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Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.

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An Mathilde.

Schon verrauscht der Tag, und des Abends sanftere Seele
Fließt wie süße Musik sänftigend uns in die Brust.
Horch, Mathilde, wie leise der West durch Blüthen da¬
hinseufzt,
Leiser noch weht sein Hauch, kost er um deine Gestalt.
Sieh, die Biene, sie wandelt von Blume zu Blume geschäftig,
Süße Bereicherung lockt weiter die Summende stets;
Also wandelt die Seele dereinst von Blume zu Blume,
Welche zum strahlenden Kranz sich der Unendliche wand,
Wandelt die Seele dereinst von Welten weiter zu Welten,
Näher dem liebenden Gott, liebender, göttlicher stets.
Aber die Wechselgestalten des Lebens, sie theilen nicht alle
Gleich der Unsterblichkeit Loos, wenn uns der Ewige winkt;
Nur das Schönste des Lebens, worin der Himmel uns
kund wird,
Nimmt die Seele mit fort, schwingt sie den Sternen
sich zu.
Doch die trüben Gestalten verhüllt Nacht, ewige Nacht
dann.
Lenau's Gedichte. 8
An Mathilde.

Schon verrauſcht der Tag, und des Abends ſanftere Seele
Fließt wie ſuͤße Muſik ſaͤnftigend uns in die Bruſt.
Horch, Mathilde, wie leiſe der Weſt durch Bluͤthen da¬
hinſeufzt,
Leiſer noch weht ſein Hauch, kost er um deine Geſtalt.
Sieh, die Biene, ſie wandelt von Blume zu Blume geſchaͤftig,
Suͤße Bereicherung lockt weiter die Summende ſtets;
Alſo wandelt die Seele dereinſt von Blume zu Blume,
Welche zum ſtrahlenden Kranz ſich der Unendliche wand,
Wandelt die Seele dereinſt von Welten weiter zu Welten,
Naͤher dem liebenden Gott, liebender, goͤttlicher ſtets.
Aber die Wechſelgeſtalten des Lebens, ſie theilen nicht alle
Gleich der Unſterblichkeit Loos, wenn uns der Ewige winkt;
Nur das Schoͤnſte des Lebens, worin der Himmel uns
kund wird,
Nimmt die Seele mit fort, ſchwingt ſie den Sternen
ſich zu.
Doch die truͤben Geſtalten verhuͤllt Nacht, ewige Nacht
dann.
Lenau's Gedichte. 8
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[113/0127] An Mathilde. Schon verrauſcht der Tag, und des Abends ſanftere Seele Fließt wie ſuͤße Muſik ſaͤnftigend uns in die Bruſt. Horch, Mathilde, wie leiſe der Weſt durch Bluͤthen da¬ hinſeufzt, Leiſer noch weht ſein Hauch, kost er um deine Geſtalt. Sieh, die Biene, ſie wandelt von Blume zu Blume geſchaͤftig, Suͤße Bereicherung lockt weiter die Summende ſtets; Alſo wandelt die Seele dereinſt von Blume zu Blume, Welche zum ſtrahlenden Kranz ſich der Unendliche wand, Wandelt die Seele dereinſt von Welten weiter zu Welten, Naͤher dem liebenden Gott, liebender, goͤttlicher ſtets. Aber die Wechſelgeſtalten des Lebens, ſie theilen nicht alle Gleich der Unſterblichkeit Loos, wenn uns der Ewige winkt; Nur das Schoͤnſte des Lebens, worin der Himmel uns kund wird, Nimmt die Seele mit fort, ſchwingt ſie den Sternen ſich zu. Doch die truͤben Geſtalten verhuͤllt Nacht, ewige Nacht dann. Lenau's Gedichte. 8

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Zitationshilfe: Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/127>, abgerufen am 28.03.2024.