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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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das Leben ist aphoristisch. Ich ließ mein weiches Herz
gewähren und ging zu ihr, und fragte sie was ihr fehle.
Sie wollte nicht mit der Sprache heraus, und war ver¬
legen. Ich ging mit ihr nach Hause; heut' ließ sie's
ruhig zu -- es sah etwas windig und leer in ihrer
Stube aus, und das Mädchen war auch etwas saloppe
gekleidet. Ich machte sie darauf aufmerksam -- da
weinte sie. Ich fragte, wie es um ihr Engagement
stünde, sie meinte, erst mit dem ersten August könnte
sie eintreten. Es ward mir unheimlich; ich fragte nicht
nach ihrem Gardeofficier, sondern nur, wie viel sie des
Monats brauche. Sie wollte mir schluchzend vor Rüh¬
rung um den Hals fallen, und mich einen edlen Men¬
schen nennen -- ich ließ sie aber nicht dazu kommen.
Das Mädchen konnte nicht dafür, daß ihr ein Andrer
besser gefallen hatte; ich konnte aber auch nicht dafür,
daß ich nicht mehr eine Fingerspitze von ihr hätte be¬
rühren mögen. Hübsch war sie noch, aber ich ging in
innerer Unbehaglichkeit fort und trank eine Flasche Cham¬
pagner, um mich auf andre Gedanken zu bringen. Wie
kam denn das Alles?

"Warum wollt Ihr denn Alles gleich ergründen?
Wenn der Schnee schmilzt, wird sichs finden."

das Leben iſt aphoriſtiſch. Ich ließ mein weiches Herz
gewähren und ging zu ihr, und fragte ſie was ihr fehle.
Sie wollte nicht mit der Sprache heraus, und war ver¬
legen. Ich ging mit ihr nach Hauſe; heut' ließ ſie's
ruhig zu — es ſah etwas windig und leer in ihrer
Stube aus, und das Mädchen war auch etwas saloppe
gekleidet. Ich machte ſie darauf aufmerkſam — da
weinte ſie. Ich fragte, wie es um ihr Engagement
ſtünde, ſie meinte, erſt mit dem erſten Auguſt könnte
ſie eintreten. Es ward mir unheimlich; ich fragte nicht
nach ihrem Gardeofficier, ſondern nur, wie viel ſie des
Monats brauche. Sie wollte mir ſchluchzend vor Rüh¬
rung um den Hals fallen, und mich einen edlen Men¬
ſchen nennen — ich ließ ſie aber nicht dazu kommen.
Das Mädchen konnte nicht dafür, daß ihr ein Andrer
beſſer gefallen hatte; ich konnte aber auch nicht dafür,
daß ich nicht mehr eine Fingerſpitze von ihr hätte be¬
rühren mögen. Hübſch war ſie noch, aber ich ging in
innerer Unbehaglichkeit fort und trank eine Flaſche Cham¬
pagner, um mich auf andre Gedanken zu bringen. Wie
kam denn das Alles?

„Warum wollt Ihr denn Alles gleich ergründen?
Wenn der Schnee ſchmilzt, wird ſichs finden.“
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[162/0172] das Leben iſt aphoriſtiſch. Ich ließ mein weiches Herz gewähren und ging zu ihr, und fragte ſie was ihr fehle. Sie wollte nicht mit der Sprache heraus, und war ver¬ legen. Ich ging mit ihr nach Hauſe; heut' ließ ſie's ruhig zu — es ſah etwas windig und leer in ihrer Stube aus, und das Mädchen war auch etwas saloppe gekleidet. Ich machte ſie darauf aufmerkſam — da weinte ſie. Ich fragte, wie es um ihr Engagement ſtünde, ſie meinte, erſt mit dem erſten Auguſt könnte ſie eintreten. Es ward mir unheimlich; ich fragte nicht nach ihrem Gardeofficier, ſondern nur, wie viel ſie des Monats brauche. Sie wollte mir ſchluchzend vor Rüh¬ rung um den Hals fallen, und mich einen edlen Men¬ ſchen nennen — ich ließ ſie aber nicht dazu kommen. Das Mädchen konnte nicht dafür, daß ihr ein Andrer beſſer gefallen hatte; ich konnte aber auch nicht dafür, daß ich nicht mehr eine Fingerſpitze von ihr hätte be¬ rühren mögen. Hübſch war ſie noch, aber ich ging in innerer Unbehaglichkeit fort und trank eine Flaſche Cham¬ pagner, um mich auf andre Gedanken zu bringen. Wie kam denn das Alles? „Warum wollt Ihr denn Alles gleich ergründen? Wenn der Schnee ſchmilzt, wird ſichs finden.“

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/172>, abgerufen am 29.03.2024.