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Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

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a. Declination der Nomina.
dass dasselbe dem Zusatze -sma- angehört. Die so bei den nominalen a-stämmen
eingetretene Scheidung der beiden Casus wäre dann erst im Zend und Italischen
zur Perfection gekommen, indem die Ablativform auf die anderen Stammclassen
ausgedehnt wurde. Dabei blieben immer noch Fragen unbeantwortet: wie
kommt es, dass die msc.-ntr. a-stämme einen andern gen.-abl. hatten, als die
übrigen, und dass nur beim Pronomen die Functionen von Ablativ und Genitiv
ursprünglich geschieden waren? Die Frage lässt sich nicht beantworten, so wenig
wie für den Umstand, dass wir für den instr. sg. zwei in ihrer Function nicht
verschiedene oder besser gesagt nicht mehr unterscheidbare Casussuffixe -a und
-bhi finden, die wenigstens im Slavisch-litauischen beide vorkommen (a auf die
femininalen a-stämme beschränkt) eine Erklärung gefunden ist, ausser der über-
all passenden, dass eben für den ältesten Zustand der Sprache die Zahl der Casus-
suffixe eine grössere war.

Ich betone, dass ich auf die vorgetragene Hypothese nicht viel gebe, aber es
kommt mir gerade darauf an, die gegebenen Möglichkeiten zu erschöpfen, und
eine Möglichkeit bleibt es, dass das Slavisch-litauische den gen. auf -sja beim
Nomen nie besessen hat. Das war aber hier um so mehr hervorzuheben, weil
davon das Verhältniss dieser Gruppe zu den anderen indogermanischen berührt
wird: um nur eins hier auszusprechen, dass Slavisch-litauische hätte in diesem
Falle einen primitiveren Zustand bewahrt, als alle anderen indogermanischen
Sprachen, wenn man von den italischen und keltischen Sprachen absieht, das
muss man aber wegen der Unklarheit der Genitivformen in diesen auf alle Fälle.
Im Italischen ist ohne die grösste Willkür keine Spur des -sja nachweisbar, aber
die hier in Betracht kommenden Genitivformen der msc. a-stämme wie die pro-
nominalen Genitive scheinen mir ganz unursprüngliche, speciell italische Bil-
dungen zu sein. Alles, was die vergleichenden Grammatiker darüber vorgebracht
haben, kann nur als ein Versuch angesehen werden, Grundformen zu finden und
mit Grundformen zu operiren, die keine Gewähr haben.

Es wäre hier vielleicht der Ort, über die etwaigen germanischen Ablative,
die in den Adverbien auf -o vermuthet sind, zu reden. Die Entscheidung über
diese schwierigen Formen lässt sich aber nur durch eine Untersuchung der ger-
manischen Adverbialbildung überhaupt erlangen, auf die ich hier verzichten
muss, weil sie zu weit in die Stammbildung hineinführen würde. Ein Bedenken
gegen die Auffassung jener Adverbia als Ablativa auf -at bildet das Auslauts-
gesetz, wenigstens in seiner bisher anerkannten Fassung. Wenn durch das con-
sonantische Auslautsgesetz das t beseitigt war, kann für a nach Wirkung des
vocalischen Auslautsgesetzes nur a erwartet werden.

b) fem. a-stämme.

Alle europäisch-indogermanischen Sprachen, wenn man die unklare Form
des Keltischen bei Seite lässt, geben uns Belege für den Auslaut dieser Form als
-as: griech. -as, -es, lat. osk. umbr. -as, germ. -as (daher got. -os und alle
Formen der einzelnen germanischen Sprachen), lit. -as (preuss. -as = as, lett.
-as = as, lit. -os); das Slavische hat die Form verloren und anderweitig ersetzt,

a. Declination der Nomina.
dass dasselbe dem Zusatze -sma- angehört. Die so bei den nominalen a-stämmen
eingetretene Scheidung der beiden Casus wäre dann erst im Zend und Italischen
zur Perfection gekommen, indem die Ablativform auf die anderen Stammclassen
ausgedehnt wurde. Dabei blieben immer noch Fragen unbeantwortet: wie
kommt es, dass die msc.-ntr. a-stämme einen andern gen.-abl. hatten, als die
übrigen, und dass nur beim Pronomen die Functionen von Ablativ und Genitiv
ursprünglich geschieden waren? Die Frage lässt sich nicht beantworten, so wenig
wie für den Umstand, dass wir für den instr. sg. zwei in ihrer Function nicht
verschiedene oder besser gesagt nicht mehr unterscheidbare Casussuffixe -ā und
-bhi finden, die wenigstens im Slavisch-litauischen beide vorkommen (ā auf die
femininalen ā-stämme beschränkt) eine Erklärung gefunden ist, ausser der über-
all passenden, dass eben für den ältesten Zustand der Sprache die Zahl der Casus-
suffixe eine grössere war.

Ich betone, dass ich auf die vorgetragene Hypothese nicht viel gebe, aber es
kommt mir gerade darauf an, die gegebenen Möglichkeiten zu erschöpfen, und
eine Möglichkeit bleibt es, dass das Slavisch-litauische den gen. auf -sja beim
Nomen nie besessen hat. Das war aber hier um so mehr hervorzuheben, weil
davon das Verhältniss dieser Gruppe zu den anderen indogermanischen berührt
wird: um nur eins hier auszusprechen, dass Slavisch-litauische hätte in diesem
Falle einen primitiveren Zustand bewahrt, als alle anderen indogermanischen
Sprachen, wenn man von den italischen und keltischen Sprachen absieht, das
muss man aber wegen der Unklarheit der Genitivformen in diesen auf alle Fälle.
Im Italischen ist ohne die grösste Willkür keine Spur des -sja nachweisbar, aber
die hier in Betracht kommenden Genitivformen der msc. a-stämme wie die pro-
nominalen Genitive scheinen mir ganz unursprüngliche, speciell italische Bil-
dungen zu sein. Alles, was die vergleichenden Grammatiker darüber vorgebracht
haben, kann nur als ein Versuch angesehen werden, Grundformen zu finden und
mit Grundformen zu operiren, die keine Gewähr haben.

