Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsrecht und Landesrecht. §. 11.
3. Geltungsgebiet der deutschen Reichsstrafgesetze.
§. 11.
Geltungsgebiet des Reichsrechtes gegenüber dem Landes-
rechte.
1

I. Nach Art. 2 der Reichsverfassung übt das Reich das
Recht der Gesetzgebung nach Maßgabe des Inhaltes der
Verfassung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsge-
setze den Landesgesetzen vorgehen
. Die Landesgesetz-
gebung darf zu den Anordnungen der Reichsgesetzgebung,
mögen diese ausdrücklich oder stillschweigend gegeben sein,
nicht in Widerspruch treten; thut sie es dennoch, so sind
ihre angeblichen Imperative ohne imperative Kraft, sie sind
nicht
Gesetz. Es ist daher einerseits die bisherige Lan-
desgesetzgebung beseitigt, soweit die Sätze des Reichsrechtes
mit ihr in Widerspruch stehen, ohne daß es einer ausdrück-
lichen Aufhebung bedürfte; und es ist auch die künftige Lan-
desgesetzgebung andrerseits unter derselben Voraussetzung
und in demselben Umfange wirkungslos.

Widerspruch ist aber nur möglich, wenn und soweit die
Reichsgesetzgebung Anordnungen getroffen hat; wo sie es
nicht gethan hat, ist auch die Möglichkeit einer Kollision aus-
geschlossen. Daher können wir den Grundsatz der Reichs-
verfassung auch so ausdrücken: In den von der Reichs-
gesetzgebung
-- sei es ausdrücklich, sei es stillschweigend --
geregelten Materien2 ist die Thätigkeit der Lan-
desgesetzgebung ausgeschlossen
. In diesem Satze

1 [Spaltenumbruch] Vgl. insbesondere Heinze
staatsrechtliche und strafrechtliche
Erörterungen 1870. Weitere[Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grundriß
S. 43.
2 [Spaltenumbruch] Vgl. EG. z. StGB. §§. 2 u. 5.
Reichsrecht und Landesrecht. §. 11.
3. Geltungsgebiet der deutſchen Reichsſtrafgeſetze.
§. 11.
Geltungsgebiet des Reichsrechtes gegenüber dem Landes-
rechte.
1

I. Nach Art. 2 der Reichsverfaſſung übt das Reich das
Recht der Geſetzgebung nach Maßgabe des Inhaltes der
Verfaſſung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsge-
ſetze den Landesgeſetzen vorgehen
. Die Landesgeſetz-
gebung darf zu den Anordnungen der Reichsgeſetzgebung,
mögen dieſe ausdrücklich oder ſtillſchweigend gegeben ſein,
nicht in Widerſpruch treten; thut ſie es dennoch, ſo ſind
ihre angeblichen Imperative ohne imperative Kraft, ſie ſind
nicht
Geſetz. Es iſt daher einerſeits die bisherige Lan-
desgeſetzgebung beſeitigt, ſoweit die Sätze des Reichsrechtes
mit ihr in Widerſpruch ſtehen, ohne daß es einer ausdrück-
lichen Aufhebung bedürfte; und es iſt auch die künftige Lan-
desgeſetzgebung andrerſeits unter derſelben Vorausſetzung
und in demſelben Umfange wirkungslos.

Widerſpruch iſt aber nur möglich, wenn und ſoweit die
Reichsgeſetzgebung Anordnungen getroffen hat; wo ſie es
nicht gethan hat, iſt auch die Möglichkeit einer Kolliſion aus-
geſchloſſen. Daher können wir den Grundſatz der Reichs-
verfaſſung auch ſo ausdrücken: In den von der Reichs-
geſetzgebung
— ſei es ausdrücklich, ſei es ſtillſchweigend —
geregelten Materien2 iſt die Thätigkeit der Lan-
desgeſetzgebung ausgeſchloſſen
. In dieſem Satze

