicht; ich fodere nicht, daß jemand hier denken ſolle, wie ich; ich ſehe zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/182
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/182>, abgerufen am 29.03.2024.