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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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I. Abschnitt. V. Fragment.

Und nun noch ein Wort an dich beweglicher und reizbarer Jüngling! O halt' an dich und
harre, und eile nicht zu schnell hin in die Arme des Ungeprüften! Leicht kann dich ein Schimmer von
Sympathie und Aehnlichkeit triegen! Jemand ist da für dich, der am nächsten an deine Seele gränzt!
Harre, du wirst ihn finden zur bestimmten Stunde -- und hast du ihn gefunden -- er wird dich
tragen und heben, wird dir nehmen und geben, was du nehmen und geben kannst. Seiner Augen
Feuer wird dem deinigen Nahrung seyn, und seine sanfte Stimme deine schnellere im Zaume halten.
Seine Liebe wird sich über dein Angesicht ausgießen -- und er wird in dir geahndet werden. Du
wirst werden, was er ist -- und dennoch bleiben, was du bist -- Die Liebe macht dir an ihm sichtbar,
was nie keinem unliebenden Auge erscheinen kann. Diese Fähigkeit, das Göttliche in ihm zu bemer-
ken, zu fühlen -- diese selbst ists, die dein Gesicht nach und nach dem seinigen verähnlicht!

Diese Lehre wär' unendlich fruchtbar. Jch bin außer Stande, sie itzt weiter auszuführen --
nur zum Beschlusse noch zween göttliche Aussprüche, die unsern Grundsatz auf die erhabenste Ver-
ähnlichung anwenden. Wir, die wir mit unverhülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn
schauen -- werden in eben dasselbe herrliche Bild verwandelt. -- Wir werden ihm gleich
seyn, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.
2. Cor. III. 1. Joh. III.

Beylage.
Zwey Profilumrisse.
[Abbildung]
1) Gesicht
I. Abſchnitt. V. Fragment.

Und nun noch ein Wort an dich beweglicher und reizbarer Juͤngling! O halt’ an dich und
harre, und eile nicht zu ſchnell hin in die Arme des Ungepruͤften! Leicht kann dich ein Schimmer von
Sympathie und Aehnlichkeit triegen! Jemand iſt da fuͤr dich, der am naͤchſten an deine Seele graͤnzt!
Harre, du wirſt ihn finden zur beſtimmten Stunde — und haſt du ihn gefunden — er wird dich
tragen und heben, wird dir nehmen und geben, was du nehmen und geben kannſt. Seiner Augen
Feuer wird dem deinigen Nahrung ſeyn, und ſeine ſanfte Stimme deine ſchnellere im Zaume halten.
Seine Liebe wird ſich uͤber dein Angeſicht ausgießen — und er wird in dir geahndet werden. Du
wirſt werden, was er iſt — und dennoch bleiben, was du biſt — Die Liebe macht dir an ihm ſichtbar,
was nie keinem unliebenden Auge erſcheinen kann. Dieſe Faͤhigkeit, das Goͤttliche in ihm zu bemer-
ken, zu fuͤhlen — dieſe ſelbſt iſts, die dein Geſicht nach und nach dem ſeinigen veraͤhnlicht!

Dieſe Lehre waͤr’ unendlich fruchtbar. Jch bin außer Stande, ſie itzt weiter auszufuͤhren —
nur zum Beſchluſſe noch zween goͤttliche Ausſpruͤche, die unſern Grundſatz auf die erhabenſte Ver-
aͤhnlichung anwenden. Wir, die wir mit unverhuͤlltem Angeſicht die Herrlichkeit des Herrn
ſchauen — werden in eben daſſelbe herrliche Bild verwandelt. — Wir werden ihm gleich
ſeyn, denn wir werden ihn ſehen, wie er iſt.
2. Cor. III. 1. Joh. III.

Beylage.
Zwey Profilumriſſe.
[Abbildung]
1) Geſicht
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[62/0088] I. Abſchnitt. V. Fragment. Und nun noch ein Wort an dich beweglicher und reizbarer Juͤngling! O halt’ an dich und harre, und eile nicht zu ſchnell hin in die Arme des Ungepruͤften! Leicht kann dich ein Schimmer von Sympathie und Aehnlichkeit triegen! Jemand iſt da fuͤr dich, der am naͤchſten an deine Seele graͤnzt! Harre, du wirſt ihn finden zur beſtimmten Stunde — und haſt du ihn gefunden — er wird dich tragen und heben, wird dir nehmen und geben, was du nehmen und geben kannſt. Seiner Augen Feuer wird dem deinigen Nahrung ſeyn, und ſeine ſanfte Stimme deine ſchnellere im Zaume halten. Seine Liebe wird ſich uͤber dein Angeſicht ausgießen — und er wird in dir geahndet werden. Du wirſt werden, was er iſt — und dennoch bleiben, was du biſt — Die Liebe macht dir an ihm ſichtbar, was nie keinem unliebenden Auge erſcheinen kann. Dieſe Faͤhigkeit, das Goͤttliche in ihm zu bemer- ken, zu fuͤhlen — dieſe ſelbſt iſts, die dein Geſicht nach und nach dem ſeinigen veraͤhnlicht! Dieſe Lehre waͤr’ unendlich fruchtbar. Jch bin außer Stande, ſie itzt weiter auszufuͤhren — nur zum Beſchluſſe noch zween goͤttliche Ausſpruͤche, die unſern Grundſatz auf die erhabenſte Ver- aͤhnlichung anwenden. Wir, die wir mit unverhuͤlltem Angeſicht die Herrlichkeit des Herrn ſchauen — werden in eben daſſelbe herrliche Bild verwandelt. — Wir werden ihm gleich ſeyn, denn wir werden ihn ſehen, wie er iſt. 2. Cor. III. 1. Joh. III. Beylage. Zwey Profilumriſſe. [Abbildung] 1) Geſicht

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/88>, abgerufen am 28.03.2024.