1 [Spaltenumbruch] Vgl. insbeſondere Heinze
ſtaatsrechtliche und ſtrafrechtliche
Erörterungen 1870. Weitere[Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grundriß
S. 43.
2 [Spaltenumbruch] Vgl. EG. z. StGB. §§. 2 u. 5.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0069" n="43"/>
        <fw place="top" type="header">Reichsrecht und Landesrecht. §. 11.</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">3. Geltungsgebiet der deut&#x017F;chen Reichs&#x017F;trafge&#x017F;etze.</hi> </head><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 11.<lb/><hi rendition="#b">Geltungsgebiet des Reichsrechtes gegenüber dem Landes-<lb/>
rechte.</hi><note place="foot" n="1"><cb/>
Vgl. insbe&#x017F;ondere <hi rendition="#g">Heinze</hi><lb/>
&#x017F;taatsrechtliche und &#x017F;trafrechtliche<lb/>
Erörterungen 1870. Weitere<cb/>
Lit. bei <hi rendition="#g">Binding</hi> Grundriß<lb/>
S. 43.</note></head><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">I.</hi> Nach Art. 2 der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung übt das Reich das<lb/>
Recht der Ge&#x017F;etzgebung nach Maßgabe des Inhaltes der<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung und mit der Wirkung aus, daß die <hi rendition="#g">Reichsge-<lb/>
&#x017F;etze den Landesge&#x017F;etzen vorgehen</hi>. Die Landesge&#x017F;etz-<lb/>
gebung darf zu den Anordnungen der Reichsge&#x017F;etzgebung,<lb/>
mögen die&#x017F;e ausdrücklich oder &#x017F;till&#x017F;chweigend gegeben &#x017F;ein,<lb/>
nicht in Wider&#x017F;pruch treten; thut &#x017F;ie es dennoch, &#x017F;o &#x017F;ind<lb/>
ihre angeblichen Imperative ohne imperative Kraft, &#x017F;ie <hi rendition="#g">&#x017F;ind<lb/>
nicht</hi> Ge&#x017F;etz. Es i&#x017F;t daher einer&#x017F;eits die <hi rendition="#g">bisherige</hi> Lan-<lb/>
desge&#x017F;etzgebung be&#x017F;eitigt, &#x017F;oweit die Sätze des Reichsrechtes<lb/>
mit ihr in Wider&#x017F;pruch &#x017F;tehen, ohne daß es einer ausdrück-<lb/>
lichen Aufhebung bedürfte; und es i&#x017F;t auch die <hi rendition="#g">künftige</hi> Lan-<lb/>
desge&#x017F;etzgebung andrer&#x017F;eits unter der&#x017F;elben Voraus&#x017F;etzung<lb/>
und in dem&#x017F;elben Umfange wirkungslos.</p><lb/>
            <p>Wider&#x017F;pruch i&#x017F;t aber nur möglich, wenn und &#x017F;oweit die<lb/>
Reichsge&#x017F;etzgebung Anordnungen <hi rendition="#g">getroffen</hi> hat; wo &#x017F;ie es<lb/>
nicht gethan hat, i&#x017F;t auch die Möglichkeit einer Kolli&#x017F;ion aus-<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Daher können wir den Grund&#x017F;atz der Reichs-<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ung auch &#x017F;o ausdrücken: <hi rendition="#g">In den von der Reichs-<lb/>
ge&#x017F;etzgebung</hi> &#x2014; &#x017F;ei es ausdrücklich, &#x017F;ei es &#x017F;till&#x017F;chweigend &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">geregelten Materien</hi><note place="foot" n="2"><cb/>
Vgl. EG. z. StGB. §§. 2 u. 5.</note> <hi rendition="#g">i&#x017F;t die Thätigkeit der Lan-<lb/>
desge&#x017F;etzgebung ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en</hi>. In die&#x017F;em Satze<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0069] Reichsrecht und Landesrecht. §. 11. 3. Geltungsgebiet der deutſchen Reichsſtrafgeſetze. §. 11. Geltungsgebiet des Reichsrechtes gegenüber dem Landes- rechte. 1 I. Nach Art. 2 der Reichsverfaſſung übt das Reich das Recht der Geſetzgebung nach Maßgabe des Inhaltes der Verfaſſung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsge- ſetze den Landesgeſetzen vorgehen. Die Landesgeſetz- gebung darf zu den Anordnungen der Reichsgeſetzgebung, mögen dieſe ausdrücklich oder ſtillſchweigend gegeben ſein, nicht in Widerſpruch treten; thut ſie es dennoch, ſo ſind ihre angeblichen Imperative ohne imperative Kraft, ſie ſind nicht Geſetz. Es iſt daher einerſeits die bisherige Lan- desgeſetzgebung beſeitigt, ſoweit die Sätze des Reichsrechtes mit ihr in Widerſpruch ſtehen, ohne daß es einer ausdrück- lichen Aufhebung bedürfte; und es iſt auch die künftige Lan- desgeſetzgebung andrerſeits unter derſelben Vorausſetzung und in demſelben Umfange wirkungslos. Widerſpruch iſt aber nur möglich, wenn und ſoweit die Reichsgeſetzgebung Anordnungen getroffen hat; wo ſie es nicht gethan hat, iſt auch die Möglichkeit einer Kolliſion aus- geſchloſſen. Daher können wir den Grundſatz der Reichs- verfaſſung auch ſo ausdrücken: In den von der Reichs- geſetzgebung — ſei es ausdrücklich, ſei es ſtillſchweigend — geregelten Materien 2 iſt die Thätigkeit der Lan- desgeſetzgebung ausgeſchloſſen. In dieſem Satze 1 Vgl. insbeſondere Heinze ſtaatsrechtliche und ſtrafrechtliche Erörterungen 1870. Weitere Lit. bei Binding Grundriß S. 43. 2 Vgl. EG. z. StGB. §§. 2 u. 5.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/69
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/69>, abgerufen am 19.04.2024.