Es wäre hier vielleicht der Ort, über die etwaigen germanischen Ablative,
die in den Adverbien auf -ō vermuthet sind, zu reden. Die Entscheidung über
diese schwierigen Formen lässt sich aber nur durch eine Untersuchung der ger-
manischen Adverbialbildung überhaupt erlangen, auf die ich hier verzichten
muss, weil sie zu weit in die Stammbildung hineinführen würde. Ein Bedenken
gegen die Auffassung jener Adverbia als Ablativa auf -āt bildet das Auslauts-
gesetz, wenigstens in seiner bisher anerkannten Fassung. Wenn durch das con-
sonantische Auslautsgesetz das t beseitigt war, kann für ā nach Wirkung des
vocalischen Auslautsgesetzes nur ă erwartet werden.

b) fem. ā-stämme.

Alle europäisch-indogermanischen Sprachen, wenn man die unklare Form
des Keltischen bei Seite lässt, geben uns Belege für den Auslaut dieser Form als
-ās: griech. -āς, -ης, lat. osk. umbr. -ās, germ. -ās (daher got. -ōs und alle
Formen der einzelnen germanischen Sprachen), lit. -ās (preuss. -as = ās, lett.
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[38/0074] a. Declination der Nomina. dass dasselbe dem Zusatze -sma- angehört. Die so bei den nominalen a-stämmen eingetretene Scheidung der beiden Casus wäre dann erst im Zend und Italischen zur Perfection gekommen, indem die Ablativform auf die anderen Stammclassen ausgedehnt wurde. Dabei blieben immer noch Fragen unbeantwortet: wie kommt es, dass die msc.-ntr. a-stämme einen andern gen.-abl. hatten, als die übrigen, und dass nur beim Pronomen die Functionen von Ablativ und Genitiv ursprünglich geschieden waren? Die Frage lässt sich nicht beantworten, so wenig wie für den Umstand, dass wir für den instr. sg. zwei in ihrer Function nicht verschiedene oder besser gesagt nicht mehr unterscheidbare Casussuffixe -ā und -bhi finden, die wenigstens im Slavisch-litauischen beide vorkommen (ā auf die femininalen ā-stämme beschränkt) eine Erklärung gefunden ist, ausser der über- all passenden, dass eben für den ältesten Zustand der Sprache die Zahl der Casus- suffixe eine grössere war. Ich betone, dass ich auf die vorgetragene Hypothese nicht viel gebe, aber es kommt mir gerade darauf an, die gegebenen Möglichkeiten zu erschöpfen, und eine Möglichkeit bleibt es, dass das Slavisch-litauische den gen. auf -sja beim Nomen nie besessen hat. Das war aber hier um so mehr hervorzuheben, weil davon das Verhältniss dieser Gruppe zu den anderen indogermanischen berührt wird: um nur eins hier auszusprechen, dass Slavisch-litauische hätte in diesem Falle einen primitiveren Zustand bewahrt, als alle anderen indogermanischen Sprachen, wenn man von den italischen und keltischen Sprachen absieht, das muss man aber wegen der Unklarheit der Genitivformen in diesen auf alle Fälle. Im Italischen ist ohne die grösste Willkür keine Spur des -sja nachweisbar, aber die hier in Betracht kommenden Genitivformen der msc. a-stämme wie die pro- nominalen Genitive scheinen mir ganz unursprüngliche, speciell italische Bil- dungen zu sein. Alles, was die vergleichenden Grammatiker darüber vorgebracht haben, kann nur als ein Versuch angesehen werden, Grundformen zu finden und mit Grundformen zu operiren, die keine Gewähr haben. Es wäre hier vielleicht der Ort, über die etwaigen germanischen Ablative, die in den Adverbien auf -ō vermuthet sind, zu reden. Die Entscheidung über diese schwierigen Formen lässt sich aber nur durch eine Untersuchung der ger- manischen Adverbialbildung überhaupt erlangen, auf die ich hier verzichten muss, weil sie zu weit in die Stammbildung hineinführen würde. Ein Bedenken gegen die Auffassung jener Adverbia als Ablativa auf -āt bildet das Auslauts- gesetz, wenigstens in seiner bisher anerkannten Fassung. Wenn durch das con- sonantische Auslautsgesetz das t beseitigt war, kann für ā nach Wirkung des vocalischen Auslautsgesetzes nur ă erwartet werden. b) fem. ā-stämme. Alle europäisch-indogermanischen Sprachen, wenn man die unklare Form des Keltischen bei Seite lässt, geben uns Belege für den Auslaut dieser Form als -ās: griech. -āς, -ης, lat. osk. umbr. -ās, germ. -ās (daher got. -ōs und alle Formen der einzelnen germanischen Sprachen), lit. -ās (preuss. -as = ās, lett. -as = ās, lit. -ōs); das Slavische hat die Form verloren und anderweitig ersetzt,

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Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/74>, abgerufen am 29.03.2024.