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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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"Aber der Morgen kommt -- Ade, -- Ade." -- Ich
kehrte auf dem alten Wege zurück, und ging hinein
ins erwachende Land und sang mit den Lerchen die
Schönheit der Welt -- das Gedächtniß und die Erin¬
nerung, so oft die Gefängnißwärter unserer Leiden, sind
rosenrothe Bänder, die um Schläfe und Augen flattern,
wenn wir Freuden gesehn. -- --

-- Ich ward auf eine wunderliche Weise gestört:
die Wogen der Vergangenheit bedeckten mein Gesicht und
Auge, ich sah über die Terasse hinaus in die Wolken
hinein und war weitsichtig; denn ich bemerkte es nicht,
daß die beiden jungen Damen von hier, Alberta und
Camilla, schon lang an meiner Glasthür standen und
mich lächend ansahen. Einen Augenblick war ich in
Verlegenheit, als sie mich scherzend aufschreckten, weil
ich nicht wußte, ob ich meine Wolkenschrift laut gelesen
hätte oder nicht.

Und doch that es mir unendlich wohl, Weiber
um mich zu haben -- das Weib empfindet Liebesleid
um so viel besser als der Mann, wie der Mann die
Kriegsgeschichten besser lies't als das Weib. Die Liebe
ist der Frauen Brotwissenschaft und sie haben den Vor¬

„Aber der Morgen kommt — Ade, — Ade.“ — Ich
kehrte auf dem alten Wege zurück, und ging hinein
ins erwachende Land und ſang mit den Lerchen die
Schönheit der Welt — das Gedächtniß und die Erin¬
nerung, ſo oft die Gefängnißwärter unſerer Leiden, ſind
roſenrothe Bänder, die um Schläfe und Augen flattern,
wenn wir Freuden geſehn. — —

— Ich ward auf eine wunderliche Weiſe geſtört:
die Wogen der Vergangenheit bedeckten mein Geſicht und
Auge, ich ſah über die Teraſſe hinaus in die Wolken
hinein und war weitſichtig; denn ich bemerkte es nicht,
daß die beiden jungen Damen von hier, Alberta und
Camilla, ſchon lang an meiner Glasthür ſtanden und
mich lächend anſahen. Einen Augenblick war ich in
Verlegenheit, als ſie mich ſcherzend aufſchreckten, weil
ich nicht wußte, ob ich meine Wolkenſchrift laut geleſen
hätte oder nicht.

Und doch that es mir unendlich wohl, Weiber
um mich zu haben — das Weib empfindet Liebesleid
um ſo viel beſſer als der Mann, wie der Mann die
Kriegsgeſchichten beſſer lieſ't als das Weib. Die Liebe
iſt der Frauen Brotwiſſenſchaft und ſie haben den Vor¬

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[68/0078] „Aber der Morgen kommt — Ade, — Ade.“ — Ich kehrte auf dem alten Wege zurück, und ging hinein ins erwachende Land und ſang mit den Lerchen die Schönheit der Welt — das Gedächtniß und die Erin¬ nerung, ſo oft die Gefängnißwärter unſerer Leiden, ſind roſenrothe Bänder, die um Schläfe und Augen flattern, wenn wir Freuden geſehn. — — In der Nacht. — Ich ward auf eine wunderliche Weiſe geſtört: die Wogen der Vergangenheit bedeckten mein Geſicht und Auge, ich ſah über die Teraſſe hinaus in die Wolken hinein und war weitſichtig; denn ich bemerkte es nicht, daß die beiden jungen Damen von hier, Alberta und Camilla, ſchon lang an meiner Glasthür ſtanden und mich lächend anſahen. Einen Augenblick war ich in Verlegenheit, als ſie mich ſcherzend aufſchreckten, weil ich nicht wußte, ob ich meine Wolkenſchrift laut geleſen hätte oder nicht. Und doch that es mir unendlich wohl, Weiber um mich zu haben — das Weib empfindet Liebesleid um ſo viel beſſer als der Mann, wie der Mann die Kriegsgeſchichten beſſer lieſ't als das Weib. Die Liebe iſt der Frauen Brotwiſſenſchaft und ſie haben den Vor¬

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/78>, abgerufen am 19.04.2024.